Mal dringend das Opfer-Abo kündigen.

Kachelmann Der Wettermann Jörg Kachelmann nutzt die Toten des Unwetters für einen persönlichen Kreuzzug gegen die ARD.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es gab eine Zeit, da fand man Jörg Kachelmann richtig sympathisch. Die Art und Weise, wie er das Wetter erklärte war neu und anders, als zum Beispiel die halbbeamtische Wettervorhersage am Ende der Tagesschau. Kachelmann wirkte locker und auf Augenhöhe, man mochte ihn einfach für seine kumpelhafte Ausstrahlung. Ein Wetter-Vogel wie du und ich. Diese Attitüde brachte ihn schließlich sogar bis ins Samstag-Abend Programm und in diverse Talkshows in der ARD.

Alles änderte sich Anfang 2010, als Vorwürfe einer Geliebten aufkamen, er hätte diese vergewaltigt. Daraufhin verlor Kachelmann alle Aufträge seiner Wetterdienst-Firma beim Ersten Programm. Sein Gesicht verschwand aus dem Fernsehen, aber nicht aus den Medien. Nach einem langen Prozess wurde Kachelmann freigesprochen. Danach begann ein persönlicher Kreuzzug für seine Gerechtigkeit. Hatte man zuvor noch durchaus Sympathien für Kachelmann gehegt (weil wirklich niemand wissen kann, was in dieser Nacht vorgefallen ist), so bewirkte sein penetranter Kampf zur Wiederherstellung seines guten Rufes eher das Gegenteil: bizarre Auftritte in Talkshows wie bei Günther Jauch nährten eher den Verdacht, dass hier ein Mensch vollkommen über das Ziel hinausschießt. Statt seinen Freispruch zu genießen, nutzte er diesen, um sich selbst als Justiz- und Gesellschafts-Opfer zu präsentieren. Seht her: als Mann ist man heutzutage sofort Täter, wenn man von einer Frau der Vergewaltigung bezichtigt wird. Vielleicht hat er damit gar nicht mal Unrecht (andererseits: wie oft müssen sich Frauen nach Vergewaltigungen anhören, dass sie selbst Schuld daran wären?), aber die Art, wie er dies vortrug war einfach penetrant.

So verlor er zwar nicht seine Unschuld, aber viele Sympathien. Nicht zuletzt gipfelte sein fast manisch betriebener Kampf für sein Recht in einem Unwort des Jahres: Opfer-Abo. Die Jury begründete die Wahl damit, dass das Wort Frauen „pauschal und in inakzeptabler Weise“ unter den Verdacht stelle, sexuelle Gewalt zu erfinden und damit selbst Täterinnen zu sein. Im Grunde nutzte Kachelmann nur die latent vorhandenen Vorurteile, nur um für sich persönliche Vorteile daraus zu ziehen. Man kann dies eben auch verwerflich finden, selbst wenn es zwischen Kachelmann und seiner damaligen Freundin einvernehmlichen Sex gegeben hat. Der Wetter-Mann schoss vollkommen über das Ziel hinaus und schadete sich so eher, als das es im nutzte. Es gibt ja genug Beispiele von gefallenen TV-Gesichtern die wiederkamen: ein koksender Michel Friedman ist heute wieder im Kreis der Fernseh-Familie angekommen. Der hat aber einfach irgendwann den Mund gehalten, die Affäre ausgesessen und sich an die alte Tugend erinnert: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Das war für Kachelmann aber keine Option. Denn: er hatte eben Recht. Aus einem Wetter-Bessermacher wurde so ein Besserwisser, der den Menschen in seiner Umgebung mehr und mehr auf die Nerven ging.

Jetzt hat Jörg Kachelmann ein weiteres Opfer erkannt: Tom Buhrow. Diesen macht er mitverantwortlich für nun leider schon 6 Tote des gestrigen Unwetters im Rheinland. Seiner Meinung nach wurde vom WDR nicht nachdrücklich genug vor der nahenden Gewitterfront gewarnt. Jetzt kann man wohl mit Fug und Recht sagen: Wettervorhersagen sind eine Geschichte voller Fehler. Mal wird extrem gewarnt und es passiert eigentlich nichts, dann wieder wird genau das Gegenteil. Auch hier hat man den Eindruck, dass sich Jörg Kachelmann sehr verrennt und seine ehemalige Publicity nutzt, um auch hier wieder zu einem Medien-Gespräch zu werden. In seinem larmoyanten Pamphlet kann man leider sehen, wie schmal der Grat zwischen Wetter-Genie und Wahnsinn der wettert ist. Es scheint fast so, als ob Kachelmann noch eine Rechnung mit der ARD offen hat und die gerne über Tom Buhrow begleichen will. Dies ist gleichermaßen zynisch und verwerflich. Kachelmann benutzt Tote, für einen weiteren persönlichen Feldzug, diesmal gegen den Sender, der ihn vor die Tür setzte. Wie hoch der Anteil des WDR wirklich an den Toten ist, mag dahingestellt sein. Unsere Medienlandschaft ist komplexer als ein Sender und es wurde tatsächlich wohl auch gewarnt. Festivals wurden beendet und auch das Fest in der Keupstraße, bei dem an den NSU Anschlag 2004 erinnert wurde, wurde geräumt. Schließlich widerspricht sich Kachelmann auch selbst: „Es hilft nichts, falls Sie mal kurz abends eine Unwetterwarnung nach den Nachrichten gehabt haben sollten. Von denen gibt es inzwischen so viele, dass das kaum noch jemand ernst nimmt. Die Wetterlage hätte frühzeitig in Hörfunk und Fernsehen journalistisch aufbereitet werden müssen.“ Inwieweit eine Sondersendung Menschen hätten retten können mag fraglich erscheinen. Schließlich waren die meisten Opfer draußen unterwegs und nicht vor dem Fernseher. Drei der Toten hatte sogar Schutz gesucht, der aber nicht ausreichend war.

Man wünscht sich manchmal einfach den alten netten Kachelmann zurück und nicht den verbitterten, nach Aufmerksamkeit heischenden, der wie ein dunkler Schatten seiner selbst wirkt. Wie eine bedrohliche Unwetter-Wolke – nur ist das Gewitter nicht nach 30 Minuten vorbei, sondern es donnert seit einigen Jahren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

siegstyle

Framstags kommt das Frams.

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden