Yad Elijahu ist ein kleines, architektonisch geschlossen wirkendes Viertel im Süden von Tel Aviv. Man streift dort, abseits der stark befahrenen Derek Ha-Haganah-Straße, durch verschattete Gassen, schaut auf schmale, zweistöckige Häuser und Gärtchen, in denen neben knorrigen Bäumen Geranien und Fuchsien blühen. Nach Yad Elijahu zogen fast ausschließlich Überlebende der Konzentrationslager. Kaum sichtbar verlaufen Grenzen innerhalb des Viertels. Orthodoxe Juden zogen sich von säkularen zurück. Die Frommen haben Häuser rund um eine Synagoge bezogen, deren Größe sofort ins Auge sticht. Jene Bewohner von Yad Eliyahu, die in Auschwitz ihren Glauben verloren, gingen am Schabbat in unscheinbare, später abgerissene Bethäuser. Sie forderten den Bau kleiner Bunker, und die Stadtverwaltung kam dem Bedürfnis nach.
Heute gibt es in jeder israelischen Kommune ausreichend Schutzräume. Kaum einer der Bewohner von Yad Elijahu kehrte, und sei es besuchsweise, zurück nach Europa. Und erhielt jemand ein Paket mit gut gemeinten Sachgeschenken "Made in Germany", so wurden diese stillschweigend im Vorgarten begraben. Wer sich mit Wiedergutmachungszahlungen "kaufen" ließ, kam auf die "Liste der Unberührbaren". Den Geächteten blieb nur der Wegzug in ein innerstädtisches Viertel. Allein die europäische Fauna, frei von Schuld, durfte in der schtetlhaften Enklave ranken und heimisch werden.
Auch Lizzie Dorons dritter ins Deutsche übersetzte Roman legt Spuren dorthin. Wer die autobiographische Novelle Warum bist du nicht vor dem Krieg gekommen? kennt, weiß, dass die 1953 geborene Autorin in Yad Elijahu aufwuchs mit einer prinzipienfesten Mutter, die über ihre leidvolle Vergangenheit im Lager beharrlich schwieg. Sie trug der Tochter auf, ihr Leben ganz auf die Zukunft auszurichten; gleichzeitig aber quälte sie die Vorstellung, das eigene Kind würde wie alle "neuen Juden" lernen, mit Gewehren umzugehen, jeden Hügel im Land erkunden und sich wohlmöglich für ein Leben im Kibbuz entscheiden. Es sollte genauso kommen.
In Der Anfang von etwas Schönem erzählt Doron von drei Gleichaltrigen, die in Yad Elijahu aufwuchsen und deren Lebenswege sich vierzig Jahre später wieder kreuzen. Jeder Figur ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Malinka Zuckmayer ist eine bekannte Radiomoderatorin geworden. Sie nennt sich Amalia Ben Ami und wohnt seit drei Jahrzehnten allein im Haus ihrer Mutter. Die hatte verfügt, Amalia dürfe es erst verkaufen, wenn sie geheiratet habe. Amalia hat aber nur Affären mit verheirateten Männern.
Der hinkende Gadi wurde wegen seiner Behinderung vom Militärdienst befreit. Diese Zurücksetzung traf den Versehrten so hart, dass er Israel verließ und dort blieb, wo man "kein Brot aus Erinnerungen backt": in Amerika. Durch eine willensstarke, dem orthodoxen Milieu in Brooklyn entflohene Ehefrau zu Reichtum gekommen, beginnt Gadi, sich immer heftiger nach seinem Geburtsort zu sehnen. Abgeschnitten vom israelischen Alltag, züchtet er in New York den Wunsch, mit der spöttisch-sprunghaften und unberechenbaren Amalia zu leben.
Chesi machte in Paris als Zeithistoriker Karriere. Er ist durchdrungen von der Idee, dass der Zweite Weltkrieg erst vorbei sein wird, wenn Juden wieder in ihre ursprünglichen Heimatorte zurückkehren. Während eines Besuchs in Israel hört er Amalias Stimme im Radio. Sie verabschiedet sich mit einem "Schlager aus dem Lager": "Still, still, mein Kind, schweig still, hier wachsen Gräber". Dieses Lied war die "Hymne" ihrer Kindheit. Und weil auch Chesi damit in den Schlaf gesungen wurde, kommt es zu einem Treffen der beiden erwachsen gewordenen Kinder aus Yad Elijahu. Was als "der Anfang von etwas Schönem" beschworen wird, endet im Fiasko. Ob das Schöne einer Begegnung wie einer versöhnenden Idee sich alsbald in Schrecken verwandelt, darüber entscheidet bei Doron der Umgang der Menschen mit dem geschichtlichen Erbe.
Chesi tritt als Missionar auf. Amalia, von ihm nach Polen gelockt, um im Verborgenen Vorbereitungen für den Wiederaufbau einst jüdischer Dörfer zu leisten, flieht das Land und den Mann. In ihrem Gepäck hat sie Bruchstücke jüdischer Grabsteine. Den israelischen Zollbeamten, der die Steine misstrauisch begutachtet, provoziert Amalia mit der Frage: "Suchen Sie Verwandte?"
Der sarkastische Ton, den Doron immer wieder anschlägt, hat nichts Forciertes. Ihre Figuren sitzen allesamt in der Falle und beweisen, dass es keinen richtigen Umgang mit dem Gedenken an die Schoah und ihre Opfer geben kann. Doron erzählt vom beschädigten Leben der Zweiten Generation. Die wuchs mit dem Gefühl auf, gezeugt worden zu sein, um die Eltern für die in der Schoah erlittenen Verluste zu trösten.
Eines der erwachsenen Kinder klaubt Gegenstände aus dem Elternhaus und benutzt diese für prätentiöse Installationen. Wer die Hinterlassenschaften der Überlebenden effektvoll arrangiert, beutet deren Leben aus. Wer sich in ihnen einrichtet und dem Ort der Herkunft nicht entwächst, geht daran zugrunde. Dass es keinen Mittelweg zu geben scheint, ist das Dilemma, welches Doron in vielen Szenen umreißt. Nüchtern schildert sie, wie nachsichtig die traumatisierten Überlebenden miteinander umgingen, und wie aggressiv sie die Selbstbehauptungsversuche ihrer Kinder kommentierten. So wird Amalia von der engsten Freundin ihrer Mutter als "klafte" beschimpft: als eine Person, die einem im Ghetto nicht das geringste Krümelchen Brot gegönnt hätte. Lizzie Doron ist die literarische Chronistin des Viertels Yad Elijahu. Unter den Autoren der Zweiten Generation gibt es keinen, der die widerstrebenden Gefühle der Nachkommen von Überlebenden tiefer auslotet.
Lizzie DoronDer Anfang von etwas Schönem. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt a/M. 2007, 258 S. 18,80 EUR
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