Wer nicht nickt, der schweigt

Wedel Männerbünde sind auch in der Filmbranche ein essenzielles Problem. Brauchen die Macher von Rosamunde-Pilcher-Filmen ein Genderseminar?
Ausgabe 05/2018
Warum konnte das „System Wedel“ so lange funktionieren?
Warum konnte das „System Wedel“ so lange funktionieren?

Foto: Eibner/Imago

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Bei nur etwa zehn Prozent der Film- und Fernsehproduktionen in den vergangenen Jahren hatten ausschließlich Frauen die Entscheidungshoheit. Bei gut einem Fünftel führten Frauen allein Regie. Hinter der Kamera standen neun Prozent Frauen, die Tontechnik bedienten drei Prozent. Nur bei den Kostümen rangierten Frauen mit 80 Prozent weit vorn.

Diese Zahlen der Filmförderungsanstalt sind wichtig, um zu verstehen, worüber sich derzeit viele den Kopf zerbrechen: Warum konnte das „System Wedel“ funktionieren? Wie kann es sein, dass ein einzelner Mann massenweise Frauen anbrüllen, körperlich angreifen, demütigen und fertigmachen konnte? Und vor allem: Wenn alle von Wedels Tyrannei wussten, wieso hat niemand, wirklich niemand etwas dagegen getan?

In den Zahlen der größten staatlichen Filmfördereinrichtung Deutschlands ist eine Antwort zu finden: In einer Branche, die überwiegend von Männern beherrscht wird, hat eine einzelne Frau, die sich gegen unzumutbare Zustände wehrt, schlichtweg keine Chance. Ihr Kampf ist noch aussichtsloser als der Davids gegen Goliath.

Diese Zahlen stellen die Filmbranche vom Kopf auf die Füße. Gemeinhin glaubt man, im Filmgeschäft würden ähnlich viele Frauen mitmischen wie Männer. Immerhin haben rosenblütenhafte Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen im Fernsehen Hochkonjunktur. Journalistinnen wie Anne Will, Sandra Maischberger und Maybrit Illner prägen das Bild seriöser Polittalks. Regisseurinnen wie Maren Ade (Toni Erdmann) kennt nahezu die gesamte (Film-)Welt.

Aber das ist nur ein kleiner Ausschnitt eines Geschäfts, das letztlich nach einem schlichten Prinzip funktioniert: male bonding. Männerbünde. Nun sind mitnichten alle Männer, auch nicht beim Film, Vergewaltiger, Fieslinge, Rampensäue. Die meisten sind sogar ziemlich nette Typen, mit denen Frauen (und Männer) gern zusammenarbeiten, die von Frauen (und Männern) geliebt und begehrt werden. Aber wenn es hart auf hart kommt – und das kommt es oft im beruflichen Verteilungskampf, vor allem in fragilen Jobs, auf dem Weg nach oben und bei Gehaltsverhandlungen –, halten Männer eben zusammen. Auch die guten machen häufig mit. Sei es, dass sie so tun, als hätten sie nichts bemerkt.

Und was ist mit den Frauen am Set? Sie haben in der „Affäre Wedel“ ja auch nicht den Mund aufgemacht, sich nicht offen für die Opfer eingesetzt. Stimmt. Aber man kennt das doch: Eine kritisiert, mahnt, gibt zu bedenken, will helfen. Und dann sagt der erste Mann: Ich hab’s gewusst, die ist ’ne Heulsuse, die hält den ganzen Laden auf. Was das kostet! Mit der? Nie wieder. Es nickt der erste Mann, es nickt der zweite Mann. Und so weiter. Und der, der nicht nickt, schweigt. Male bonding at its best.

Große Unternehmen und meinungsbildende Organisationen haben das schon vor langer Zeit erkannt – und sich Genderseminare verordnet. Puh, Genderworkshops: gouvernantenhaftes Dozieren über Geschlechterklischees, Rollenspiele, um als Mann eine Frau zu verstehen, so was. Wer will das schon?

Andererseits verhalten sich Menschen nicht besser, fairer, weniger diskriminierend, wenn sie nicht deutlich darauf aufmerksam gemacht werden, was sie falsch machen. Vielen Männern – im Übrigen auch vielen Frauen – ist gar nicht bewusst, wie stark männerdominiert weite Teile der Gesellschaft heute noch sind und welche Wirkung das hat. So sehr haben wir uns daran gewöhnt. Kann man das ändern? Man muss.

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Geschrieben von

Simone Schmollack

Chefredakteurin der Freitag

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