„Die Wirtschaft“

Moderne Mythen: „Wenn es der Wirtschaft gut geht geht es uns allen gut.“ Dieser Satz ist, in dieser oder ähnlicher Form, ein oft verwendetes politisches Schlagwort.

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Dabei ist der Satz so einfach wie er wahr wäre, würde man ihn richtig fassen. Die Wirtschaft, das sind wir alle. Das bin ich, wenn ich morgens zur Arbeit fahre, das ist der Nachbar wenn er einkaufen geht. Man könnte auch sagen: „Wenn es uns gut geht, geht es uns gut.“

Aber das ist nicht gemeint. „Die Wirtschaft“ meint einen exklusiven Club, nicht die Gesamtheit wirtschaftender Individuen, sondern Unternehmer und Kapitalisten. Und ab hier wird’s haarig. Denn die Aussage: „Geht es Unternehmern und Kapitalisten gut, geht es uns allen gut“ ist offensichtlicher Schwachsinn. Zumal, wenn damit eine Politik gerechtfertigt wird, die sogenannte „Leistungsträger“ entlastet, also plumpe Umverteilung ist. Da erweitert sich unser Schlagwort dann zu: „Wenn man Unternehmer und Kapitalisten zu Lasten von uns allen begünstigt, geht es uns allen gut“.

Sie bemerken die Magie? Ich habe eine Münze in der Linken, lege sie in die Rechte, spreche eine Zauberformel, öffne meine Hände, und in beiden Händen halte ich eine Münze! Halten sie für unrealistisch? Nun, genau dieser Vorgang ist Grundlage der meisten wirtschaftspolitischen Debatten.

Die Unternehmer- und Finanzlobby arbeitet bewusst mit diesem Begriff. „Die Wirtschaft“ klingt freundlich, klingt einschließend. Sie werden kaum einen professionellen Lobbyisten finden, der den Klassenkampf offen propagiert. Existent ist er dennoch.

Um dieser Verschleierungstaktik entgegenzuwirken rufe ich die Leser auf, auf ihre Sprachhygiene zu achten. Schimpfen sie nicht über „die Wirtschaft“. Nennen sie Interessensgruppen beim Namen. Gleiches gilt für die Begriffe „Wirtschaftsfeindlich“ und „-freundlich“. Wirtschaftsfeindlich ist der Asket, der sich in eine einsame Höhle zurückzieht, nicht der Arbeitnehmer, der für seine wirtschaftlichen und sozialen Interessen eintritt.

Mancher mag nun denken, bei dieser Unterscheidung handele es sich um Kleinlichkeit. Tatsächlich aber droht das Bewusstsein um die Gegensätzlichkeit wirtschaftlicher Interessen verloren zu gehen. Große Teile der SPD Kader glauben tatsächlich, was dem Kapitalisten nutzt, nütze der Allgemeinheit. Da berichtet dann ein Steinmeier stolz von asozialer Klientelpolitik. Und sogar die Linksjugend glaubt sich in Antimaterialismus flüchten zu müssen, wenn sie gegen so genannte Wirtschaftsinteressen schreibt.

Der Mythos von der Identität der Interessen von Allgemeinheit und Kapitalisten ist erschreckend weit verbreitet. Helfen sie mit, dem ein Ende zu setzen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sikkimoto

Linkspopulist & Wutbürger

Sikkimoto

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