Verrückte Idee

Dokumentarfilm Christian Tod wirbt in „Free Lunch Society“ für das Grundeinkommen
Ausgabe 05/2018

Gern zitieren Neoliberale die Pseudo-Weisheit: „There’s no such thing as a free lunch.“ Dass sich menschliches Wirtschaften auch anders als in den Kategorien von Knappheit und Eigeninteresse denken lässt, wurde schon vor Karl Marx diskutiert. Fast so lange gibt es die Idee, Arbeit und Einkommen zu entkoppeln und jedem Menschen vom Staat her den Lebensunterhalt zu stellen.

Bedingungsloses Grundeinkommen heißt diese Idee in Deutschland oder Österreich, woher der Film Free Lunch Society kommt. Der macht in einem klassischen dokumentarischen Rundgang Experten und Projekten von den USA über Zentraleuropa bis nach Namibia seine Aufwartung. Dabei stehen neben Talkshow-Gesichtern wie dm-Chef Götz Werner und Michael Bohmeyer, dem Gründer der Grundeinkommen-Lotterie, auch Überraschungskandidaten parat.

Martin Luther King etwa, der in den 1960er Jahren dafür eintrat, die kommende Umwälzung der Arbeit durch die Digitalisierung mit einem Grundeinkommen zu bekämpfen. Oder der libertäre US-Politologe Charles Murray (In Our Hands, 2006) vom American Enterprise Institute, der in Statements vorführt, wie die Idee unter dem Etikett „negative Einkommensteuer“ gerade von neoliberalen Ökonomen wie Friedrich Hayek und Milton Friedman unterstützt werden kann: Die garantierte Alimentation stärkt paradoxerweise die individuelle Autonomie gegen staatliche Institutionen.

Es ist dieser Aspekt der persönlichen und gesellschaftlichen Ermächtigung, der den Regisseur und studierten Ökonomen Christian Tod mehr als Rechenexempel interessiert. Dass die „crazy idea“ (so Fox Business in einem der vielen illustrierenden TV-Schnipsel) finanziell machbar ist, wird eher nebenbei abgehandelt. Das von Gegnern des Grundeinkommens gern vorgebrachte Argument drohender kollektiver Arbeitsverweigerung bekommt mehr Raum, wird aber vielfach widerlegt. Werner argumentiert, dahinter verberge sich die Angst, abhängig Beschäftigte verdingten sich mit Grundsicherung im Rücken nicht mehr zu ganz erbärmlichen Bedingungen.

Die narrative Idee, die Geschichte rückblickend aus einer utopisch verwandelten Zukunft zu erzählen, ist charmant und zeigt wie der suggestive Titel, dass die Filmemacher keine Neutralität anstreben, sondern wie ihre Protagonisten das Grundeinkommen als probates Mittel zur Befreiung aus dem Zwang zur Niedriglohnarbeit etwa bei Walmart sehen.

Interessanter aber sind die Ausflüge zu weniger bekannten historischen Exempeln. Nach Alaska, wo seit riesigen Ölfunden 1969 im Sparfonds Alaska Savings Account gesicherte 900 Millionen Dollar bis heute jährliche Dividenden für die Bürger bringen. Oder in die kanadische Kleinstadt Dauphin, wo Ökonomen im Mincome-Experiment zwischen 1974 und 1978 die sozialen Auswirkungen eines Grundeinkommens untersuchten. 1978 wurde das Projekt wegen Geldmangels ohne Auswertung eingestellt. In den USA gab es in den 1960er Jahren ähnliche Forschungen, Präsident Johnson (wie später Nixon) plante die Einführung eines Family-Assistance-Programms – mit dem jungen Donald Rumsfeld an der Spitze. Auch hier blieben Umsetzung und Auswertung ob der Gegenwehr des damaligen kalifornischen Gouverneurs Reagan 1970 stecken.

Sichtbare Erfolge dagegen zeigte ein Versuchsprogramm des namibischen Ministers für Armutsbekämpfung und Wohlfahrt 2008 bis 2012 in dem Dorf Otjivero:. Auch deswegen, weil schon eine kleine monatliche Summe ausreicht, um den Bewohnern mit eigener Nähmaschine oder eigenem Werkzeug den ersten Schritt aus der Armut zu ermöglichen. Die geplante Ausweitung des Projekt hat aber trotzdem nicht stattgefunden, auch hier wurden notwendige begleitende Nachuntersuchungen nicht durchgeführt. So zeigt Tods Film vor allem: Den Bedarf nach langfristiger Praxis mit dem Grundeinkommen.

Info

Free Lunch Society Christian Tod Deutschland/Österreich 2017, 95 Minuten

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