Todesreiter von Darfur

Kino Am 23. März 2005 erschien in der New York Times ein Artikel über den damals 28-jährigen Brian Steidle, einem ehemaligen US-Marine-Soldaten. Der ...

Am 23. März 2005 erschien in der New York Times ein Artikel über den damals 28-jährigen Brian Steidle, einem ehemaligen US-Marine-Soldaten. Der Beitrag trug den Titel The American Witness und konfrontierte eine internationale Öffentlichkeit mit außergewöhnlich drastischen fotografischen Dokumenten einer zunehmend eskalierenden Auseinandersetzung, die sich seit über einem Jahr im Nordosten Afrikas zutrug. Die Ereignisse in der westsudanesischen Provinz Darfur waren zu diesem Zeitpunkt zwar schon medial präsent und Gegenstand von UN-Resolutionen, aber noch nicht im Konsens der Staatengemeinschaft auf den Begriff "Genozid" gebracht. Augenzeugenberichte und Bildmaterial zirkulierten weitestgehend unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des westlichen Nachrichtenmarktes.

Steidle war Anfang 2004 im Auftrag der "Afrikanischen Union" (AU) als neutraler Militärbeobachter in den Sudan gekommen, um die Einhaltung eines Abkommens zu observieren, das den eben beendeten Bürgerkrieg zwischen dem arabisch geprägten nördlichen Teil des Landes und dem schwarzafrikanisch dominierten Süden nachhaltig befrieden sollte. Als die Zentralregierung aus Khartum auf peripher dazu aufflammende Autonomiebestrebungen in der westlichen Region Darfur mit der systematischen Bewaffnung von verbündeten lokalen Milizen reagierte, fand sich Steidle unvermittelt im Zentrum eines brutalen Konfliktes wieder, der unzweideutig auf "ethnische Säuberung" ausgerichtet war. Angeleitet von Regierungstruppen marodierten Reitermilizen, die so genannten "Dschandschawid", durch die Region, brannten ganze Städte nieder und töteten nach jüngeren Schätzungen allein im Sommer 2004 bis zu 50.000 Zivilisten

Es waren die Fotografien der malträtierten Opfer, die Steidle der New York Times zur Publikation übergeben hatte, die ihn zur öffentlichen Figur werden ließen und schließlich sogar in die Situation brachten, Außenministerin Condoleezza Rice persönlich über seine Erlebnisse in Kenntnis setzen zu können. Der diese Woche in die Kinos kommende Film Die Todesreiter von Darfur handelt nicht zuletzt von einer eher unfreiwilligen Medienkarriere.

Kurz aber heftig wird der junge Mann durch die US-Nachrichtenstationen gereicht, avanciert zum Protagonisten des Protests gegen die Untätigkeit der westlichen Welt. Er spricht sogar auf einer zentralen Darfur-Kundgebung in Washington, die auch Barack Obama zur außenpolitischen Profilierung nutzte. Man sieht deutlich, dass Steidle von der Exponiertheit seiner Sprecherposition im Grunde überfordert ist. Die Illusion, dass das Desinteresse der Staatengemeinschaft lediglich aus einem Mangel an Informationen resultiert, wird ihm schnell genommen. Auch seine eigentlich stabilen patriotischen Überzeugungen beginnen unter der nicht vorhandenen Interventionsbereitschaft der eigenen Regierung zu erodieren.

The Devil Came on Horseback heißt der Film von Ricki Stern und Annie Sundberg im Original, was fast nach einem Streifen von Raoul Walsh klingt. Im Unterschied zu diesem mangelt es den Regisseuren jedoch erheblich an handwerklichem Überblick. Sie möchten aufrütteln, finden aber keinen angemessenen Zugriff auf das verstörende fotografische Material, das unvorstellbare Verstümmelungen zeigt. Der Film integriert die Fotos buchstäblich als Schnappschüsse und macht selbst vor illustrativ eingestreuten Klickgeräuschen nicht Halt. Die Zeugnisse werden dabei zu dekontextualisierten Signalen des Horrors entwertet.

Unproduktiv heftet sich der Film an eine subjektive Perspektive, die dem wahrgenommenen Leid ratlos gegenübersteht. Immer wieder ist Steidle, der mit aufwendiger Kameraausrüstung und spiegelverglaster Sonnenbrille posiert, der einzige Fluchtpunkt der Betrachtungen. Die Filmemacherinnen kapitulieren insbesondere vor den Fotografien des Schreckens, die sie zu allem Überfluss visuell abwechslungsreich zu präsentieren versuchen. Die vermutlich guten Intentionen verlieren sich dabei in jener formalen Beliebigkeit, die gerne als "Ästhetisierung" gebrandmarkt wird, hier aber wohl eher dem Bemühen geschuldet ist, eine attraktive Filmsprache für einen von der Weltöffentlichkeit politisch lange ignorierten Genozid zu finden. Von dessen Ausmaß weiß der Film leider wenig zu berichten.

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