Schulterzucken

Debüt Mit Wiener Schmäh und leichtfüßiger Lakonie plus Klassenkritik: Stefanie Sargnagels Roman „Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin“

Sargnagels Spezialgebiet ist die bissige Kurzprosa: Sie braucht wenige Zeichen für zündende Pointen. Sargnagels Tweets und Facebook-Meldungen, in denen sie ihren Alltag als Callcenter-Mitarbeiterin dokumentiert oder das World Wide Web von sonstigen Beobachtungen unterrichtet, sind bereits in Buchform erschienen. Allesamt wurden sie vom Feuilleton gelobt und Sargnagel als Hipsterphänomen gefeiert. Dabei wirkte die Autorin selbst stets so, als seien ihr Rezensionen, Diskussionen um ihre Person und die sogenannte Literatenszene gehörig egal. Mit Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin behält Sargnagel nun die Pose des gleichgültigen Schulterzuckens konsequent bei. Wie auch in ihren sonstigen schriftlichen Erzeugnissen, geht es um sie selbst, genauer: Ihre Jugend.

Inwiefern Stefanie Sargnagel, bürgerlich eigentlich Sprengnagel, ihren ersten Roman wahrheitsgetreu erzählt, weiß man nicht. Aber darum geht es auch gar nicht: Die 34-Jährige schreibt schließlich vom eigenen Teenie-Dasein. Eine Zeit, die man als Erwachsener vermutlich gar nicht betrachten kann, ohne sie zumindest ein bisschen zu verklären. Die Protagonistin „Steffi“ jedenfalls lebt in Wien und geht auf ein spießiges Gymnasium – zumindest theoretisch. Praktisch verbringt sie ihre Zeit wie es eine Tagediebin eben tut: Sie schwänzt die Schule, flaniert mit ihrer Freundin durch die Parks der Stadt, trinkt Unmengen Dosenbier oder hängt in ranzigen Kneipen ab, die „Café Stadtbahn“ heißen. Über die skurrile Wiener Randgesellschaft, die an genau diesen Orten ebenfalls strandet, freut sie sich. „Aha, und du spritzt dir hier also immer dein Heroin, oder wie?“ fragt sie etwa den Junkie im Park mit naiver Neugierde.

In einer dieser Beisl („Kneipe“ auf Wienerisch) trifft sie auch „den Aids-Michl“, einen Alkoholiker, der durch wirre Monologe begeistert, süffisant lächelt und dabei wirkt, „als würde ihn die ganze Welt in ihrer Dummheit nur amüsieren.“ Michi wird schnell zum Helden des Buches, als Steffi sich mit ihm anfreundet und seine Ein-Zimmer-Wohnung zum Zentrum ihres Alltags wird. Linke Jugendliche, Außenseiter und alle, die sonst nicht wissen wohin, treffen sich in Michis Wohnung zum Simpsons schauen, Kiffen oder Biertrinken. Sonst passiert in Dicht nicht viel, außer dass die Protagonistin irgendwann endgültig durch die Lehrer*innen von der Schule gemobbt wird, und es, wie für Jugendjahre üblich, lauter Premieren gibt: Erste Küsse, erste Drogenerfahrungen, erste selbst unternommene Reisen.

Mit Wiener Schmäh und leichtfüßiger Lakonie platziert Sargnagel unprätentiöse Spitzen und mischt dunklen Humor mit ordentlich Tragik – ohne ins große Drama zu verfallen. Gleichmäßig unbeeindruckt erzählt sie von dem Typen, der nach zu viel Absinth glaubt, ein Wolf zu sein, und Typen, die glauben, dass Erniedrigung eine gute Art ist, mit Frauen umzugehen. Letzteres quittiert sie nach dem Besuch eines überheblichen Therapeuten mit den Worten: „Damals wusste ich nicht, dass Frauen alles besser können.“ Sargnagel beschreibt zwar eine Jugend voller Hedonismus, lässt aber keinen Zweifel daran, dass dieser eine Antwort auf das stumpfsinnige Raster aus durchgetakteten Lebensentwürfen ist. Und durch dieses fällt sie als „ideell verballertes Hippiemädchen“ mit ihrem Arsenal aus schrägen Figuren, allesamt prekär lebend, nun mal durch. Sie hat eine Jugend zu verschwenden, weil sie der Gesellschaft eine Absage erteilt, ohne genau das je zu romantisieren. Es ist nur konsequent, dass am Ende von Dicht kein überraschender Showdown wartet oder eine besondere Erkenntnis entspringt – außer der einen: Stefanie Sargnagel funktioniert auf Romanlänge genauso gut, wie in den kurzen Texten, die sie berühmt machten.

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Dicht Stefanie Sargnagel Rohwolt

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