Ein genialer Plan für das Tempelhofer Feld.

Satire Mit einem ebenso einfachen wie unglaublichen Plan kann das Tempelhofer Feld bebaut werden und dabei Freiraum bleiben.

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Am Sonntag geht es um alles. Um Leben und/oder Tod. Um Sein oder Nichtsein. Hipster oder Mainstream. Soja- oder Kuhmilch. Freiheit oder Angst. Oder kurz gesagt: es geht darum, ob das Tempelhofer Feld ein Feld bleibt oder nur ein bisschen ein Feld bleibt. Also wirklich große Schicksalsfragen, über die andere Städte froh wären, die Milliarden-Gräber wie einen Großflughafen zu verkraften haben. Oder eine Zentrale Landesbibliothek. Zum Glück gibt es so was in Berlin nicht und man kann sich auf die wirklich wichtigen Fragen konzentrieren: eine Freifläche mitten in der Stadt.

Früher landeten hier Flugzeuge, heute Träume urbaner Menschen. Während also um eine der letzten bedeutenden Brachen im Zentrum gestritten wird (neben dem Potsdamer Platz, wo sich Abends kein vernünftiger Mensch aufhält) gibt es jetzt einen genialen Plan, um sowohl Kritiker, als auch Befürworter einer Bebauung unter einen Hut zu bekommen: Das Tempelhofer Feld wird komplett zugebaut und bleibt dabei ein Freiraum. Wie das funktioniert? So einfach wie eine Entrauchungsanlage in einem handelsüblichen Airport!

Der Plan: Auf dem Tempelhofer Feld wird das Berlin-Mitte der 90er Jahre komplett nachgebaut. Mit den legendären Clubs wie Tresor, WMF oder Kunst & Technik. Mit Bars wie Eschloraque, Sniper oder Cookies. Clubbetreiber Cookies dazu: „Ich will meinen Club an der Friedrichstraße sowieso demnächst schließen und was neues machen. Warum nicht einfach wieder ganz von vorne in einem Kellerloch anfangen? Wie damals!“ Selbst das Kunsthaus Tacheles wird nachgebaut. Hier riecht es dann zur Abwechslung nicht mehr nach Touri-Urin, sondern nach dem Duft der großen weiten Kunstwelt. Kulturstaatssekretär Tim Renner dazu: „Für uns wären Tresor und WMF eine Line Extension zum Berghain und damit ein weiterer Meilenstein beim Ausbau des Kreativ-Standorts Berlin.“ Eine Umfrage unter spanischen Gästen zeigte auch hohe Akzeptanzwerte. Besonders begeistert waren sie darüber, dass fast alle Bars und Clubs ohne Türsteher auskommen. „I waited 3 Hours in a queue in front of Berghain Club, and all i got, was this lousy Shirt.“ So die Spanierin Angela und zeigt dabei auf ihr Top mit dem Schriftzug „Wowi was, wieso weshalb warum?“.

Begeisterung herrscht auch bei den Bauinvestoren: Sie freuen sich wahnsinng darauf niegelnagelneue Top-Immobilien anbieten zu können: Mit Außenklo, Kohleofen und einer Camping-Dusche in Küche. „Unsere Neubauten kopieren den morbiden Charme des Ost-Berlins der 90er Jahre, mit Einschusslöchern und grauen Putz“, meint dazu ein Mitarbeiter einer Investment-Firma, der nicht genannt werden will. Alles soll wieder so aussehen, wie damals. „Wir haben Erfahrungen mit dem Neubau von Ruinen“, so eine Baufirma, die auch am Großflughafen beteiligt ist. Darum ist der Wiederaufbau des Berlin-Mitte der 90er Jahre für uns ein Klacks.“ Auch der Senat freut sich, denn die baufälligen Wohnungen teilweise ohne Strom und fließendes Wasser sind eine ganz neue Form des sozialen Wohnungsbaus. Für eine 2-Zimmerwohnung mit 80 qm werden hier 350 fällig – also D-Mark. Das bietet Platz für das Kreativ-Prekariat, das sich die Mieten in den anderen Innenstadtbezirken nicht mehr leisten kann.

Trotzdem bleibt das Tempelhofer Feld ein Freiraum. Denn wo – außer in der Anarchie des Berlin-Mitte vor 20 Jahren – gab es davon mehr? Jeder konnte machen, was er wollte: Clubs, Bars, Galerien eröffnen, Räume und Wohnungen in Beschlag nehmen. So frei wie dort war Deutschland vorher und nachher nie mehr. Daher sind auch die Kritiker einer Bebauung mit dem Plan einverstanden. Zudem können dann auch die Hipster aus Neukölln das Feeling des alten Berlins erleben, von denen die etwas früher Zugereisten immer so wissend raunen. Hier, in der Oase des Freiraums können sich die Neu-Berliner mit Soja-Latte Milchschaum gegenseitig einreiben, alles awesome finden bis sie einer rausschmeißt: das war der Besitzer der Sniper-Bar, der für seine Wutausbrüche legendär bekannt war.

Es war nicht alles gut im Berlin-Mitte der 90er. Aber wo ist es das schon?

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Geschrieben von

siegstyle

Framstags kommt das Frams.

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