Stopp der Menschenverachtung

Referendum In Irland gilt ein extrem restriktives Abtreibungsrecht. Heute können die Bürger über die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen entscheiden. Es wäre höchste Zeit
Ja, auch in Irland sollte das Abtreibungsverbot gekippt werden
Ja, auch in Irland sollte das Abtreibungsverbot gekippt werden

Foto: Artur Widak/AFP/Getty Images

Gaye Edwards hat hart für diesen Tag gekämpft. Am heutigen Freitag stimmen die Irinnen und Iren darüber ab, ob das Abtreibungsverbot in ihrem Land gekippt werden oder erhalten bleiben soll. Der Ausgang des Referendums, um den das erzkatholische Land bis zur letzten Minute hart ringt, ist ungewiss. Noch liegen die Befürworterinnen und Befürworter einer grundlegenden Reform leicht vorn. Ob Abtreibung dann tatsächlich legalisiert wird, ist längst nicht ausgemacht.

Der heutige Freitag hat viel mit Gaye Edwards zu tun. Die Irin und ihr Mann haben erlebt, was man ohne Umschweife unmenschlich nennen muss: Vor über 15 Jahren wurde die Frau das erste Mal schwanger, das junge Paar freute sich auf das Baby. Aber das Kind wäre nie lebensfähig gewesen. Gewöhnlich wird in solchen Fällen die Schwangerschaft beendet. Um das Leben der Mutter zu schützen und der Schwangeren, dem Vater und dem Ungeborenen unnötiges Leid zu ersparen.

Nicht so in Irland. Dort gilt – neben Polen und Malta – das restriktivste Abtreibungsrecht in Europa. Abtreibungen gelten als Mord und sind in nahezu jedem Fall verboten. Selbst nach einer Vergewaltigung. Selbst nach sexueller Gewalt an Kindern. Selbst dann, wenn der Fötus schwere Schädigungen und Missbildungen aufweist. Gaye Edwards hätte das Kind bis zum letzten Schwangerschaftstag austragen und tot zur Welt bringen müssen.

Das tat sie nicht. Stattdessen reisten sie und ihr Mann nach Nordirland, um dort die Schwangerschaft vorher beenden zu lassen. So wie seit 1980 schätzungsweise rund 170.000 Frauen, die für eine Abtreibung ins Ausland fuhren. Nicht alle aus den Gründen, die die Edwards bewogen haben, im Ausland medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es gibt viele Gründe, die es rechtfertigen, ein Kind nicht zu bekommen. Andere Frauen, die nicht „reisen“ können oder wollen, lassen sich aus dem Ausland heimlich Abtreibungspillen schicken. Das Risiko von Komplikationen nach einer unkontrollierten Einnahme ist hoch.

Das Abtreibungsverbot ist misogyn

All das nimmt der irische Staat in bigotter Weise in Kauf. Für Mütter und ungeborene Kinder gelten dort die gleichen Rechte, so steht es seit 1983 in der irischen Verfassung. Das führt zu Fällen wie dem von Gaye Edwards. Oder einem, der für weltweite Empörung sorgte. Vor fünf Jahren starb eine junge Frau an einer Gestose, einer Schwangerschaftsvergiftung, weil sich die Ärzte weigerten, eine Abtreibung vorzunehmen. Eine Schwangerschaftsvergiftung ist nicht nur sehr schmerzhaft, sie führt in der Regel zum Tod, wenn sie nicht behandelt wird. Sie ist eine der häufigsten Todesursachen für Mutter und Kind, weltweit sterben daran jährlich etwa 70.000 werdende Mütter, insbesondere in Entwicklungsländern.

Nach diesem Vorfall wurde das irische Abtreibungsrecht zwar leicht modifiziert, seitdem darf in Irland eine Schwangerschaft abgebrochen werden, wenn das Leben der Mutter bedroht ist. Das ändert jedoch nichts an der Misogynie und Menschenverachtung des irischen Abtreibungsverbots, das Gaye Edwards und ihr Mann nun seit Jahren vehement öffentlich bekämpfen.

In ihrem Engagement haben das Paar und Tausende andere, die für eine Änderung des Abtreibungsrecht in ihrem Land streiten, die Unterstützung des irischen Regierungschefs Leo Varadkar und der meisten Parteien im Land. Deren Pro für eine Reform kann man „zeitgemäß“ oder „liberal“ nennen. Oder schlicht geboten und eine Pflicht. Eine Regierung trägt für die Gesundheit und das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung eine Verantwortung, sie hat dafür zu sorgen, dass beides gewährleistet ist. In Irland ist das für viele Frauen in einer Notlage – mitten in Europa, im 21. Jahrhundert ­– nicht der Fall.

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Geschrieben von

Simone Schmollack

Chefredakteurin der Freitag

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