Kurz vor dem Jahreswechsel hat Kristina Schröder der Zeit ein interessantes Interview gegeben. Darin beklagt die frühere CDU-Familienministerin die heftige Herausforderung, gleichzeitig Ministerin und Mutter eines kleinen Kindes zu sein. „Hammerhart“ sei das gewesen, sagt sie, und eine „ziemliche Katastrophe“.
Dazu muss man wissen, dass Schröder in Deutschland die erste Ministerin war, die während ihrer Amtszeit ein Kind bekommen hat. 2011, als Schröders erste Tochter zur Welt kam, hatte die Republik damit keinerlei Erfahrung: Wie geht das, gleichzeitig Ministerin und Mutter sein? Das kann Fluch und Segen zugleich sein, weil es keine Vorbilder gibt, bei denen man sich etwas abschauen kann.
Die erste Zeit nach der Geburt des Kindes war für die damals 34-Jährige mitnichten nur reine Mutterfreude, sie war vor allem brutal. Denn Abgeordnete sowie Ministerinnen und Minister haben keinen Anspruch auf Elternzeit. Nach acht Wochen Mutterschutz musste Schröder wieder am Schreibtisch im Ministerbüro sitzen.
Frauen, die Kinder entbunden haben, wissen, was das heißt: noch fertig von den körperlichen Strapazen der Geburt, pralle Milchbrüste, dauermüde, weil der Säugling mehrmals in der Nacht gestillt werden möchte. Und dann ist das Baby ja auch noch so winzig und zart, man will es gar nicht loslassen, schon gar nicht in fremde Hände geben. Damals war Schröder, erzählt sie im Interview, fast jeden Tag zehn Stunden aus dem Haus.
Pralle, schmerzende Brüste
Das geht doch alles nicht, findet sie: Ein so hohes Amt und die Elternrolle passen nicht wirklich gut zusammen. Es sei denn, man wolle die Kinder nicht sehen. Damit haut Schröder in die Kerbe von Anne-Marie Slaughter, jener Politikwissenschaftlerin, die 2011 als Planungsstabschefin der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton zurückgetreten ist, um mehr für ihre beiden Söhne da zu sein. Kurz darauf veröffentlichte Slaughter einen vielsagenden Essay: „Warum Frauen noch nicht alles haben können“.
Sind (politisches) Spitzenamt und Mutterschaft tatsächlich nur schwer kombinierbar? Es gibt Bilder, die das bestreiten: 2008 schritt die hochschwangere spanische Verteidigungsministerin Carme Chacón i Piqueras eine Militärparade ab. Oder Rachida Dati, Ex-Justizministerin in Frankreich und heutige Abgeordnete im Europaparlament. Fünf Tage nach der Geburt ihres Kindes sah man sie wieder in ihrem Ministerbüro. 2010 wurde die Schwedin Birgitta Ohlsson Ministerin für EU-Angelegenheiten, damals hochschwanger. Wer regelmäßig Debatten im EU-Parlament verfolgt, wird Zeuge, wie die Tochter der italienischen Abgeordneten Licia Ronzulli größer und größer wird, so oft nimmt die Mutter sie mit in den Plenarsaal. In Japan wurde 2009 Yuko Obuchi Mutter – als Ministerin für die Bekämpfung der sinkenden Geburtenrate. Und auch Slaughter hat zwei Jahre unter Clinton gearbeitet.
Klar, das geht schon, sagt die Grüne Franziska Brantner: „Bis zu einem gewissen Grad.“ Damit meint die Familien- und Europapolitikerin ihrer Fraktion im Bundestag, dass der Weg an die politische Spitze ein „enormes Zeitinvestment“ erfordert. Brantner weiß, wovon sie spricht. Sie ist alleinerziehend, nach der Geburt ihrer Tochter wurde sie – so wie Schröder auch – zack, zack als „faulste Abgeordnete“ abgestempelt, weil sie im Mutterschutz statt im Plenarsaal war. Das ist absurd. Im vergangenen Wahlkampf aber, sagt Brantner, habe es schon Tage gegeben, an denen sie die Entscheidung, unterwegs oder zu Hause bei ihrer Tochter zu sein, förmlich zerrissen habe. Das Mädchen ist im Herbst eingeschult worden, eine Zeit, in der Eltern ihren Kindern gewöhnlich besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen.
Nun sind Schröder und Brantner nicht die einzigen Mütter im Bundestag, auch nicht die ersten Politikerinnen in Deutschland, die während ihrer Amtszeit Kinder bekommen haben. Elfriede Klemmert soll 1960 die erste Bundestagsabgeordnete gewesen sein, die in ihrer Amtszeit Mutter wurde. Ausgerechnet eine CDU-Frau. Herta Däubler-Gmelin, SPD, bekam während ihrer Zeit im Bundestag zwei Kinder.
In der vergangenen Legislaturperiode sind laut Bundestagsverwaltung 21 weibliche Abgeordnete Mutter geworden. Es wird also zunehmend normaler, ein politisches Mandat mit einer scheinbar privaten Entscheidung verknüpfen zu können. Dennoch mutet der Umgang mit jungen Müttern im Bundestag verkrampft an. Ex-Ministerin Schröder erzählt im Interview von einer Situation, die allein beim Lesen Schmerzen bereitet: Einmal wurden alle Ministerinnen und Minister vor den Haushaltsausschuss geladen, sie sollten ihre Haushaltswünsche für das eigene Ressort äußern. Schröder musste mehrere Stunden vor dem Ausschuss warten, damals hat sie voll gestillt. Zur Erinnerung: pralle Brüste, die schmerzen, wenn das Kind sie nicht leer trinkt. Das sei nicht nur für das Baby hart, sagt Schröder im Interview, „sondern auch für den eigenen Körper“.
Kinder sind in der Hausordnung des Bundestages nicht wirklich vorgesehen. 2010 wurde die Linkspartei-Abgeordnete Christine Buchholz von einer Bundestagssitzung ausgeschlossen, weil sie ihr einjähriges Kind mit in den Plenarsaal genommen hatte. Einen Ort für Kinder gebe es im Bundestag nicht, kritisierte Buchholz damals.
Jetzt gibt es diesen Ort, eine Art „Kinderzimmer“. Dafür haben unter anderen Schröder, Brantner und die Linke Katja Kipping gesorgt. Ihre Initiative „Eltern in der Politik“ will den parlamentarischen Betrieb familienfreundlicher gestalten. Nachts keine namentlichen Abstimmungen, keine Sitzungen morgens vor 9 Uhr, politikfreier Sonntag, so was. Und eben dieses „Kinderzimmer“, das in unmittelbarer Nähe des Plenarsaals liegt und oft gut besucht ist: Babys, Krabbel- und Kitakinder mit ihren Tagesmüttern.
Als Brantners Tochter kleiner war, verbrachte sie so einige Zeit im „Kinderzimmer“, am liebsten spielte sie mit Schröders Tochter. Heute schaut Brantner ab und zu in dem Raum vorbei. Neulich schrie ein Kind so unaufhörlich und herzzerreißend, dass Brantner der Tagesmutter das Kind einfach mal abnahm, es schaukelte und beruhigte, indem sie ihm etwas erzählte. Irgendetwas über die Vorteile eines geeinten Europa, über den Brexit und dass Afrika nicht nur ein Krisenkontinent sei. So lange, bis sich das Kind beruhigt hatte. Und dann sagte die Tagesmutter so etwas wie: Schön, dass der Junge mal was anderes hört als sonst. Wieso? Brantner zog die Augenbrauen hoch. Das Baby, das die Grüne da wiegte, war das jüngste Kind der Rechtspopulistin Frauke Petry.
Ausgerechnet die Rechtsaußen-Politikerin nutzt häufig die von Brantner, Kipping und Schröder erstrittenen Vereinbarkeitsvorzüge. Petry gehörte bis vor kurzem der AfD an, einer Partei, die findet, dass Kinder eher nach Hause zur Mutter gehören als ins Parlamentsgebäude. Wenn Petry heute Interviews gibt, kann es passieren, dass sie dabei das Baby stillt. Das hätten Brantner und Schröder nie gewagt.
Selbst CSU-Papas profitieren
Es ist kurios: Während Politikerinnen aus Parteien mit dem Label „Familienfreundlichkeit“ die sogenannte Vereinbarkeitsfalle immer wieder thematisieren, scheint sie für Petry gar nicht zu existieren, zumindest nicht öffentlich. Kurios ist ebenso, dass von den ungeschriebenen „Familiengesetzen“, die Brantner und Co. erkämpft haben, mittlerweile sogar männliche CSU-Abgeordnete profitieren. Da legt der eine oder andere Vater schon mal den Telefonhörer auf, wenn im Hintergrund das Kind nach Papa kräht. Das ist natürlich toll, auch wenn die CSU bislang nicht bekannt ist für ein fortschrittliches Frauen-, Mütter- und Familienbild. Der Haken: Die CSU-Männer würden sich nie die Blöße geben und davon in der Öffentlichkeit berichten.
Ex-Familienministerin Schröder hat sich die Blöße gegeben. Gut so, möchte man rufen. So viel Ehrlichkeit und Mut erwartet man öfter in der Politik. Aber Beifall fällt schwer. War Schröder nicht mal Chefin genau des Ressorts, das explizit für jene Fragen zuständig ist, die sie jetzt so hammerhart anprangert? Als Ministerin hatte sie ausreichend Zeit, zu sagen, was ist, und zu fordern, was sein soll. Politik der Realität anzupassen. Hat sie versäumt. Stattdessen hat sie – ganz in Slaughter-Manier – ein Buch geschrieben: Danke, emanzipiert sind wir selber!, eine Polemik gegen Feminismus und weibliche Rollenbilder.
Schröder ist im Herbst aus dem Bundestag ausgeschieden, sie erwartet ihr drittes Kind. Die „Vereinbarkeitsfrage“ dürfte ihre Familie mehr denn je beschäftigen. Im politischen Berlin versuchen unterdessen andere Menschen, dafür zu sorgen, dass das nicht wieder „hammerhart“ wird.
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