Die größten Wahrheiten aus Stewart O´Nans Universum sind am einfachsten in seinem Roman Speed Queen zusammengefasst. Über die Liebe sagt da die Serienmörderin Marjorie am Vorabend ihrer Exekution: "Manchmal braucht es nicht viel für die Liebe. Man muss einfach dasein, wenn sie sich zeigt." Und über die Kleinstadt: "Das Leben im Todestrakt ist genau wie in einer Kleinstadt. Es ist langweilig, und jeder weiß über die andern Bescheid." Speed Queen, ein erbarmungsloser Roadmovie im Stil von Pulp Fiction, war 1998 der zweite Roman von O´Nan, der nach dem Erfolg von Engel im Schnee (1997) auf deutsch erschien. Es war der Roman, der O´Nans legendären Ruf als literarischer Bändiger amerikanischer Populärmythen zwischen Burger Ki
#228;rmythen zwischen Burger King und Stephen King befestigte.Die Widmung in Speed Queen lautete damals nämlich "Für meinen lieben Stephen King", und es ist der Fürst der literarischen Dunkelheit himself, der heute über O´Nans Roman Halloween (The Night Country) schreibt: "Eine unheimliche, traurige, lustige, fesselnde Lektüre." Nun darf man dem lieben Stephen King gewiss einen großen Teil der Hauptschuld daran zuschieben, dass es in nicht ganz ernst gemeinten amerikanischen Fernsehserien und Kinofilmen nur so wimmelt von Über- und Unterirdischen, von Zombies aller Arten, Vampiren (Buffy) und untoten Piraten (Pirates of the Caribbean), nicht aber, dass er je beabsichtigt hätte, daraus hohe Literatur zu machen. Das hat er Stewart O´Nan überlassen. Einem Mann, der das Credo seiner Arbeit erstaunlicherweise so zusammenfasst: "Ich möchte schreiben wie Tschechow. Ich möchte zu meinen Figuren so gut sein wie er. Und so großzügig."Nicht ein Hauch von "Trash" oder "Popliteratur" schwingt in diesen Worten mit, und auch wenn man die drei schlichten, schon beinah biblischen Gesetzmäßigkeiten betrachtet, um die sich O´Nans Romane schlingen, wird einem aufrichtig ernsthaft zu Mute. Sie heißen: Eine Liebe ist eine Liebe, ein Tod ein Tod und eine Schuld eine Schuld. Dazwischen bewegt sich ein Personal wie bei Ödön von Horváth: Einfache Leute, häufig zu jung, um vorsichtig zu sein, oder zu kaputt durch Drogen, Unfälle, Schuldgefühle oder religiöse Abseitspfade, um das richtige Maß ihres Tuns noch zu erkennen. Verschuldet, verliebt, verletzt, verloren. Überfordert von einer kleinen Welt, die das Wort Glamour nie gekannt hat, dafür gesättigt ist von den Fettdämpfen der Fastfood-Lokale und den verödeten Einkaufsstraßen in den Shopping-Malls am Stadtrand.In Halloween ist es ein Haufen wohlstandsverwahrloster Teenager in O´Nans derzeitiger Heimatstadt Avon, Conneticut. Drei von ihnen kommen in einem schaurigen Verkehrsunfall um, zwei überleben, einer davon, Kyle, ohne Gedächtnis und mit einem zusammengeflickten Gesicht. An Halloween, dem Tag der Masken und des kleinen Glücks in Form einer nimmer leeren Schale mit Süßigkeiten neben der Haustür, kehren die Geister der Toten wieder, denn jetzt wird das große Sühnefest stattfinden, die Rache an einem Polizisten, der in den Unfall verwickelt war. Das Ganze ist ein Experiment, für alle, für die Besucher aus dem Jenseits, die Lebenden, die Leser und die Erzählstimme, die einem der drei Toten gehört: "Dies ist eine Abenteuergeschichte, eine Einladung zum Wahnsinn, ganz natürlich und doch verboten, verlockend", heißt es im Prolog, um dann gleich das Amerikanische an der Geschichte zu spezifizieren, um die Sehnsucht nach der Ausweitung der engen Kleinstadtrealität ins Jenseitige, die sich an Halloween Luft machen darf, zu benennen: "Komm jetzt, du liebeskrankes Amerika, du ängstliches, seliges, gebildetes Amerika, komm, schleich durch die dunklen Seitenstraßen, und stell dich vor die Häuser, ruhig wie ein Mörder, still wie ein Hirsch... Komm, du Träumer, du Zombie, du Ungeheuer."Der Prolog ist ein geschickter Trick O´Nans, ein Zoom aus einer sehr lyrischen Ansprache heraus, die klingt, als käme sie aus einem klassischen griechischen Drama, ein Zoom auf Avon, auf die Protagonisten, und zugleich ein Eingeständnis, dass es sich bei der ganzen Anordnung auch um eine alptraumartige Heimsuchung handeln könnte. Es ist der gleiche Trick, wie ihn Lars von Trier zu Beginn seines Films Dogville anwandte. Und wie bei Dogville gibt es im Verlauf der Geschichte kein rationales Entrinnen mehr. Denn was sich anschließend abspielt, was entsteht durch den Krimi, die Alltagsgeschichten - besonders berührend ist die Verzweiflung von Kyles Mutter, die im Grunde keine Ahnung hat, wie sie mit ihrem zum Monster gewordenen Sohn umgehen muss -, durch das Wechselspiel in den Beobachtungen der Toten und den Handlungen der Lebenden, durch die unheimliche Kulisse von Halloween und die ständige Präsenz der Unfallnacht, lässt sich nur mit dem Wort Trance beschreiben. Es ist eine waghalsige Kreuzung aus blutrünstiger Horrorstory und atmosphärisch feingliedriger literarischer Erzählung, die ihre Figuren "jung und kaputt im Herzen des Landes" untergehen lässt. Ausweglos dunkel und temporeich, großartig miteinander verschmolzen, nicht zuletzt durch die jugendlichen Sehnsuchtsschübe, die von einer Welt in die andere hineinreichen, und am Ende ist man sich für einen verwirrten Moment sicher, dass es kein Hüben ohne Drüben gibt.Stewart O´Nan, 1961 in Pittsburgh geboren und gelernter Flugzeugingenieur bevor er vor rund zehn Jahren seinen ersten Roman schrieb - inzwischen sind es acht Romane, zwei Sachbücher und ein Erzählband -, hat sich in den vergangenen Jahren in Europa als einer der deutlichsten Kritiker der Bush-Periode hervorgetan. Seine Beiträge für europäische Zeitungen sind resignierte Hintergrundreportagen eines Amerikaners, der mit ganzem Herzen Amerikaner ist und mit ganzem Herzen am ideologischen Backlash seiner Heimat leidet. Denn Amerika ist bei O´Nan trotz allem die reichste literarische und poetische Figur von allen, und ausgerechnet in seinem düsteren Roman Halloween hat er ihr diesen schönsten und tröstlichsten Satz gewidmet, den je einer über Amerika gefunden hat: "Komm jetzt, du liebeskrankes Amerika."Stewart O´Nan: Halloween. Roman. Deutsch von Thomas Gunkel. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2004. 256 S., 19,90 EUREbenfalls jetzt von Stewart O´Nan auf Deutsch erschienen: Ganz alltägliche Leute. Roman. Deutsch von Thomas Gunkel. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004. 320 S., 12,- EUR
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