Darüber reden ist wichtig

Duisburger Filmwoche 05 Der Blick in die Realität muss sich keineswegs auf den Realismus beschränken

Auch Dokumentarfilmfestivals haben extrem unterschiedliche Handschriften. Während man sich etwa in Leipzig mit Filmmarkt und Branchentreffs willig den Verwertungszyklen des Mediengeschäfts anpasst, beharren die MacherInnen der Duisburger Filmwoche stur auf so altmodische Qualitäten wie Konzentration und kritische Auseinandersetzung: Grundlage ist ein im besten Sinn übersichtliches Programm, das gezielt Fäden zwischen den einzelnen Filmen legt und die Lust an der Vielfalt ästhetischer Möglichkeiten mit der Debatte über sie verbindet. Dabei ist das 1976 gegründete und von Werner Ruzicka geführte Treffen des deutschsprachigen Dokumentarfilms bis heute bei dem Grundsatz geblieben, nur einen einzigen Kinosaal (plus Debattenraum und Café) zu bespielen und die Publikumsgespräche mit großzügigem Zeitkontingent fest im Programmraster zu etablieren. Und weil so alle die gleichen Filme gesehen haben, stellt sich auch in den Debatten eine inhaltliche Kontinuität her, die über den Einzelfilm hinausgeht. Das klappt manchmal hervorragend, manchmal schlechter, ist in Zeiten des Konsumismus und der Q aber keine schlechte Methode, überhaupt ernsthafte Kommunikation über Kino in Gang zu bringen.

Auch die Filmauswahl selbst setzt mehr auf das Diskussionswürdige - und auch Anstößige - als auf den gelungenen Dokumentarfilm im üblichen Sinn: Dass ein Film wie Michael Glawoggers Working Man´s Death in Leipzig und Duisburg im Wettbewerb steht, ist die Ausnahme. Um so auffälliger, dass sich trotz dieser im einzelnen unterschiedlichen Filmauswahl bei beiden Festivals ein ähnlicher Trend ablesen lässt: Die Rückkehr zu einer Wirklichkeit, die im Kreisen um Selbstreflektion, Inszenierung und Simulationshypothesen längst abhanden gekommen schien. Auch die jüngste Geschichte der Filmwoche selbst spiegelt diese Bewegung in ihren wechselnden Themen von Was geht... (2002) über Echt falsch (2003) und das Material (2004) bis zum diesjährigen Festivalmotto der Freunde der Realität. Das ist nicht ironisch gemeint, mit einem Augenzwinkern aber schon, schließlich besitzt man Geschichtsbewusstsein genug, um die Fegefeuer nicht zu vergessen, die den Begriff der Wirklichkeit hoffentlich für lange Zeit von naiver Selbstverständlichkeit läuterten. So muss sich der Blick in die Realität keineswegs auf den Realismus beschränken. Und die filmische Welt kann ganz unterschiedliche Farben tragen: Von der Sakralisierung - bei Glawogger - über die nüchterne Bestandsaufnahme bis zu spielerischem Eingreifen in bestehende soziale Räume wie bei Robert Brakamps Der Bootgott vom Seesportclub, der für eine Filmzeit aus einem brandenburgischen Wassersportverein einen sumerischen Gottesstaat samt ABM-Gott Enki macht.

Eine hübsche Spielerei. Erhellender sind da die Verfremdungseffekte von Malerei heute, der anhand von Werbetafeln einen Zug durch die Jahre 1998 bis 2004 macht. Dabei bedienen sich Stefan Hayn und Anja-Christin Remmert eines schönen Kunstgriffs, um die Wahrnehmung des Alltäglichen für ein jenseits des Status Quo zu öffnen: Die Plakate wurden erst auf Berliner U-Bahnhöfen und Straßen abaquarelliert und dann gefilmt. Leider wird der so eröffnete historische und ästhetische Assoziationsraum gleich wieder durch die Textebene geschlossen, die die Bilder in Geiselhaft nimmt für eine Botschaft, die die vielfach vermittelten Beziehungen zwischen Politik und Kapital auf eindimensionales Verschwörungsdenken verkürzt.

Den Blick in das Innere des Kapitalismus versucht die Schweizer Regisseurin Sabine Gisiger in Gambit, einer spannenden Porträt-Recherche des Mannes, der damals bei Hoffmann-La Roche technischer Leiter des Unglückswerks in Seveso war. Gambit zeigt präzise, wie Sambeth zum Bauernopfer für die kriminellen Dioxin-Machenschaften der Konzernführung gemacht wurde, garniert diese Erkenntnis aber mit zuviel Privatleben und einem musikalischen Zuckerguss, der eigenständige Gefühlserfahrungen beim Zuschauen verhindert.

Überemotionalisierung wurde von einigen auch dem 3Sat-Preisträger Weiße Raben vorgeworfen. Dabei ist es hier eher der Stoff selbst, der aufwühlt. Johann Feindt und Tamara Trampe dokumentieren in ihrem Film - der am 24.11. ins Kino kommt - anhand einiger seelisch und körperlich zerstörter Tschetschenien-Heimkehrer eindringlich die Folgen eines verschwiegenen Krieges in einem Land, wo der Begriff von Normalität klaustrophobisch eng ist und Männer erst als Soldaten zu echten Männern werden. Auch in Romuald Karmakars mit dem Arte-Preis ausgezeichneten Between the Devil and the Wide Blue Sea ist eine geschlossene klaustrophobe Welt filmische Realität, die der Techno-Clubs und Discotempel. Neun Acts hat Karmarkar mit der Digitalkamera aufgenommen und zeigt sie in langen bewegten Takes. Ob sich die Energieströme zwischen Bühne und Clubbesuchern allerdings auch auf den techno-ungewohnten Kinozuschauer übertragen, dürfte sehr von der musikalischer Disposition abhängen. Es bleibt die Erfahrung einer bisher unbekannten Realität. Anfreunden muss man sich ja nicht gleich.


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