„Der Sender hat klar versagt“

Wedel Sexuelle Übergriffe sind möglich, weil es zu wenig Frauen in Machtpositionen gibt, sagt Regisseurin Barbara Rohm
Ausgabe 05/2018
Derzeit Kassenschlager: „Affäre Wedel“ über Macht und Gewalt am Filmset
Derzeit Kassenschlager: „Affäre Wedel“ über Macht und Gewalt am Filmset

Foto: Eibner/Imago

Als vor Kurzem mehrere Frauen den Regisseur Dieter Wedel beschuldigten, er habe ihnen Gewalt angetan, ging ein Aufschrei durch die Republik: Wieso hat niemand etwas dagegen getan, obwohl am Set alle von den Übergriffen gewusst haben? Ein Gespräch über Einschaltquoten, die Macht Einzelner und die Angst vor Ausgrenzung, wenn man Opfern hilft.

Freitag: Frau Rohm, die Enthüllungen zu den gewalttätigen Übergriffen auf Schauspielerinnen durch den Starregisseur Dieter Wedel scheinen nicht abzureißen. Was kommt da noch?

Barbara Rohm: Das ist sicher noch nicht auserzählt. Der „Fall Wedel“ macht Strukturen sichtbar, die Machtmissbrauch stützen. Das ist systemimmanent.

Das System war unter anderem der Saarländische Rundfunk (SR). Frauen haben dem Sender bereits in den 80er Jahren von Wedels physischer und psychischer Gewalt ihnen gegenüber berichtet. Die SR-Führungsebene hat demnach genau gewusst, was am Set passiert. Wie kann es sein, dass niemand reagiert?

Einschaltquoten und die Angst, dass eine Produktion zeitlich und finanziell aus dem Ruder läuft, wenn solche Vorwürfe aufgeklärt und verfolgt werden, waren offensichtlich zu groß. Solche Vorkommnisse werden zudem oft als Privatsache abgetan. Der Sender hat ganz klar versagt.

Vergewaltigung, Nötigung, körperliche Übergriffe waren auch damals Straftaten. Durch Schweigen macht man sich mitschuldig.

Sich mit Opfern zu solidarisieren, heißt auch, sich außerhalb einer Gruppe zu stellen. Das ist unbequem und birgt die Gefahr, ebenfalls zu vereinzeln. Ein Risiko angesichts der kurzzeitigen Verträge, die im Filmgeschäft üblich sind. Beteiligte an einem Film kommen stets nur für dieses eine zeitlich begrenzte Projekt zusammen. Wie es danach weitergeht, weiß niemand. Aber alle wollen Folgeaufträge, das ist häufig eine existenzielle Frage.

Zur Person

Barbara Rohm, 51, ist Regisseurin, Fotografin und Mitbegründerin sowie Vorstand des Vereins Pro Quote Regie und Pro Quote Film. Sie arbeitete unter anderem für Pro 7 und als Regisseurin von Werbespots und -filmen. Zuletzt erschien von ihr der Bildband Menschen in Sanssouci im h. f. ullmann Verlag.

Foto: Orsino Rohm

In einer „normalen“ Firma wäre solch ein System nicht möglich?

Zumindest besteht eher die Chance, dass sich irgendwann doch jemand solidarisiert. Das System am Set schließt und öffnet sich ständig. Und diejenigen, für die es nicht gut läuft oder die sehen, wie andere fertiggemacht werden, wissen: Bald ist der Dreh vorbei, der Vertrag läuft aus, dann ist das hier vorbei. Das ist auch ein gewisser Selbstschutz.

Das verhindert jegliche Solidarität?

Opfer von sexueller Gewalt sind in der Beweispflicht. Aber beweisen Sie das mal, wenn alle anderen sagen: Ich weiß von nichts, ich habe nichts gesehen, nichts gehört. Das produziert eher Ohnmacht und keine Solidarität

Hat der Feminismus an dieser Stelle versagt?

Eine einzelne Frau kann ein toxisches System nicht verändern, dafür braucht es viele mutige Menschen. Oder jemanden in verantwortlicher Position, der solche Zustände nicht duldet. Versagt haben nicht die Frauen, sondern die Verantwortlichen, die das zugelassen haben.

Und die Frauen, die Zeuginnen wurden? Waren sie allesamt mitleidslos?

Frauen vorzuwerfen, sie hätten versagt, weil sie sich nicht solidarisiert haben, greift zu kurz. Das ist doch keine Angelegenheit unter Frauen! Diejenigen, die die Macht haben, müssen das System verändern. Und das sind nicht die Frauen.

Wer keine Macht hat, kann keine Solidarität zeigen?

Was hätte der Protest einer einzelnen Maskenbildnerin ausrichten können, wenn die „oberste Etage“ die Taten deckt? Darüber hinaus haben die Frauen am Set offenbar gefürchtet, ihren Job zu verlieren. Das hat mit dem harten Verteilungskampf zu tun, unter dem vor allem Frauen zu leiden haben.

Das müssen Sie erklären.

Gerade zeigt eine Studie der Filmförderungsanstalt (FFA), der größten staatlichen Filmfördereinrichtung Deutschlands, wie wenig präsent Frauen in allen Filmbereichen sind. So werden nicht einmal ein Viertel der Drehbücher von Frauen verfilmt, hinter der Kamera stehen gerade mal 10 Prozent Frauen, der Ton wird fast ausschließlich von Männern gemacht. 2016 waren gerade mal 14 Prozent der ZDF-Produktionen von Frauen, über 82 Prozent der Fördermittel flossen an Männer.

Vielleicht sind die Männer einfach besser?

Nein. Das ist keine Frage der Qualität, sondern eine der Mittel- und Auftragsvergabe. Frauen leiden nicht an einem kollektiven Qualitätsmangel. Ich gehe davon aus, dass Talent bei Frauen und Männern gleichmäßig verteilt ist.

Die FFA bescheinigt sich mit ihrer Studie das eigene miserable Handeln?

Die Anstalt sagt ganz klar, dass aufgrund der asymmetrischen Geschlechterverhältnisse und der Risikoscheu in der Filmindustrie immer wieder gern auf bewährte Formate und Personen zurückgegriffen wird. Und sie sagt auch, dass dadurch Stereotype fortgeschrieben werden. Ganz konkret bedeutet das: Männer werden nach wie vor Eigenschaften wie Durchsetzungskraft, Kreativität, Stressresistenz zugeschrieben. Sie sind das Genie und Frauen sind die Musen, die auf ihren Körper reduziert werden, nicht selten mit einem sexuellen Interesse für den Mann.

Von anderen männerdominierten Branchen, wie beispielsweise der Metallindustrie, hört man nichts von derlei Vorfällen.

Es gibt aber Berichte von Versicherungsunternehmen, deren Führungskräfte gemeinsam in den Puff gehen. Was ist mit der Kirche? Dem Sport? In den sozialen Netzwerken haben sich im Zuge von #metoo mittlerweile Millionen von Frauen geäußert, und die arbeiten nicht alle in der Medienbranche.

Werden neben dem Saarländischen Rundfunk demnächst andere öffentlich-rechtliche Anstalten ihre Archive öffnen?

Sie werden es müssen, falls noch weitere Fälle öffentlich werden. Die #metoo-Debatte in Amerika hat gezeigt, dass eine Lawine losgetreten werden kann, wenn nur ein paar Frauen den Anfang machen und reden.

Muss sich die Filmbranche den Vorwurf der institutionellen Schuld machen lassen?

Das ist eine eigenartige Kultur, die da vorherrschte. Im Fall Wedel hieß diese, klar abzuwägen: Der Mann liefert uns Erfolg. Was würde es uns kosten, jemanden nachzubesetzen, Drehtage zu wiederholen? Das wiegt mehr als einzelne Frauen, deren Leben zerstört wird.

Diese „Kultur“ erlaubt es vor allem Männern, sich an Frauen zu vergehen.

Warten wir mal, möglicherweise berichten bald auch Männer, was ihnen am Set widerfahren ist.

Ist #metoo in Deutschland zu zahm?

Vielleicht. Mir fehlt vor allem die Debatte darüber, was sich verändern muss, um gewaltfreies Arbeiten zu ermöglichen, nicht nur am Set.

Was muss sich denn ändern?

Das beste Korrektiv sind ausgeglichene Geschlechterverhältnisse, übrigens in jeder Branche. Sowie ein tief greifender Kulturwandel.

Wie kann man den erreichen?

Der Verein Pro Quote Regie erweitert sich gerade zu Pro Quote Film. Gemeinsam mit filmschaffenden Frauen aller Gewerke und Schauspielerinnen fordert er für die Filmbranche eine Quote von 50 Prozent: die Hälfte aller öffentlichen Aufträge und Fördermittel muss an Frauen gehen. Frauen und Männer müssen gleichermaßen vor und hinter der Kamera vertreten sein. Auch Frauen über 35 müssen stärker präsent sein. Frauen über 50 beispielsweise kommen nur noch zu einem Viertel in Film- und Fernsehproduktionen vor. Ab 60 nur noch zu einem Fünftel. Außerdem empfehlen wir verpflichtende Genderseminare.

Genderworkshops als Pflicht sind nicht sonderlich beliebt.

Wer etwas ändern will, darf nicht davor zurückschrecken, unbeliebte Dinge einzufordern. Wenn Genderseminare erst einmal selbstverständlich geworden sind, wird man vergessen haben, dass sie mal unbeliebt waren. In großen Unternehmen sind Diversity-Seminare bereits üblich, da weiß man, dass Vielfalt ein Erfolgsfaktor ist.

Unabhängig davon hat der Schauspielverband einen runden Tisch zur Gründung einer überbetrieblichen Beschwerdestelle für Filmschaffende in kurzen Arbeitsverhältnissen initiiert. Für Menschen also, die nicht die Chance haben, sich an einen Betriebs- oder Personalrat in einem Betrieb zu wenden, in dem sie täglich arbeiten. Die Beschwerdestelle muss sich auch um Aufarbeitung und Prävention kümmern.

Wie sieht es mit Entschädigungszahlungen für die Opfer aus?

Auch darüber sollte nachgedacht werden. Das, was die Opfer schildern, hat ihre Karrieren und ihre persönliche Entwicklung stark beeinflusst. Wünschenswert ist auch hier, dass die Opfer Unterstützung finden und nicht allein um Entschädigung kämpfen müssen.

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Geschrieben von

Simone Schmollack

Chefredakteurin der Freitag

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