Mehr als ein kurzer Medienhype

#MeToo Dass Millionen Frauen überall auf der Welt sexistische Übergriffe öffentlich gemacht haben, zeigt: Hashtag-Kampagnen sind alles andere als wirkungslos
Ausgabe 49/2017
Wurde von „Time“ zur „Person des Jahres“ gekürt: #MeToo
Wurde von „Time“ zur „Person des Jahres“ gekürt: #MeToo

Foto: Betrand Guay/AFP/Getty Images

Hat #MeToo etwas gebracht? Und wenn ja, was? Oder ist es eher so, dass Hashtag-Kampagnen wie vor vier Jahren #aufschrei – nach sexistischen Äußerungen des FDP-Politikers Rainer Brüderle gegenüber einer Journalistin – und eben jetzt #MeToo wenig nachhaltig sind und als Medienphänomene nach kurzer Zeit verpuffen werden? Weil jede und jeder meint, etwas dazu zu sagen zu haben? Wodurch die Hashtags inhaltlich verwässern und schon allein deshalb gar nichts bewirken können. Es scheint logisch: Wo keine klare Abgrenzung, da kein klarer Effekt.

Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen: Unter #MeToo listen Betroffene sowohl Alltagssexismen auf, darunter verbale Anzüglichkeiten, die die Grenzen zum wohlgemeinten Kompliment haarscharf überschreiten, als auch harte sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungen.

Natürlich gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen süffisanten onkelhaften Bemerkungen und Übergriffen, die das Recht auf körperliche Unversehrtheit ignorieren. Trotzdem: Beides darf nicht sein und hat geahndet zu werden. Das ist bei körperlichen Angriffen selbstredend leichter als bei verbalen Angriffen und psychicher Gewalt. Dafür gibt es glücklicherweise Gesetze. Zudem lassen sich körperliche Übergriffe in der Regel leichter nachweisen, weil sie zumeist sichtbarer sind als Angriffe auf die Psyche und verbale sexualisierte Entgleisungen.

Gerade weil das so ist, sind Hashtags wie #aufschrei und #MeToo so wichtig: Sie legen offen, was ist. Sie machen aus subtil Unkonkretem Konkretes. Dadurch sind sie eben keine zu vernachlässigenden Medienerscheinungen, die nach „ihrer Zeit“ sang- und klanglos verschwinden werden. Sie sind ein nachhaltiges Phänomen.

Unabhängig davon, dass beide Hashtags unmittelbar nach Erscheinen ihren eigenen Wikipedia-Eintrag bekamen, haben bei #MeToo mittlerweile mehrere Millionen Frauen überall auf der Welt Sexismus und sexistische Übergriffe öffentlich gemacht. Mehrere Millionen Frauen! Das ist keine kleine Menge, das ist wahrlich eine große Masse.

Die Offenbarungen unter #MeToo haben unter anderem zur Folge, dass es heute – stärker noch als nach #aufschrei – Frauen wagen, Übergriffe öffentlich zu machen. Jetzt wird ihnen zugehört. Und vor allem: Ihnen wird geglaubt. Das, was sie zu sagen haben, kann nicht mehr so leicht als weinerliches Gehabe abgetan werden: „Nun hab dich mal nicht so, du Mimose.“ Das war vor einigen Jahren noch anders.

Die #MeToo-Posts bewirken zudem, dass auch Männer verunsichert sind: War das jetzt noch ein Kompliment oder war das schon eine sexistische Bemerkung?

Natürlich können Grenzen fließend sein. Und in manchem Fall ist die Antwort nicht ganz eindeutig. Aber allein, dass sich viele Männer jetzt zweimal überlegen, ob und was sie zu anderen sagen, dass grundsätzlich das Bewusstsein für Alltagssexismus geschärft wird, darf als Erfolg verbucht werden.

Ebenso hören auch Frauen deutlicher hin: Meint mein Chef das tatsächlich als Kompliment? Schätzt er mich wegen meiner Kompetenzen oder schaut der mir nur auf den Hintern? Ja, auch Frauen müssen mitunter lernen, genau zu unterscheiden, Codes zu verstehen und zu entschlüsseln.

Vielleicht wäre all das auch ohne #aufschrei und #MeToo passiert. Vielleicht aber auch nicht. Jedenfalls funktioniert so gesellschaftlicher Wandel.

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Geschrieben von

Simone Schmollack

Chefredakteurin der Freitag

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