Film, Freiheit und Individuum (1)

Essay zur Gegenwartskultur. Teil eins: Braveheart.

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Der Film ist das vermutlich wirkmächtigste Medium unserer Zeit. Mal offen, mal suggestiv transportiert er dabei auch gesellschaftliche Anschauungen. Grund genug für eine Betrachtung.

Dieser Essay ist als Auftakt zu einer Reihe geplant. Schwerpunkt dieser Reihe soll die filmische Rezeption des Verhältnisses von Individuums und Gesellschaft sein. Damit einher geht die Auseinandersetzung mit verschiedenen Freiheitsbegriffen.

Breaveheart

Für den Anfang der Reihe habe ich mir „Braveheart“ von und mit Mel Gibson ausgesucht. Dafür gibt es mehrere Gründe: Der Film ist so bekannt dass ihn wohl jeder potentielle Leser mehrmals gesehen hat, es gibt einen zentralen Helden und er beinhaltet einen Freiheitsbegriff, der vielen und insbesondere vielen amerikanischen Filmen zugrunde liegt. Zudem ist er selbst Historienfilm, sprich eine Interpretation realer Ereignisse, womit sich eine eigenständige Interpretation bewusster und deutlicher abhebt als das bei einer rein fiktionalen Erzählung der Fall wäre.

Anstatt uns mit Inhaltsangaben aufzuhalten will ich direkt im Geschehen starten, mit der Rede Wallaces vor der Schlacht von Stirling.

http://www.youtube.com/watch?v=nfoW244cFZM

Überlegen wir uns, was es mit dieser Freiheit auf sich hat. Augenscheinlich kämpft Wallace für ein „freies“ Schottland, wobei „frei“ insbesondere als „frei von Engländern“ gedacht werden kann.

„Kämpft und ihr sterbt vielleicht. Flieht, und ihr lebt. Wenigstens eine Weile. Und wenn ihr dann in vielen Jahren sterbend in eurem Bett liegt, wäret ihr dann nicht bereit jede Stunde einzutauschen von heute bis auf jenen Tag um einmal nur, ein einziges mal nur hier zu stehen und unseren Feinden zuzurufen: Ja, sie mögen uns das Leben nehmen. Aber niemals nehmen sie uns unsere Freiheit.“

Auf Leben und Tod

Interessant ist hier erst einmal dass eine ganze Nation als frei oder unfrei gedacht wird, wobei die Freiheit der Nation auf die Freiheit des Individuums zurückwirkt. Der einzelne kann hier nicht frei sein, solange „die Tyrannei“ nicht besiegt ist. Damit ist der Feindbegriff absolut. Es handelt sich nicht mehr um einen Gegner, mit dem ein Kompromiss gütlich ausgehandelt werden kann. Die Frage nach der Freiheit wird zu einer Frage über Leben und Tod.

Diese Gedanken finden sich ganz ähnlich in einer historischen Rede, gehalten von Ronald Reagan rund 10 Jahre vor der Entstehung des Films:

http://www.youtube.com/watch?v=do0x-Egc6oA

Daraus frei übersetzt:

„Ich liebe meine zwei kleinen Mädchen mehr als alles andere in der Welt […] ich würde sie lieber jetzt, im Glauben an Gott, sterben sehen, als sie unter Kommunismus aufwachsen zu lassen wo sie eines Tages sterben und den Glauben an Gott verloren haben.“

Wir haben es hier euphemistisch ausgedrückt mit einem dualistischen Weltbild zu tun. Das Gute steht mit dem Reich des Bösen im Kampf. Dieser Kampf ist total und muss mit faschistoider Hingabe, ohne Rücksicht auf Verluste, geführt werden. Dieses Weltbild lebt in Teilen der Gesellschaft bis heute fort. Wenn etwa Bundespräsident Gauck vom „Reich der Freiheit“ spricht, dem er sich angehörig fühlt, dann in jener Tradition.

Rache

Der Film „Braveheart“ kann nicht mit Kommunisten aufwarten. Umso mehr bemüht er sich, ein nationales Feindbild aufzubauen. Da wandelt der kleine William durch aufgeknüpfte Schotten, Bruder und Vater fallen im Kampf. Der englische Lehnsherr übt das ius primae noctis aus, ein Recht, dessen historische Existenz angezweifelt werden darf. Englische Soldaten versuchen, die Ehefrau zu vergewaltigen, später wird sie ermordet.

Die Motivation Wallaces ist intuitiv begreifbar: Er übt persönliche Rache. Damit dies unmissverständlich wird, erscheint ihm die tote Ehefrau und bestärkt ihn in seinem Tun. Dabei steht dieses individuelle Motiv in ungeklärtem Widerspruch zur kollektiv gedachten Freiheit. Der junge Wallace hat zu Beginn des Films kein Interesse zum Helden zu werden, möchte ein „ruhiges“ Leben führen. Erst der Mord an der Ehefrau bringt ihn dazu, gewaltsam gegen die englischen Besatzer vorzugehen. Der Versuch, als Individuum in einer „unfreien“ Nation frei zu Leben, scheitert.

Wer kämpft also in der Schlacht von Stirling? Die Schotten zu denen Wallace spricht erscheinen als Masse, die „nicht gekommen ist um für die [schottischer Adel] unseren Kopf zu verlieren“, ein bemerkenswert vernünftiger Ansatz. Wenn sie doch kämpfen, dann aus den gleichen, individuellen Motiven wie Wallace selbst. Die Masse der individuellen Motive kumuliert sich zu einem Kampf für die Nation („Ich beuge mich nur vor Schottland!“).

Nationen

Diese Nation ist keine zufällige Landesgrenze -die schottischen Adligen halten ebenso Ländereien in England- sondern eine Schicksalsgemeinschaft. Sämtliche, auch soziale, Konfliktpunkte werden in einen Kampf zwischen Nationen gepresst. Im historischen Kontext müsste man sich fragen ob es dem schottischen Bauern nicht gänzlich gleich sein kann, welche Sprache sein Herr spricht. Der Verbesserung seiner sozialen Position hat sich keine der Konfliktparteien verschrieben. So muss der schottische Adlige im Film grundsätzlich gutartiger als sein englischer Widerpart erscheinen. Sämtliche Missetaten werden nicht als widerrechtliche Form der Unterdrückung und Herrschaftsausübung gezeigt wie es eine Ständeordnung mit sich bringt, sondern als spezifisch englisch. Der Film bemüht damit dümmliche nationale Propaganda.

In diesem simplen Kampf von Gut und Böse kann auch dem Engländer keine individuelles Recht zugestanden werden. Wallace plündert York, was im einzelnen nicht gezeigt wird, aber als vielfache grobe Menschenrechtsverletzung gedacht werden kann. Hinterfragt wird solches Handeln nicht. Der Ausgangspunkt, die Freiheit, spielt hier als konkrete Freiheiten schon keine Rolle mehr. Das handelnde Individuum ist Teil einer Nation, Konflikte treten zwischen Nationen auf. Die Nation selbst ist frei von Widersprüchen gedacht. Ganz wie einst der Kaiser sprach: Ich kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche!"

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sikkimoto

Linkspopulist & Wutbürger

Sikkimoto

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