Nancy Böhning? Steht nich in der Liste. Kennick nich.“ So geht das schon mal los. Wer zur neuen SPD-Geschäftsführerin will, kommt am Empfang im Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der Sozialdemokraten, nicht vorbei. Außerhalb des politischen Berlins und jenseits der SPD ist der Name der Soziologin und Sozialwissenschaftlerin anscheinend wenig präsent. Aber innerhalb der Partei gilt die Frau als eine Art Frischzellenkur. Böhning, das ist: jung, Frau, Osten, unverbraucht. Alles das, was die SPD für die selbstverordnete Erneuerung braucht.
Hört man sich in der Partei um, wird Lob ausgeschüttet: Fröhlich, aufgeschlossen, authentisch sei sie. Die hat Wums, sagt jemand, der namentlich nicht genannt werden will. „Der Martin“ habe gewusst, wen er sich da „einkaufe“, sagt Böhning über sich selbst.
Gerade hat sie ihr Büro im 5. Stock im Willy-Brandt-Haus bezogen. Auf dem Schreibtisch ein Computer und ein gelber Blumenstrauß, draußen auf dem Flur geballte männliche SPD-Prominenz: Fotos von Willy Brandt, Kurt Schumacher, Herbert Wehner. Am Ende des Gangs Karl Marx.
Wie wird eine junge Frau aus dem Osten, die 2006 als Aushilfe bei der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) angefangen hat, zu einer der wichtigsten Führungspersonen der Partei?
Die Frage kann man nicht beantworten, ohne auf Martin Schulz, die SPD-Frauen und den Osten zu blicken. Schulz, der leidvolle SPD-Chef, hatte im vergangenen Frühjahr als Kanzlerkandidat seiner Partei damit geworben, im Falle eines Wahlsieges das Kabinett zur Hälfte mit Frauen besetzen zu wollen. Es kam bekanntermaßen anders, die SPD landete abgeschlagen hinter der CDU. Die sozialdemokratische Performance inklusive Schulz rockten nicht so recht. Und dann, puh, der Osten mit den starken Ergebnissen der rechtspopulistischen AfD. Im Osten alle Nazis, oder was?
Angela Merkel, die erneute CDU-Kanzlerin, hat ihren Wahlsieg vor allem den Älteren und insbesondere den älteren Frauen zu verdanken. Bei Merkel wisse man, was man habe, lässt sich die Wahlentscheidung verkürzt zusammenfassen. Im Gegensatz zur unruhigen wie drögen SPD und ihrem fragwürdigen Umgang mit „ihren“ Frauen. Im Sommer konnte man das par excellence an einer größeren Personalrochade beobachten. Dabei wurde die damalige Generalsekretärin Katarina Barley gegen ihren Willen ins Familienministerium und auf ihren Parteiposten Hubertus Heil gehievt. Von dem Mann erhoffte man sich das, was man der Frau absprach: Biss, die SPD aus ihrem Umfragetief zu holen.
Der männliche Drang nach vorn setzte sich nach der Wahl fort, Stimmen wie die von Schulz und den Hamburgern Niels Annen und Olaf Scholz bestimmten eine Weile die Diskussion, Lars Klingbeil wurde schließlich Generalsekretär. Die Frauen waren verstimmt: Was ist mit uns? Immer so zu tun, als sei die SPD eine Organisation, in der Frauen echte Chancen haben, und dann, wenn es ernst wird, wieder die Männer nach vorn schieben, das geht nicht. ASF-Chefin Elke Ferner forderte, Spitzenpositionen künftig paritätisch zu besetzen. Das wiederholte die Ex-Staatssekretärin im Familienministerium im Vorfeld des jüngsten SPD-Parteitags, auf dem Nancy Böhning schließlich zur Geschäftsführerin gewählt wurde. „Wenn wir dort, wo das gewünscht ist, paritätisch besetzte Doppelspitzen ermöglichen, verbessern wir die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Ehrenamt, verbreitern unser Reservoir für Führungspositionen und leben selbst, was wir von anderen fordern“, sagte Ferner.
Böhnings Wahl ist ein erster Schritt in diese Richtung. Die 38-Jährige ist geradezu prädestiniert für den Kurs der Partei in die Moderne: Unabhängig davon, dass sie nach ihrem ASF-Einstieg rasch ins Willy-Brandt-Haus wechselte und später als Büroleiterin sowohl von Katarina Barley als auch von Parteivize Manuela Schwesig arbeitete, weiß die Mutter eines sechsjährigen Sohnes, was Vereinbarkeit von Familie und Spitzenämtern bedeutet: Ihr Mann und Parteigenosse Björn Böhning ist Chef der Senatskanzlei in Berlin. Sie sagt: „Es ist hart, aber es geht.“
Als Böhning vor sieben Jahren das erste Bar-Camp für Frauen – eine Art Konferenz mit spontanen Workshops und Talkrunden – in Berlin mitorganisierte, war sie schwanger und schien das während der Tagungstage schlicht vergessen zu haben. Sie wollte sichergehen, dass die Themen, die sie umtreiben – ungleiche Bezahlung von Frauen, weibliche Netzwelten, Karrierehemmnisse für Mütter –, debattiert werden. Später hat sie dann für die SPD femnet-ev.de mitentwickelt, eine Online-Vernetzungsplattform nur für Frauen.
Als Teil einer Ost-West-Ehe steht Böhning für die Glaubwürdigkeit, dass die nach wie vor zerrissene Republik doch noch in eine friedvolle deutsch-deutsche Beziehung führen kann. Jedes Mal, wenn sie ihre Eltern im Elbe-Elster-Kreis in Südbrandenburg besucht, sei sie irritiert und gleichermaßen voller Verständnis dafür, wie Ostdeutsche noch immer auf Westdeutsche schauen. „Die werden zum Teil ungläubig beäugt“, sagt Böhning. Und fragt sich gleichzeitig, wo die SPD-Identifikationsfiguren im Osten bleiben. Ohne die, glaubt sie, könne die SPD dort nicht punkten.
Nancy Böhning ist körperlich keine große Frau, sie lacht viel und herzlich. Aber sie kann, das weiß man im Willy-Brandt-Haus, auf den Tisch hauen. „Respekt muss man sich erarbeiten“, sagt sie. Als Bundesgeschäftsführerin wird sie künftig die Partei und deren Bundestagswahlkämpfe managen. Kein leichter Job in der SPD. Und zu guter Letzt wird Böhning eine Art Bindeglied zwischen Partei und Fraktion sein. Eine Rolle im Hintergrund, aber eine „mit Wums“.
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