Erst Krebs, dann die Angst

Protokoll Wie eine Unternehmerin krank und Opfer ihrer Privatversicherung wurde
Ausgabe 02/2018

Schmalspurexistenz. So bezeichne ich mein Leben. Mein Dasein in drei Worten: Grundsicherung, Krankheit, Einsamkeit.

Das war mal anders, ganz anders. Ich war selbstständig, hatte ein Papiergeschäft in einer großen Stadt. Der Laden lief super, in manchen Monaten verdiente ich 5.000 Euro netto. Ich war verheiratet, die Kinder machten keine Probleme, wir hatten Haus und Hund. Kurz und gut: Es lief wie am Schnürchen.

Dann bekam ich Krebs, mit 54. Ich wollte so schnell wie möglich wieder fit sein und ließ alles machen: OP, Chemo, Bestrahlung, das ganze Programm. Teure Behandlungen, die meine private Krankenversicherung, deren Namen ich nicht nennen will, um Ärger zu vermeiden, zunächst anstandslos bezahlte. Immerhin verlangte die Kasse damals einen Monatsbeitrag von gut 900 Euro.

Ich dachte: Nach einem Jahr ist dieser Spuk vorbei. Muss er vorbei sein. Ich war die Ernährerin der Familie. Aber der Spuk war nicht vorbei. Zum Krebs bekam ich psychische Probleme, Panikattacken, Angstzustände.

Das Geschäft lag brach in der Zeit. Mein Mann machte damals zwar die Buchhaltung und große Papiertransporte. Aber Einkauf, Verkauf, die Gespräche mit den Kunden, das waren meine Aufgaben. Nun war ich aber nicht da und der Laden verlotterte. Das Resultat: Stammkunden blieben weg, neue kamen nicht nach, der Umsatz brach ein.

Nach drei Jahren war der Laden pleite. Da fehlte plötzlich nicht nur das Geld zum Leben: Raten für das Haus, Auto, Ausbildung der Kinder. Da konnte ich irgendwann auch meine Krankenversicherung nicht mehr bezahlen.

Solange der Laden genug Geld abwarf, war das kein Problem. Aber wie sollte ich ohne Einkommen die fast 900 Euro für die Privatversicherung aufbringen?

Nachdem ich drei Monatsbeiträge schuldig geblieben war, kündigte die Kasse den Vertrag. Da drehte ich völlig durch: Ich war krank und brauchte Medikamente, und die Kasse sagt einfach: Nee, mit uns nicht mehr, wir zahlen nicht Ihre teuren Behandlungen, solange Sie Ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Sie meinten, dass ich 15.000 Euro Schulden bei ihnen hätte: fehlende Beiträge, Kosten für Behandlungen und Medikamente. Ich hab das nie nachgerechnet.

Dann passierte, was passieren musste: Mein Mann lernte eine andere Frau kennen, zog aus, nahm die Kinder mit und reichte die Scheidung ein. Ich verkaufte das Haus, zahlte meinen Mann aus und meine Schulden ab, mietete eine kleine Einzimmerwohnung – und stand wieder ohne Geld da. Ich meldete mich beim Sozialamt, beantragte Hartz IV. Üblicherweise zahlt das Amt die Krankenkasse, aber die üblichen 900 Euro, die die Privatkasse nach wie vor verlangte, wollte das Amt nicht bezahlen. Eine Mitarbeiterin des Sozialamts schrieb unendliche Briefe an die Kasse, telefonierte, erklärte die Situation. Um am Ende immer wieder dieselbe Antwort zu erhalten: 900 Euro jeden Monat. Eine gesetzliche Kasse nahm mich nicht auf, weil ich über 55 war.

Irgendwann schaltete das Amt zwei Anwälte ein. Die erreichten, dass die Privatkasse mich wieder versicherte, allerdings zum sogenannten Basistarif, in meinem Fall rund 270 Euro. Den bezahlt das Sozialamt. Darüber bin ich froh. Die Crux dabei: Der Basistarif greift nur für Standardkrankheiten, Grippe, Bronchitis, so was. Ich brauche aber spezielle Medikamente, gut wäre mal eine Psychotherapie. All das zahlt die Kasse über den Basistarif allerdings nicht.

Die Protagonistin möchte anonym bleiben, um ihren Versicherungsstatus nicht zu gefährden

Protokoll: Simone Schmollack

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Geschrieben von

Simone Schmollack

Chefredakteurin der Freitag

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