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Leaks und Skandale Globale Affären beeinflussen das gesellschaftliche Bewusstsein immer schwächer. Ein Kommentar über journalistische und realpolitische Halbwertszeiten im Internetzeitalter

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Werden die Panama-Papers wirklich etwas verändern?
Werden die Panama-Papers wirklich etwas verändern?

Foto: Rodrigo Arangua/AFP/Getty Images

Was ist passiert? Wieder mal hat irgendwer über irgendwen irgendwas herausgefunden und veröffentlicht, was besagter irgendjemand natürlich nicht in jedermanns Auge und Ohr wissen will. Daten einer (!) Wirtschaftskanzlei von einer (!) Steueroase - nur die Spitze der Spitze des Eisbergs!

Manch einer tut ganz überrascht. Als falle der Neoliberalismus und damit die, nunja, kreative Ideenfindung zur sogenannten "Steuervermeidung" plötzlich mit der Tür ins glückselige Haus. Und auf der anderen Seite die, die in politisch berechtigter Opportunität (Linke) oder in tatsächlicher Hoffnung auf Veränderung (Verbot von Briefkastenfirmen, Schließung aller Steuerschlupflöcher), den wahren Verlauf dieser Story verkennen. Denn was die jüngere Geschichte uns lehrt, ist: Die Halbwertszeiten emporkochender Affären und Skandale, denen zumeist sogenannte Datenleaks, also unvorhergesehene, unfreiwillige Datenveröffentlichungen, vorausgehen, sind im Vergleich zur tatsächlichen politischen Relevanz und Signifikanz solcher verschwindend gering - und so sind es auch die Konsequenzen, die aus den Veröffentlichungen gezogen werden.

Was bewirken Skandale noch?

Daniel Ellsberg muss wohl als einer der wichtigsten frühen Vertreter des modernen Geflechts aus Whistleblowern, Hackern und investigativen Journalisten bezeichnet werden. Doch auch seine, mühsam mit seinen Kindern kopierten, Pentagon-Papers vermochten erst durch die darauffolgende Watergate-Affäre, politische Köpfe (Richard Nixon) rollen zu lassen. Die Friedensbewegung und Opposition gegen den Vietnamkrieg hatten sie, durch Bekräftigung in ihrem Unglauben an die Legitimität kriegerischer Exzesse, allemal gestärkt.

Doch gehen wir lieber in die Gegenwart, in der Datenleaks im Kontext der Digitalisierung und der praktisch weltweiten Verfügbarkeit und Verbreitung von Daten gesehen werden müssen.
Was die an WikiLeaks zugespielten Dokumente einer Chelsea Manning, die die bewusste Tötung von Zivilisten und Journalisten als auch Folter in über 300 Fällen durch US-Streitkräfte im Irak bewiesen, sowie die Veröffentlichungen über die Zustände im Internierungslager auf dem US-Navy-Stützpunkt in Kuba (GTMO) gemein haben, ist die zumeist magere politische Resonanz bis hin zu Ignoranz. Ob nun die Vatican-Leaks 2012, die Lux-Leaks 2014, dutzende Veröffentlichungen von WikiLeaks über US-Behörden, den amerikanischen Thinktank Stratfor und staatliche Überwachung - nichts davon vermochte die Politik, den Journalismus oder gar den Bürger so wirklich auf Dauer zu fesseln, zu politisieren oder zumindest zu ärgern. Und selbst ein Edward Snowden, der das engvernetzte Geflecht an staatlicher und privater Überwachung der Telekommunikation und des Internets dekuvrierte und damit die Ära der (andauernden!) globalen Überwachungs- und Spionageaffäre einleitete, muss sich, trotz von ihm kürzlich attestierter Erfolge bezüglich der US-Überwachung von Anrufen sowie besserer Datenschutzmaßnahmen privater Firmen, eingestehen: Das alles bleiben ein paar - wenn auch größer werdende - Tropfen auf den heißen Stein.

Gesamtgesellschaftliche Bewusstlosigkeit

Was für Revolutionen getreu der Auslegung Rudi Dutschkes gilt, der Mensch müsse sich in einem langen komplizierten Prozess verändern, gilt natürlich auch für, immer öfter durch Leaks initiierte, Affären und Skandale, welche sich potentiell als Katalysatoren der Revolution erweisen könnten. Wer glaubt, der Skandal ansich könne Systeme verändern, irrt gewaltig.

Um bei Dutschke zu bleiben: Die "gesamtgesellschaftliche Bewusstlosigkeit" wird nicht durch ein Ereignis umgewälzt. So weit, so gut - eine Binsenweisheit. Nun pflegen wir jedoch schon eine länger werdende Historie im Kern erschreckender Aufdeckungen, sei es zur globalen Überwachung und krimineller Machenschaften der Geheimdienste (Stichwort: NSU), der großflächigen Steuerhinterziehung oder unmenschlichster Kriegsverbrechen. Dass die Politik bei der Problemlösung größtenteils scheitert, erscheint offensichtlich.
Doch warum versagt journalistische Arbeit auf derartige Weise? Warum reicht es beim Großteil der Bürger nicht über rudimentäre Systemkritik oder politische Apathie und Resignation hinaus? Eine Antwort liegt in der aktuellen Form journalistischer Arbeit.

Ein Pladoyer für präventiven Journalismus

Heutige Berichterstattung ist zumeist reagierender Journalismus. Dazu zählt vor allem Nachrichtenjournalismus sowie große Teil der Arbeit investigativer Journalisten. Was fehlt ist Aktion, abseits der Dokumentation und Chronistenpflicht hinsichtlich tagespolitischer Ereignisse, hin zur Lenkung des Diskurses auf gesellschaftliche Prozesse.

Medien sollten erstrangig die Rolle eines gesellschaftlichen Frühwarnsystems spielen, statt in der Retrospektive Ereignisse aufzurollen, die von vornherein, wenn auch vielleicht nicht verhindert, aber doch hätten abgedämpft werden können. Natürlich gilt das nicht für alle Ereignisse. Aber wenn es sich um anbahnende gesellschaftsrelevante Probleme in Politik und Wirtschaft handelt, kann Journalismus diese Funktion erfüllen. Nicht zu Unrecht spricht man schließlich von der vierten Gewalt im Staat, der Publikative. Aber jene Macht, Kompetenz und Autorität beinhaltet auch die Pflicht, diese gewissenhaft und verantwortungsvoll wahrzunehmen.

Sicherlich ist es lobenswert, wenn die tagesthemen nun mittels eines einminütigen Videos dem Zuschauer endlich erklären, wie Steuerhinterziehung mittels Briefkastenfirma eigentlich funktioniert, bzw. überhaupt mal die Aufmerksamkeit auf die Verwerflichkeit einer solchen Praxis lenkt. Aber warum erst jetzt? Warum muss ich mir jetzt die vermeintlich aufklärerisch anmutenden Talkshows anschauen, nur damit die Problematik nach zwei, drei Wochen wieder in der unteren Schublade des ARD-Chefredakteurs verschwindet. Journalismus muss endlich fernab von journalistischer Opportunität und Quotenwahn existieren und präventiv gesellschaftliche Problematiken thematisieren, die schlichtweg von Klimawandel bis Steuerhinterziehung auf der Hand liegen. Dabei gilt die Faustregel: Nicht mehr Symptomatik systemischer Ursachen soll Dreh- und Angelpunkt der Debatte und Berichterstattung sein. Vielmehr gehören die Wurzeln, die Ursachen debattiert.

Für die Panama-Papers hieße das: Schluss mit: "Hat ein Lionel Messi wirklich Steuern hinterzogen?"

Stattdessen: "Warum kann eine reiche Elite (stellvertretend auch für Messi) eigentlich im Jahre 2016, im Zeitalter umfassender regulatorischer Möglichkeiten, noch immer so einfach den öffentlichen Fiskus um so viele hunderte Milliarden bringen, ohne dass das auch nur irgendeinen Wolfgang oder Mario sonderlich zu stören scheint?"

Es wird laufen wie immer: Die Geschichte verliert sich nach den ersten drei, bereits absolvierten, Stufen der 1)Veröffentlichung, der 2) hektisch-moralischen Erstreaktion aus Nachrichtenjournalismus (BILD, Focus),einigen Meinungsjournalisten (Kommentatoren auf SPON etc.) und dem Üblichen aus der Politik und der 3), die Doppelmoral und/oder Unsinnigkeit der Erstreaktion anprangernde, Gegenreaktion, welche sich, zunächst einen Schritt zurücktretend, erst nach einigen Überlegungen konstituiert (erste Dokus, Kurzreportagen zum Thema, wöchentliche Kolumnen).
Danach versiegt die Debatte in Kleinigkeiten, einem verbleibenden Milieu, das weiter diskutiert (z.B. Techblogs, CCC, junge Milieus, Bürgerrechtler nach den Snowden-Veröffentlichungen), politischen Floskeln und halbgaren Maßnahmen wie Untersuchungsausschüssen, öffentlichen Briefen, Beschwerden, Petitionen sowie allerlei Beteuerung zur Besserung aus der Politik und einem Bauernopfer ab und an.

Angesichts der Gründe, die beispielsweise einen Herrn Köhler, Wulff oder Beck zum Rücktritt zwangen, erscheinen heutige Konsequenzen in ihrer nicht vorhandenen Rigorosität wahrlich absurd.

Aber sorgen Sie sich nicht: Sollten doch mal politisch wichtige Köpfe rollen, ein gutes Gesetz in greifbarer Nähe sein oder neue Dokumente ans Licht kommen; die Medienhäuser werden da sein und berichten. Verpassen, tun Sie eigentlich nichts - nur das Wesentliche.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Steven Hartig

Freier Journalist und Autor

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