Gerichtlicher Gruß aus dem Gestern

BGH-Urteil Marlies Krämer darf von der Sparkasse weiterhin als "Kunde" bezeichnet werden. So hat es der Bundesgerichtshof entschieden und ignoriert so den gesellschaftlichen Wandel
Marlies Krämer, ein klassischer Sparkassen-"Kunde". Irritierend, nicht wahr?
Marlies Krämer, ein klassischer Sparkassen-"Kunde". Irritierend, nicht wahr?

Foto: imago/epd

Wenn Sie eine Frau sind und das hier lesen, darf der Freitag Sie ab sofort als Leser ansprechen. Oder als Medienkonsument. Oder als Kunde. Je nachdem, in welcher Rolle Sie sich bei der Lektüre sehen. Aber vielleicht möchten Sie ja weder Leser, Konsument und Kunde genannt werden, sondern Leserin, Konsumentin oder Kundin.

So wie Marlies Krämer, eine 80-jährige Dame aus dem Saarland, die darauf pocht, bei der Sparkasse Saarbrücken eine “Kundin“ zu sein und kein „Kunde“. Sie fühle sich als Frau nicht mitgemeint, wenn sie Formulare als „Kunde“ unterschreiben müsse. Sie sei ja schließlich eine Frau. Das sieht die Bank anders und lehnt Krämers Ansinnen ab. Die Dame, die Mitte der 90er Jahre dafür gesorgt hat, dass Tief- und Hochdruckgebiete abwechselnd männliche und weibliche Namen tragen, besteht aber auf der weiblichen Anrede – und klagte: gegen die Bank, jetzt sogar vor dem Bundesgerichtshof (BGH).

Am Dienstagvormittag hat der BGH der Sparkasse Recht gegeben. Frauen würden keinen Nachteil erleiden, so argumentiert das Gericht, wenn sie in Vordrucken mit dem "generischen Maskulinum" angesprochen werden.

Es geht um die Sichtbarkeit von Frauen

Nun mögen Spareinlagen, Zinsen, Dispokredite von Frauen nicht anders behandelt werden als Spareinlagen, Zinsen, Dispokredite von Männern. Wenn Marlies Krämer ihre Sparkassenfiliale betritt, dürfte sie mit großer Wahrscheinlichkeit mit „Guten Tag, Frau Krämer“ begrüßt werden. Aber darum geht es gar nicht. Sondern schlicht um die Sichtbarkeit von Frauen, selbst in so furztrockenen Finanzformularen.

Wenn auf diesen schlicht nur der „Kunde“ unterschreiben soll, sind Frauen nicht gefragt. Bislang dürften die meisten Frauen solche Papiere unterzeichnet haben – sie hatten ja keine andere Wahl. Doch es ist in der jüngeren Vergangenheit schon vorgekommen, dass Notare (in diesem Fall tatsächlich Männer) Immobilienkaufverträge neu aufsetzen mussten, weil die Käuferinnen darauf bestanden haben, im Vertrag dezidiert „Käuferin“ genannt zu werden.

Es geht also. Was spricht dagegen, eine uralte und überholte (Sprach)Regel den gesellschaftlichen Wandlungen anzupassen? Die Welt verändert sich, Frauen lassen sich nicht mehr in die zweite Reihe stellen, sie wollen, dass sie ebenso gehört, gesehen und beachtet werden wie Männer. Das sollte Sprache abbilden.

Was ist so schwer daran, bei neu zu druckenden Unterlagen, die Formulierung „Unterschrift Kunde“ zu ergänzen mit „Unterschrift Kundin/Kunde“? So wie das – nebenbei bemerkt – bei zahlreichen amtlichen Vordrucken längst üblich ist.

Ein Gebot der Gerechtigkeit

Sprache prägt Bewusstsein. Und Sprache ist ein offenes System. Wenn Kinder in Märchen und Geschichten lesen, dass der Bauer die Hühner füttert und der Traktorist aufs Feld fährt, setzt sich in ihren Köpfen fest, dass Bauer und Traktorist in jedem Fall Männer sein müssen. Sie kommen nicht auf die Idee, dass auch Frauen Traktor fahren können. Das haben Kognitionsforscherinnen und –forscher in zahlreichen Studien nachgewiesen. So wie mittlerweile Kinder, die sprach- und geschlechterbewusst groß werden, ganz selbstverständlich von der Bäuerin und der Ärztin sprechen.

Es ist schlicht ein Gebot der Gerechtigkeit, Frauen explizit mitzunennen. So wie Menschen, die sich weder als männlich noch als weiblich empfinden, das Recht einzuräumen, sich so auszudrücken, wie sie es für richtig halten. Das führt zugegeben mitunter zu sprachlich ungewohnten und sperrigen Varianten. Das vor 30 Jahren eingeführte Binnen-I (KonsumentInnen) wurde in jüngster Zeit ergänzt durch Unterstriche _ (Konsument_innen), Klammern (Konsument(innen)en, Sternchen * (Konsument*innen) und zeitweilig durch ein x (Konsumentx). Ja, das liest sich nicht schön und das spricht sich noch schwerer – und wird von KritikerI_*(innen) gern abgetan als „Genderwahn“.

Die Erfahrung indes besagt, dass je öfter neue Sprach- und Schriftregeln genutzt werden, desto stärker dringen sie ins Bewusstsein, desto größer ist die Gewöhnung daran und desto geringer die Verwunderung darüber. So werden Studentinnen und Studenten heute selbstverständlich als Studierende bezeichnet, niemand stört sich mehr an Auszubildenden und Badenden.

Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil gefällt, das an der Lebensrealität vorbeigeht und gesellschaftlichen Wandel ignoriert. Das ist schade. Und das ist ungerecht. Aber Marlies Krämer lässt nicht locker. Sie will weiter klagen, notfalls vor dem Europäischen Gerichtshof.

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Geschrieben von

Simone Schmollack

Chefredakteurin der Freitag

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