Merkels dauerndes Spiel mit der Verfassung

lesenswert: Ein Auszug aus Stephan Hebels “Mutter Blamage“ - drschreyer@web.de

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Entscheidet gerne ohne das Parlament: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) (Bild: dpa / Carsten Rehder)

“…So regelmäßig lief die Regierung sehenden Auges in die Falle der Verfassungswidrigkeit, dass vermutet werden darf: Da wird selbst mit dem höchsten Gericht des Landes ein Spiel gespielt. Da werden die Grenzen der Karlsruher Belastbarkeit getestet und die Richter mit der Drohung einer noch größeren Eurokrise erpresst.

Das lässt sich am besten erkennen, wenn man Angela Merkels Reaktionen auf die wiederholten Ohrfeigen des Verfassungsgerichts betrachtet. Als es im Juni 2012 mal wieder eine Rüge aus Karlsruhe wegen unzureichender Einbeziehung des Bundestages setzte - diesmal wegen des »Europäischen Stabilitätsmechanismus« ESM-, da tat die Kanzlerin, als habe ihr ein Dorfgericht gerade das Heckenschneiden verboten: »Was das Urteil anbelangt, so werden wir das umsetzen«, sagte sie. Und als hätte Karlsruhe nicht etwa an die Verletzung einer verfassungsrechtlichen Selbstverständlichkeit erinnert, sondern das Parlament soeben erst erfunden, fügt sie hinzu: Es sei doch zu begrüßen, dass es jetzt »klare Maßstäbe« gebe.

Es klang ein bisschen wie »Ich hab's halt mal versucht« -noch im Nachgang der nicht eingestandenen Niederlage eine Stillosigkeit, die nicht weit entfernt ist von einer Missachtung des Gerichts. Zumal es das dritte Mal in weniger als einem Jahr war, dass die Regierung an die Rechte des Parlaments erinnert werden musste. Beim ersten Mal, im September 2011, ging es um die Beteiligung des Haushaltsausschusses bei der Freigabe von Geld für Rettungspakete. Dann, im Februar 2012, verwarfen die Richter das geheime Küchenkabinett namens »Neuner-Gremium«, das die Regierung im eiligen Falle an die Stelle von Ausschuss und Parlament setzen wollte. Und dann die offenbar notwendige Erinnerung daran, dass die Parlamentarier auch Informationen benötigen, bevor sie entscheiden können.

Jedes Mal tat Angela Merkel so, als sei es selbstverständlich, dass beinahe jede wichtige Entscheidung zum Euro demokratische Rechte verletzt und daher nachträglich korrigiert werden muss. Als setze sie darauf, dass dieser Skandal sich mit der Zeit abnutzt und das Gericht die Kraft zum wiederholten Widerstand verliert.

Das heißt: Angela Merkel täuscht nicht nur die Öffentlichkeit, um sich mit Zustimmung der Wähler an der Macht zu halten. Sie verteidigt diese Macht, wenn es sein muss, auch mit demokratisch fragwürdigen Methoden. Mit einer demoskopischen Zustimmung im Rücken, die auf Verschleierung und populistischer Selbstinszenierung beruht, fordert sie im Zweifel auch die demokratischen Institutionen heraus.

Angela Merkel ist kein Silvio Berlusconi, ihr fehlt dazu die persönlich zwielichtige Seite. Aber wie Berlusconi in Italien, so trägt auch sie in Deutschland zur Schwächung der parlamentarischen Demokratie ihren Anteil bei: Auch sie setzt nicht auf offenes Visier und kontroverse Debatte über den richtigen Weg, sondern auf ein System, in dem die beste Inszenierung belohnt wird.

Diese Inszenierungen sind nicht leicht zu durchschauen, denn Politiker, die so handeln, sprechen Sätze, die wir alle eigentlich gerne hören. Sie bejubeln die sinkende Arbeitslosigkeit und schweigen über die jüngste Wiederentdeckung des deutschen »Sozialstaats«: Armut trotz Arbeit. Sie rühmen sich der Eurorettung und schweigen über den Preis, den andere Völker für die Sicherung deutscher Vorherrschaft in Europa bezahlen. Sie erfinden »Lebensleistungsrenten«, hinter denen sich kaum mehr als ein Almosen verbirgt. Sie gedenken der Opfer von Nazi-Terroristen und schüren im gleichen Atemzug mit rassistischen Untertönen die Abwehrhaltung gegen Asylbewerber, während vor den abgeschotteten Grenzen Europas Tausende ertrinken….“

(Stephan Hebel / »Mutter Blamage», S.32-33)

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Geschrieben von

SiebzehnterJuni

MenschenSchutz statt HeimatSchutzChemiker und Organist

SiebzehnterJuni

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