Nicht mehr unterwegs

Dauer-Exil Zum Tod des Schriftstellers Fred Wander (1917-2006)

Viele Orte, Städte, Länder und Landschaften hat der fast 90jährige Fred Wander in seinem Leben gesehen, allerdings nicht ganz freiwillig. Denn seine ostjüdisch-galizische Herkunft machte den in Wien 1917 geborenen Fritz Rosenblatt, erst seit 1950 nannte er sich wegen des antisemitischen Klimas im Nachkriegs-Österreich unverfänglicher, aber doch beziehungsreich Fred Wander, zum Verfolgten des Nazi-Regimes. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, erlebte er seit seinem 14. Lebensjahr als "Gassenjunge" bei seinen verschiedenen Tätigkeiten in Österreich einen solch "rabiaten Antisemitismus", dass er bereits früh durch Italien, die Schweiz und immer wieder Frankreich vagabundierte. Die Erfahrungen des Exils, des Außenseitertums, der Heimatlosigkeit machte er schon, bevor er 1939 in Paris interniert und durch verschiedenen Lager und Gefängnisse geschleppt wurde, bis er schließlich 1942 über das berüchtigte Durchgangslager Drancy nach Auschwitz kam. Seine letzte Lager-Station heißt Buchenwald, wo er im Mai 1945 die Befreiung erlebte.

Nach einigen Jahren als Reporter und Bild-Journalist in Wien, siedelte er, der 1950 Mitglied der KPÖ (Austritt 1968) geworden war, 1955 in die DDR über, wo er zusammen mit seiner Frau Maxie Wander und Kindern in Klein-Machnow bei Berlin lebte. Nach mehreren Jugend- und Reise-Büchern kam 1971 im Aufbau Verlag die (2005 bei Wallstein neu aufgelegte) Erzählung Der siebente Brunnen heraus.

Nach über 23 Jahren Abstand zum Durchlittenen widerlegt auch Wander Adornos Verdikt, dass man über beziehungsweise nach Auschwitz nicht schreiben könne, auf originäre Weise. All die Jahre hatte er die Bilder im Kopf gehabt. Das Leben erschien ihm als "eine mehrfach belichtete Aufnahme", aber "unter allen Schichten lag das eingebrannte Abbild des Abgrunds." Und auch er fragte sich: Wie das in Sprache fassen? Was konnte man über Millionen von Toten sagen? Und Wander fand, dass man über einige schon eine Geschichte erzählen könne. Anknüpfend an die jüdischen Erzähl-Traditionen und die eigene Erfahrung, dass "reden, erzählen, auch Geschichten erzählen" etwas war, "was einige von uns in den Jahren des Lagerlebens retten konnte", baut er einen Geschichten-Kranz aus zwölf Teilen. Der Erzähler berichtet empathisch aus der Mitte des Geschehens, legt meist unkommentiert Zeugnis ab vom Grauen und Überlebenswillen der Häftlinge, die von den "Gestiefelten" drangsaliert werden. Die Einzelschicksale, die jiddischen Passagen und die besonderen Erzählweisen spiegeln den vernichteten kulturellen Reichtum des ost- und westeuropäischen Judentums.

An Joschko und seine Brüder, erinnert sich der in den Kinderbaracken des KZ-Buchenwald versteckte Erzähler im Frühjahr 1945. Hier im sogenannten Kleinen Lager, einem düsteren und barbarischen Ort, der wegen Typhus von den Nazi-Bewachern nicht mehr betreten wird, erblickt er in der gegenseitigen Fürsorge der Kindergruppe eine Hoffnung. Die bestialischen Bedingungen des Lagers hätten ihre menschliche Substanz nicht zerstören können. "Da wußte ich: Es fängt alles wieder an, es ist nichts verloren!"

Als ein Auszug von Joschko und seine Brüder im Mai 1971 im Sonntag vorabgedruckt wurde, gab es einen nicht öffentlich werdenden Protest aus dem Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR, der die Perspektive Joschkos als nicht repräsentativ ablehnt sowie das Fehlen des "Kampfes der Politischen" moniert. Das literaturkritische Echo blieb verhalten, der Stellenwert des Buches für die antifaschistische Literatur in der DDR wurde nicht erkannt. Aber auch im Ausland brauchte das Buch trotz einiger Übersetzungen lange, bis es in einer Reihe mit Imre Kertesz,. Ruth Klüger, Jorge Semprun, Tadeus Borowski und Primo Levi genannt wurde.

Wanders Schreiben bleibt autobiographisch geprägt: Ein Zimmer in Paris (1975) sowie Hotel Baalbek (1991) verarbeiten seine verschiedenen Exil-Stationen. Nach dem frühen Tod seiner Frau Maxie 1977 bringt er in einem beeindruckenden Akt von Trauerarbeit deren Tagebücher und Briefe (1979) heraus. Desillusioniert von dem deutschen sozialistischen Experiment, er hatte sich in der DDR nur als Gast gefühlt, jedoch gute Freunde gefunden, lebte er seit 1983 wieder in Wien, wo ihm 2003 der Theodor Kramer Preis verliehen wurde. Über sein Leben im Dauer-Exil geben seine Erinnerungen Das gute Leben (1996, erweiterte Neuauflage 2006) Auskunft. Ihr letzter Satz lautet: "Ich bin unterwegs, mein Gepäck ist leicht."


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