Der Weg ins Rampenlicht

Fliegender Besen statt Teppich Das Frauenfestival in Ankara ist das zweitgrößte Filmereignis der Türkei und Beleg dafür, dass auch Feminismus und Frauenförderung dort Tradition haben

Wie ein Krake streckt die Fast-Viermillionenstadt Ankara ihre Arme zwischen die kahlen Bergketten im Hochland Zentral-Anatoliens. Während am Stadtrand die letzten alten Holzbauernhäuser im Schatten der neu errichteten Hochhaussiedlungen verfallen, campieren nur einige Bahnminuten entfernt Landarbeiterinnen in behelfsmäßigen Plastikzelten. Auch in der Stadt selbst sind die sozialen Kontraste eklatant: Von den gepflegten Wohnvierteln auf den grünen Anhöhen hinter dem Regierungsdistrikt bis zu den Siedlungen der Zuwanderer und Verarmten, deren Hütten sich auf den Hügeln am anderen Ende drängen.

In Ankara lässt sich gut leben. Jedenfalls für die zehntausend Angestellten in den Ministerien und Regierungseinrichtungen der 1923 von Atatürk zur Hauptstadt erklärten Stadt. Es gibt viel Grün, bequeme Einkaufsmöglichkeiten, gute Ausbildungsstätten und ein funktionierendes Verkehrssystem. Nur in puncto Atmosphäre und Kultur steht die 3,9 Millionenstadt unweigerlich im Schatten ihrer schöneren und geheimnisvolleren Schwester am Bosporus. Weshalb hier das nach dem Istanbuler Filmfestival "nur" zweitgrößte Filmereignis der Türkei angesiedelt ist. Dass es ausgerechnet ein Frauenfilmfestival ist, das diesen Rang einnimmt, erstaunt nur auf den ersten Blick.

Denn trotz aller unbestreitbaren emanzipatorischen Defizite der Türkei vor allem in den ländlichen Regionen gibt es hier doch seit den laizistischen Reformen der zwanziger Jahre auch traditionell eine aktive Frauenförderpolitik, die etwa dafür gesorgt hat, dass die akademische Frauenquote weltweit an der Spitze liegt. Das Women´s Studies Center der Universität Ankara feierte letztes Jahr zehnjähriges Bestehen.

Aus Studentinnen rekrutieren sich denn auch weitgehend die Aktiven des Ucan Süpürge Uluslararasi Kadin Filmleri Festivali (auf Englisch Flying Broom International Women´s Film Festival). "Süpürge" steht dabei für den Besen. Und der fliegende Besen ist hier neben dem aus dem Ikonenrepertoire der internationalen Frauenbewegung vertrauten Hexenaccessoire wohl auch eine ironische Hommage an das orientalistische Bild vom fliegenden Teppich - im Logo dient der Hexenbesen einem rotmähnigen Frauenzeichen zum schwungvollen Abheben.

Ziel der Reise sind dabei neben der Filmkunst durchaus auch ganz praktische politische Interessen. Vor acht Jahren wurde das Filmfestival als Teil eines breiter angelegten sozialen Projekts gleichen Namens von Feministinnen gegründet. Ihr Anliegen war es, zwischen den vielen unterschiedlichen Fraueninitiativen, die in der Türkei arbeiten, die dringend benötigte fehlende Kommunikation herzustellen. Die Formen des Austauschs sind dabei so unterschiedlich wie die Adressatinnen, zu denen Akademikerinnen ebenso gehören wie Leseunkundige: Neben einer von der britischen Botschaft geförderten Datenbank zu Frauenprojekten gibt es periodische Bulletins, regelmäßige Radioprogramme und eine laufend aktualisierte türkisch-englische Website (www.ucansupurge.org). Mit der Vernetzung bestehender Projekte werden auch qualitativ neue Initiativen angestoßen. So etwa die Local Woman Reporters: Der Versuch, den mainstreamgesteuerten Medienflüssen in dem riesigen Land ein autonomes Informationsnetz entgegenzusetzen. Jeweils eine Städte-Vertreterin aus eine Gruppe vorher zu diesem Zwecke geschulter Frauen berichtet hier regelmäßig von den relevanten Neuigkeiten und Entwicklungen in ihrer Region. Veröffentlicht werden die Nachrichten auf der Website. Bisher sind insgesamt zwölf Städte von Izmir bis Dyarbakir im Südosten beteiligt, ungefähr drei Mal soviel sollen es in den nächsten Jahren werden, um die ungeheure Vielfalt und Entwicklungsspanne zwischen den Regionen annähernd adäquat abzubilden. Denn die Ehrenmorde in den ländlichen Provinzen haben mit den Problemen Istanbuler Studentinnen erst mal nur wenig zu tun. Flying Broom will das zumindest in den Köpfen ändern.

Einmal im Jahr treffen sich die Lokalreporterinnen auch persönlich in Ankara, um dort im Mai im Rahmen des zehntägigen Frauen-Filmfestivals ihre Arbeit zu feiern und ihre Erfahrungen mit Frauen und Männern außerhalb des Netzwerks zu teilen. Die Reporterinnen wohnen mit den anderen auswärtigen Festivalgästen im luxuriösen Sheraton-Hotel, dessen Lobby sich während der Festivalzeit mit Inseln räsonnierender Weiber-Grüppchen von den üblichen Anzugträgern erholen darf. Die beiden Festivalkinos befinden sich nicht weit entfernt im gutbürgerlichen Teil der Stadt zwischen Studentencafés und Schuhgeschäften. 43 Langfilme und 42 Kurzfilme standen auf dem diesjährigen Programm, darunter ein internationaler Wettbewerb, dessen FIPRESCI-Jury (übrigens die einzige bei einem Frauenfilmfestival) ihren Preis an Valeria Bruni-Tedeschis Il est plus facile pour un chameau vergab.

Während im Wettbewerb die Regieleistungen von Frauen aus aller Welt gewürdigt wurden, widmeten sich andere Reihen dem Schaffen von Darstellerinnen wie Katharine Hepburn oder der türkischen Schauspielerin Suzan Avci, die als blondes Gift in vielen Filmen seit den spätfünfziger Jahren die Rolle der "femme fatale" im türkischen Kino verkörperte.

Eine Sonderrolle nahm ein Programm mit Filmen einer anderen fatalen Frau ein, der auch im Westen als Quasi-Pornographin gehandelten französischen Regisseurin Catherine Breillat, die mit Filmen wie Une vraie jeune fille (1976) und später Romance (1999) fast Kultstatus erlangte. Als ihr jüngster Film Anatomie de l´enfer (2004) im Februar in einer Sondervorstellung der Berlinale lief, war es nur den kampfeslustigsten Cineasten vergönnt, sich einen Platz im Auditorium zu ergattern. In Ankara konnte man sich jetzt Breillats Tour de Force durch vier Nächte weiblichen Begehrens in aller Ruhe anschauen. Denn das Interesse war zwar - wie bei den meisten anderen Filmen auch - durchaus rege, doch die Aufnahme gelassen: Der von Programmgestalterin Aysegul Özguz wohl insgeheim aus PR-Gründen auch ein wenig erhoffte Skandaleffekt blieb jedenfalls aus.

Zu erregten Diskussionen kam es dagegen bei einem ganz anderen Film und einem Thema, das mit Geschlechterpolitik kaum zu tun hat: Die französische Regisseurin Claire Devers zeigte in einem der schönsten Filme des Festivals das Schicksal eines im Marseiller Hafen gestrandeten Frachters und seiner Restbesatzung als poetische Metapher für die Fluidität menschlichen Lebens. Unmut entzündete sich ausgerechnet an der Realismusfrage: Der Akzent des Matrosen mit südosttürkischer Herkunft - für die Regisseurin eine Figur, die den Verlust an Heimat und Erdverbundenheit verkörpert - sei falsch. Der Darsteller, wie sich beim Gespräch herausstellte, ein Spanier, der nur für seine Rolle ein paar türkische Sätze gelernt hatte, spreche angeblich mit deutschem Akzent. Ein alberner und zufälliger Konflikt? Mag sein.

Andererseits ist die Fixierung auf Fragen der Identität symptomatisch für den aktuellen Umgang mit den Verunsicherungen der Globalisierung. So ist auch das Frauenbild auffällig vieler Filme von traditionellen Weiblichkeitsvorstellungen geprägt. Die aufsässigen frechen Weiber der Vergangenheit sind auf der Leinwand gegenüber den etwa unter Kinderlosigkeit leidenden deutlich in der Minderheit. Und die schönsten und freiesten Filme der Regisseurinnen waren vielleicht nicht zufällig diejenigen, die sich wie Devers´ Les marins perdus die Beobachtung von Männern zum Thema machen.

Den jungen Festivalorganisatorinnen sind solche Weiblichkeitsfundamentalismen eher fremd, wie sie mit ihrem restlichen Programm zeigen. Das inhaltlich größte Problem des Festivals besteht eher darin, seine Reichweite über das großstädtische Studenten- und Akademikerpublikum hinaus auszudehnen - wobei der Anteil an Männern (die übrigens auch als Praktikanten im Festivalteam mitarbeiten) überraschend hoch ist. Man versucht der sozialen Beschränkung mit Regional-Tourneen und kontinuierlicher Bildungsarbeit entgegenzusteuern.

Das größte praktische Problem für den Flying Broom - wie für die meisten Veranstaltungen dieser Art - bildet die Finanzierung. Gerade die privaten Sponsoren wollen oft nicht wahrhaben, dass auch eine scheinbar randständige Frauenveranstaltung enorme Mittel verschlingen kann, sagt Didem Baltaci vom Organisationskomitee. So muss Kleinvieh Mist machen: Über vierzig verschiedene Förderer sind neben Staat und Stadt auf der Sponsorenliste verzeichnet, darunter an vordersten Stellen neben dem Fernsehsender TRT auch ein Kondomhersteller, der vor Breillats Filmen mit Gratispäckchen für sich warb. Eine andere schleichende - und vielleicht eher von außen sichtbare - Gefahr dürfte die Vereinnahmung durch die offizielle Politik sein, deren männliche Vertreter sich mit der Kulturveranstaltung schmücken und im Katalog auffallend gerne von der "speziellen Sensitivität" der Frauen reden.

Bei der fürs Fernsehen perfekt inszenierten Abschlussveranstaltung im ehrwürdigen Opernhaus saß der türkische Außenminister und Vizepremier Abdullah Gül mit seiner verschleierten Ehegattin in der Ehrenreihe, während vor ihnen auf dem Podium die tief dekolletierte und blondierte Mittsechzigerin Belkis Özener das Publikum mit ihren erfolgreichsten Liedern beglückte. In dreihundert Filmen vor allem der sechziger und siebziger Jahre hatte Özener großen Stars und Sternchen für das Kino ihre Stimme geliehen, ohne je mit ihrem Namen im Abspann aufzutauchen. Der Verzicht auf den starüblichen Glamour ermöglichte ihr selbst, sich verstärkt dem Familienleben zu widmen. Auch eine Form von Verschleierung, wenn auch aus anderen als den üblichen Motiven. Belkis Özener hat in Ankara einen Ehrenpreis erhalten. Doch wichtiger ist vielleicht, dass sie endlich unter ihrem eigenen Namen im Rampenlicht steht.


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