Infarkt im Stadtzentrum

Stadtentwicklung Mit der Krise der Kaufhäuser - Stichwort Arcandor - ist die Schrumpfungsdebatte in den Herzen der Städte angekommen. Zeit für ein neues Konzept

Handel ist Wandel? Das große Kaufhaussterben von Hertie, Woolworth bis Karstadt und die Verödung der Flaniermeilen wird in der Öffentlichkeit überwiegend als Managementproblem und Konzeptkrise wahrgenommen. Anders als die kämpferischen Belegschaften dieser Tage vielleicht annehmen, wird aber weder die von der Politik geforderte unternehmerische Lösung noch eine Staatsbürgschaft das Problem dauerhaft lösen können. Es sind die Zahlen, die nachdenklich machen: Drei Prozent Marktanteil büßte zuletzt Karstadt ein – was etwa 50 Prozent des Gesamtumsatzes des Arcandor-Konzerns ausmachte. Dabei sind drei Prozent keine kritische Marge. Die verliert man schon infolge des demografischen Wandels: Weniger junge, konsumbedürftige Haushalte, dafür mehr Alte, die keine Haushaltswäsche oder Speiseservices mehr kaufen. Wenn also allein drei Prozent weniger Marktanteil (das entspricht grob dem Geburtenrückgang seit 30 Jahren und dem Ausfallen allein der Schultüten, Winterjacken und Hochzeitsaustattungen dieser Generation) eine solche Auswirkung haben – was geschieht erst, die Folgen der Krise noch nicht einmal eingerechnet, wenn die Bevölkerung in Deutschland demnächst um bis zu 17 Prozent zurückgeht?

In monofunktional auf Einkauf ausgerichteten Innenstädten wie Kiel, Wuppertal oder Mainz droht bereits jetzt der urbane Herzinfarkt. Verödung, zugeklebte Schaufenster und Zwischennutzungen durch Discounter sind vor allem in von Arbeitern geprägten Gegenden ein Indikator für die Krise. Aber die Stadtplanung doktert nur an den Symptonen herum, während der Zusammenhang mit weit reichenden Schrumpfungsprozessen nicht erkannt wird.

Der Leerstand hat nämlich im Zuge der Globalisierung mit dem Aus für Fabriken begonnen, Schrumpfung galt als so genanntes Deindustrialisierungsphänomen. Die Leute zogen der Arbeit hinterher, viele Wohnstädte bekamen bald die Auswirkungen zu spüren. Die Neustadt von Hoyerswerda verlor in 15 Jahren fast die Hälfte der Einwohner, in Bremen stand nach dem Ende der Werft eine halbe Wohnstadt plötzlich leer.

Zögernd und ungläubig nahm die Politik das hässliche Wort Schrumpfung an, das von Ausgabenkürzung bis Streckenstilllegung nichts anderes bedeutet, als dass die Ära des Wachstums zu Ende geht. Seither bezahlt der Steuerzahler mit dem millionenschweren Programm Stadtumbau die zunehmende Perforierung der Stadt.

Nun also die Kaufhäuser. In Hoyerswerda beispielsweise wurde auf dem Weg von der Bergarbeiter- zur Einkaufstadt das halbe Zentrum abgerissen. Wie kurzsichtig: Denn wo nicht mehr gewohnt wird, braucht es auch keine Federbetten oder Messerblöcke mehr. Besonders in Ostdeutschland leben die Kaufhausketten indirekt von staatlichen Transfers, hier ist Vater Staat längst zum wichtigsten Ernährer geworden.

Es wäre betriebswirtschaftlich aberwitzig, Kaufhäuser retten zu wollen. Denn der große Umsatzeinbruch steht überhaupt erst bevor. Was aber werden Goldmann Sachs und Co. dann mit ihren deutschen Liegenschaften anfangen? Und was folgt in der Schrumpfungskette, wenn die Kaufhäuser erst geschlossen sein werden. Gebäude notleidender Banken, neuere Wohnbauten? Dass die Kaufhäuser dem Untergang geweiht sind, führt uns drastisch vor Augen: Wir brauchen dringend ein neues Konzept für die Innenstädte.

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