Vom Umgang mit Rechtsradikalen in einer 7.Klasse

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Fußballweltmeisterschaft, 17.Juni, Physikunterricht 7.Klasse. Henri schleppt eine 2 mal 4 Meter große deutsche Flagge in den Physiksaal, sie soll an der Wand hinter der letzten Bank befestigt werden.
Heute spielt Deutschland!
Ich bedanke mich für die große Ehre, die man mir zu meinem Geburtstag erweist. (Keiner hatte Ahnung von meinem Geburtstag!)
Henri: aber das ist doch, weil w i r heute abend spielen. Ich: damit alle die Fahne besser sehen können, bitte das Ding hier hinter dem Pult anbringen. So kann ich dann auch unterrichten.
Die Fahne wandert hinter meinen Rücken.
Henri scheint verblüfft, dass es keinen Ärger als Konsequenz dieser Aktion gegeben hat. Henri schleudert oft rechts-nationale, rassistische Sprüche in den Raum. Der Mehrheit der Klasse und mir geht das heftig auf den Geist, aber irgendwie mag ich Henri.

Henri darf auch als einziger seine Baseball-Kappe bei mir im Unterricht tragen – Vorgabe: immer mit Kappe, nie ohne Kappe!

Ich werde 14 Tage krank!

Danach erster Unterricht in Henris Klasse. Ich: Henri, Du hast mir die ganze Zeit echt gefehlt, besonders Deine Sprüche regen mich immer so auf, dass ich keinen Kaffee brauche, bin sofort hellwach!

Henri kommt nach der Stunde zu mir. Henri: wirklich, Herr L., ich habe Ihnen gefehlt? Ja, sage ich! Du hast mir gefehlt!
Henri geht mit einem Strahlen über beide Backen.

Zeugniskonferenz. KollegInnen kennen die unsäglichen Sprüche von Henri! Irgendwie – so mein Eindruck – will man ihn loshaben.
Seine Versetzung ist plötzlich gefährdet. Ich spüre, man will Henri über die Noten rausschmeißen. Wie in der Konferenz über Henri gesprochen wird, ist einfach unerträglich, grenzt an Hetze.

Plötzlich spüre ich Mitgefühl mit Henri. Ich lasse mir von ihm einige der letzten Klassenarbeiten der anderen Fächer zeigen. Ich finde einige unverzeihliche, notenrelevante Korrekturfehler.

Ich gebe Henri durch ein Referat die Chance, von 3 auf 2 in Physik zu kommen. Nach einer Woche (!!!) spricht Henri 30 Minuten frei – mit 10 Stichworten auf einer Karteikarte.

Henri beantwortet sämtliche Nachfragen der KlassenkameradInnen fehlerlos. Eine glatte 1!

Ich bin fassungslos und sprachlos, was der kleine Mann kann! So erhält Henri im Zeugnis eine 2 und kann damit eine 5 in einem anderen Fach ausgleichen.

Aber: angesichts dieses Vorgangs liefert eine Kollegin
in einem anderen Fach das „Aus“ für Henri.

Henri muss die Schule verlassen.

Henri ist Sohn eines alleinerziehenden Vaters, Handwerksmeisters, mit Glatze und rechtsradikalem Weltbild.

Wo Henri wohl heute gelandet ist?

Es ist zum Heulen.

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Geschrieben von

SiebzehnterJuni

MenschenSchutz statt HeimatSchutzChemiker und Organist

SiebzehnterJuni

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