Der Duft nach Nichts

Im Kino Tom Tykwer und Bernd Eichinger versuchen mit der Verfilmung des Süskind´schen Erfolgsromans "Das Parfüm" die Massen statt zum Lesen zum Schauen zu verführen

Das wirklich Geniale an Patrick Süskinds Erfolgroman Das Parfüm ist vielleicht die Vielfalt an Deutungsmöglichkeiten, die er seinen Lesern bot und bietet. So kann sich jeder die ihm passende Lesart heraussuchen: Eine schillernde Illustration der in den achtziger Jahren so florierenden Kulturgeschichten? Eine fantastische Serienmördergeschichte im historischen Gewand? Oder war dieser Jean-Baptiste Grenouille doch nur ein erbarmungswürdiges Opfer der materiell und moralisch verkommenen Verhältnisse im vorrevolutionären Frankreich?

Wohl auch wegen dieser Offenheit konnte Süskinds Werk mit einer Auflage von 15 Millionen Exemplaren zu einem der auch international erfolgreichsten deutschen Romane werden. Schon früh hatte sich neben anderen Aspiranten auch Großproduzent Bernd Eichinger um den erfolgsträchtigen Stoff bemüht, lange Zeit allerdings vergeblich. Erst 2001, über 15 Jahre nach der Erstveröffentlichung, hat er endlich den Zuschlag bekommen und dann mit Tom Tykwer auch einen Regisseur gefunden, bei dem sich nach Lola rennt und Heaven internationale Reputation mit der Hoffnung auf unverwechselbare Handschrift verband. Von Anfang an haftete dem Stoff um die grässliche Karriere eines olfaktorisch besonders befähigten Pariser Findelkindes aber auch der Ruf an, wegen seiner starken Verwurzelung in der Welt der unsichtbaren flüchtigen Substanzen für den Transport in die zwei Sinnesdimensionen des Kinos wenig geeignet zu sein. Der von Romanautor Süskind als Favorit für die Regierolle genannte Stanley Kubrick soll wegen dieser genuinen Unverfilmbarkeit des Stoffs gar definitiv abgewinkt haben.

50 Millionen Euro soll die Produktion nun gekostet haben, mit Dustin Hoffmann und Alan Rickshaw sind zwei international renommierte Schauspieler in wichtigen Nebenrollen besetzt. 17 Tonnen Fischinnereien wurden neben anderem Unrat in den Altstadtgassen von Barcelona ausgeteilt, um das schmutzerstickte Pariser Fischmarktviertel zu simulieren, wo Held Grenouille seine ersten Lebensjahre verbringt. Seine Geburt unter dem mütterlichen Marktstand ist in ihrer grellen Comic-Strip-Drastik gleich ganzer Tykwer und zugleich eine der eindringlichsten Szenen des Films. Zwischen den im Stakkato geschnittenen Nahaufnahmen von Fischköpfen und zappelnden Maden ringt das von seiner überforderten Mutter im Stich gelassene zarte Neugeborene mit blubberndem Atmen ums Überleben, während im Hintergrund Engelschöre jauchzen. Dann jagt die Kamera im Tiefflug zur Stadt hinaus, um erst in einem Froschtümpel wieder zur Besinnung zu kommen. Das sieht toll aus, lässt sich als synästhetische Metapher aber eher vom Kopfe her deuten als sinnlich einzuleuchten. Ein noch gravierenderes Darstellungsproblem aber droht auf der entgegengesetzten Seite. Denn während Grenouilles Geruchssinn so scharf ist, dass er die Emissionen kilometerweit entfernter Objekte aufnehmen kann, fehlt ihm selbst jeglicher Eigengeruch. Wenn aber schon Düfte schwer auf der Leinwand zu zeigen sind, wie zeigt man dann Nicht-Duft? Während sich das Produktionsteam um Eichinger und Tykwer von riesigen Schnüffelnasen bis zu assoziativen Montagesequenzen einiges einfallen ließen, um die sinnlich-stoffliche Präsenz von Pheromonen und Aromastoffen wenigstens zu behaupten, bleibt die für Grenouille existenzbedrohende Mangelhaftigkeit als Duftobjekt eine Leerstelle, die an die Grundsubstanz der Geschichte rührt. Hilfsweisen Ersatz bietet der Film auf zwei Ebenen: Einmal im Spiel von Hauptdarsteller Ben Wishaw, dessen geduckte Körperhaltung und verdruckste Mimik die Unbehaustheit Grenouilles anschaulich spiegeln. Zum anderen in einem begleitenden Erzählkommentar, der immer wieder fehlende Zusammenhänge liefert, mit dem Otto Sanderschen Märchenonkelton aber auf hohem Niveau fehlbesetzt ist.

Auch sonst treffen wir alte Bekannte: Corinna Harfouch darf mit Häubchen eine Parfümeurswitwe geben. Und es gibt ein schönes Wiedersehen mit Dustin Hoffmann, der in einer komödiantischen Nebenrolle den weißgepuderten Herrn Baldini gibt, einen abgehalfterten Pariser Erfolgs-Parfümeur, in dessen verstaubten Gefilden Grenouille das Duft-Handwerk erlernt, bevor es ihm nach Exquisiterem als Patschouli und Amber lüstet. Amor Psyche heißt das Erfolgsparfüm, das Mitte des 18. Jahrhunderts den Franzosen die Näschen verdrehte und das Grenouille gegen alle Lehrsätze des Drogistenhandwerks aus der "Lameng" auf dem Labortisch nachzaubert. Doch kommerzieller Erfolg ist ihm nicht genug. Der selbst Unriechbare will mit dem absoluten Duft die Welt betören. Dass die Quelle dieses ultimativen Parfüms unbedingt ermordete Jungfrauen sein müssen, lässt sich in Süskinds Roman zur Not als Kritik am romantischen Genialismus der Zeit mit seinen grassierenden Frauenopfern lesen. Der Film erlaubt diese Lesart nicht mehr, weil er uns die Leichen als erlesene Schauwerte geschmäcklerisch vorführt. Karoline Herfurth (Eine andere Liga) als delikat rosiges Mirabellen-Mädchen legt die Grundlage für diesen Fetischismus, der später in der ähnlich ätherischen und rothaarigen Laura (Rachel Hurd-Wood) seine Erfüllung findet. Als weibliche Füllmasse anonyme Provencelerinnen, die in riesigen gläsernen Bottichen ihrer Mazeration entgegentreiben, dem Aussaugen der Körpersäfte zu höherem olfaktorischem Zweck.

Dabei sind die strukturellen Parallelitäten vom Eichinger/Tykwerschen Filmprojekt zu Grenouilleschen Duftverführungsstrategien kaum zu übersehen, zielen doch beide auf Massenverführung durch einen aus mimetischer Anverwandlung geborenen Genuss. Welcher Produzent träumte nicht von der genialischen Intuition für den vom Publikum begehrten Stoff? Welcher Regisseur versuchte nicht, mit immer ausgefeilteren Techniken die Lebensnerven seiner SchauspielerInnen abzuzapfen? In der radikalen Unverfrorenheit seines Tuns ist Held Grenouille den hier beteiligten Filmemachern aber weit voraus und Das Parfüm ist wohl eher eine Art Amor Psyche-Verschnitt als der ultimative Duft. Immerhin sieht Grenouille/Wishaw im Film schon manchmal fast aus wie Tom Tykwer. Doch in Eichinger ist viel zu viel Baldini, um nicht doch immer wieder den Blick ins Rezeptbuch zu richten.


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