The Silver Bullet (Görli Edition)

Drogenpolitik Verkaufsstelle für weiche Drogen als Allheilmittel? Eine Lösung für das Problem im Görlitzer Park ist es genauso wenig wie Henkels dauernde Razzien. Warum ist das so?

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The Silver Bullet (Görli Edition)

Foto: Pablo Porciuncula/AFP/Getty Images)

Parkbesucher*innen fühlen sich von den Drogenhändler*innen und den dauernden Polizeirazzien belästigt, es wird von Gewalttätigkeiten zwischen den Dealer*innen und in einem Fall sogar gegenüber einem Parkbesucher berichtet. Innensenator Henkel fällt, obwohl die gut zwei Polizeieinsätze pro Woche die Situation nicht im Geringsten verändert haben, nichts anderes ein als mehr Polizeieinsätze.

In gewohnt populistischer Weise schlägt Franz Schulz, der scheidende Bezirksbürgermeister, jetzt eine legale Verkaufsstelle für weiche Drogen als Allheilmittel vor und bekommt dafür Applaus von allen Seiten. Das Problem ist nur: Eine Lösung für das Problem ist es genauso wenig wie Henkels dauernde Razzien. Warum ist das so?

Drogen im Görli zu verkaufen ist mit Sicherheit kein Traumjob. Die Konkurrenz ist groß, die Kund*innen sind, vielleicht aufgrund schlechter Vorerfahrungen mit anderen Görlidealer*innen, skeptisch, und jede*r potentielle Kund*in ist gleichzeitig ein*e potentielle Zivilpolizist*in. Wer verkauft also Drogen im Görli? Menschen, die keine andere Möglichkeit haben, sich durchzuschlagen. Die weder ein Einkommen erwerben können noch vom sozialen Netz erfasst sind. Gerade die Tatsache, dass es unter diesen Menschen zu gewalttätigen Übergriffen kommt, zeigt doch, wie sehr jedes Zehnertütchen direkt über ihre Existenz entscheidet.

Der Schulz-Coffeeshop würde erst einmal einen Ausnahmetatbestand im BtMG erfordern, denn mit allen Substanzen, die in Anlage I aufgeführt sind, darunter Cannabis, darf nicht gehandelt werden. Daran kann auch das Land Berlin oder der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nichts ändern. Sollte eine solche Sonderregelung als Lex Görli durch den Bundestag kommen? Unwahrscheinlich, der Handel mit Cannabis müsste also grundsätzlich deutschlandweit erlaubt werden. Aber warum dürften Verbraucher*innen dann nicht das selbst zum Eigenverbrauch anbauen, was sie überall legal kaufen können? Warum darf nicht gewerblich angebaut werden, was Konsument*innen zum Eigenverbrauch anbauen dürfen? Eine ganz grundsätzliche Änderung der Gesetzgebung in Bezug auf Cannabis wäre nötig, wie der bekannte Hanfaktivist Steffen Geyer sie in seinem Entheovisions-Vortrag vorgestellt hat.

Aber die Görli-Dealer*innen verkaufen ja nicht nur die "weiche Droge" Cannabis, die Herr Schulz im Görli-Coffeeshop anbieten möchte. Bräche ihnen dieses Geschäft weg, müssten sie eben diesen Einnahmeausfall mit anderen Drogen kompensieren. Während es aber bei Gras noch recht einfach ist, Streckversuche zu erkennen, ist dies bei Opiaten und synthetischen Drogen quasi nur für Fachleute mit entsprechendem Laborequipment möglich. Diese Analyse, das so genannte drug checking, anzubieten, um den Einsatz der oft gefährlichen Streck- und Ersatzmittel zu erschweren, ist aus gesundheitspolitischer Sicht zwar dringend geboten und hat es sogar in den schwarz-roten Koalitionsvertrag in Berlin geschafft, findet aber aus rechtlichen und verwaltungstechnischen Problemen bislang nicht statt.

Muss also der Cannabis-Einnahmeausfall durch andere Drogen kompensiert werden, ist der Anreiz, diese Drogen zu strecken oder auf hoch gefährliche Designer-Drogen mit großer Gewinnspanne auszuweichen, sehr hoch. Von daher würde der Kreuzberger Coffeeshop das Problem weiter verschärfen, der Konkurrenzkampf zwischen den Händler*innen wäre höher und die Qualität der Drogen schlechter.

Hier könnte der Ansatz der Piraten weiter führen, eine kontrollierte Abgabe aller Drogen zu ermöglichen. Leider sind die Piraten mit dieser Forderung momentan noch recht allein, auch die Linkspartei konnte sich zu dieser Forderung letzlich nicht durchringen. Eine Annahme dieser sinnvolleren Legalisierungsidee ist also noch unwahrscheinlicher als das Geyersche Cannabis-Gesetzespaket.

Und für die Dealer*innen im Görli würde das eben bedeuten, dass sie ihre dann völlig eingebrochenen Einnahmen statt dessen aus anderen Quellen erzielen müssen. Wäre der Görli ein sichererer Ort, wenn der Drogenhandel durch Trickbetrug oder Raubüberfälle ersetzt würde? Mit Sicherheit nicht.

Also liegt das Problem und seine Lösung an einer anderen Stelle, nämlich der, dass es Menschen in Berlin gibt, die hier leben dürfen, ohne eine Abschiebung zu befürchten, die hier legal arbeiten dürfen und, wenn sie keine Arbeit haben, durch ein Sozialsystem abgesichert sind, und Menschen, für die all dies nicht gilt. Der Unterschied zwischen diesen Menschen sind ein paar Buchstaben im Datenbankfeld "Staatsangehörigkeit". Wir leben heute in einer globalisierten Welt, dies gilt aber bislang nur für Waren und Geldströme, nicht jedoch für Menschen. Und das ist das Problem im Görli und auch sonst überall.

Wollen wir also unbelästigt durch den Park laufen, brauchen wir endlich die Möglichkeit für alle Menschen, legal da zu leben, wo sie, aus welchem Grund auch immer, leben wollen. Dann könnten die jetzigen nervigen Dealer*innen auch sozialversicherungspflichtig in Kreuzberg und überall sonst in Fachgeschäften saubere Drogen aller Art an die Menschen verkaufen, die welche haben wollen, und müssten keine Menschen nerven, die keine Drogen haben wollen. Und die Polizist*innen würde dort auch nur hinkommen, um sich einzudecken, und nicht, um Parkbesucher*innen an ihrer wohl verdienten Entspannung zu hindern.

Simon Kowalewski ist ein Politiker der Piratenpartei in Berlin

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Geschrieben von

Simon Kowalewski, MdA

Pirat, Veganer, Feminist, Mitglied des Abgeordnetenhauses, @deBaer auf Twitter.

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