Jetzt lass uns nicht verliebt sein, bitte

Wendungen In Uwe Radas „1988“ werden Ost-, Westberlin und Polen zu einer Art Dreiländereck der politischen Verhältnisse – Liebe inklusive
Solang die Mauer steht, ist es wichtig, dass nichts wichtig wird
Solang die Mauer steht, ist es wichtig, dass nichts wichtig wird

Foto: Joel Robine/AFP/Getty Images

Was passiert, wenn ein Kreuzberger Linksradikaler und eine sozialismusmüde Polin im Westberliner Sumpf der Vorwendezeit aufeinander treffen? Sie verlieben sich, was sonst. Und sie streiten. Über Polen und Solidarnosc, die polnische Gewerkschaft, über Kapitalismus und Kommunismus, über körperliche Nähe, Treue und die Wahrheit.

Als Jan, ein Kreuzberger, der der einstigen Werbekampagne „Arbeiter taz lesen. taz-Leser arbeiten“ entsprungen sein könnte, 1988 auf die quirlige Polin Wiola trifft, ist es um ihn geschehen. Aber er kriegt Wiola nicht, sie hält ihn auf Abstand. Stattdessen verschlingt sie Männer wie Kinder heute in Berlin-Prenzlauer Berg überteuertes Gentrifizierungseis.

Das Jahr von Jan und Wiola, 1988, ist ein besonderes Jahr. Eines, das Uwe Rada, taz-Redakteur und Autor zahlreicher Bücher über europäische Flüsse, in seinen ersten Roman gepackt hat. Den nennt er schlicht „1988“. Westberlin, Ostberlin, Polen, eine Art Dreiländereck der politischen Verhältnisse. Der Potsdamer Platz in Westberlin ist zu jener Zeit nicht dieses Shopping- und Vergnügungsareal in Beton und Glas für die Reichen und Schönen von heute, sondern eine unendliche Graswüste für die Abgefuckten und Loser in der ummauerten Stadt, die dort auf ganz eigene Weise die Schönheit des Müßiggangs pflegen. Über Ostberlin liegt nach der massenhaften Verhaftung von Dissidenten nach der berühmten Luxemburg-Liebknecht-Demo im Januar 1988 ein Mantel aus Depression, Angst und Resignation. Nur in Polen brodelt es, die Bevölkerung hat den Zustand der Agonie, ausgelöst durch den Jahre zuvor verhängten Ausnahmezustand, satt und erhebt sich.

All das ist hinter der Liebesgeschichte so plastisch und dicht in „1988“ beschrieben, dass selbst jene, die damals nicht in Westberlin waren, ein Gefühl für die bleierne Zeit bekommen. Ebenso ist der Roman ein feines Stück polnischer Zeitgeschichte. Als in dem osteuropäischen Land 1981 das Kriegsrecht verhängt wird und die führenden Köpfe der Solidarnosc verhaften werden, ahnt niemand, dass wenige Jahre später das sozialistische System komplett zusammenbrechen wird. Die Aufständigen – Werftarbeiter in Danzig, streikende Stahlarbeiter in Nowa Huta – fordern die Staatsmacht heraus. Die ist fortan damit beschäftigt, die Bevölkerung in Schach zu halten. Die Versorgungslage wird schlechter, die Menschen verlieren ihre Hoffnung.

Wiola ist dieses Leben leid und sucht in Westberlin nach dem Glück – und trifft dort ausgerechnet auf den Revolutionsromantiker Jan. Ihrer beider Vorstellungen des „Traum von Europa“ sind so verschieden, wie sie damals zwischen Ost und West nur sein können: hier die Sehnsucht nach formaler Gleichheit und Brüderlichkeit, dort der Hunger nach Konsum und Freiheit. In Diskussionen verstrickt, lassen sie sich durch Westberlin treiben, sie hängen ab an Orten, die es heute noch gibt. Das Jenseits beispielweise, ein Café am Heinrichplatz und der Inbegriff eines alternativen Daseins, das der berühmt-berüchtigte Ostberliner Liedermacher und Bühnenclown Clement de Wroblewsky nach seiner Ausreise in den Westen übernommen hatte. Rada beschreibt Wroblewsky, dessen Allüren und Redeschwall, den die „Rampensau Wroblewsky“ bis zur Vollendung auch nach der Wende den Jenseits-Gästen überstülpt, so genau, dass man eine Ahnung davon bekommt, wie viele Abende der Autor wohl an der Theke verbracht haben muss. In gewisser Weise dient Wroblewsky als ein weiteres Symbol der Verlottertheit jener Jahre.

In 1988er-Wirren haben Jan und Wiola keine Chance. 30 Jahre später, 2018, treffen sie sich wieder, in einer mehr oder weniger gemeinsamen Welt. Aber die beiden Königskinder finden immer noch nicht zusammen. Nun ja, die Liebe ist kein Ponyhof. Und hätte man den beiden wenigstens ein einziges Mal Sex miteinander gewünscht, wenn auch nur als „final Fick“.

Aber vielleicht ist eine Geschichte, die bleibt, ist manchmal mehr wert als die bloße Begierde, die im Morgengrauen schon nicht mehr wahr ist.

Info

1988 Uwe RadaEdition.fotoTapeta, Berlin, 2017, 18.50 Euro

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Simone Schmollack

Chefredakteurin der Freitag

Avatar

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden