Er könnte mit Fug und Recht behaupten, einen schlechten Tag zu haben. Seine Bahn ist verspätet, das Büro wegen Renovierungsarbeiten unbenutzbar. Als Michael Steinbrecher sich durch den vom Umbau geprägten Flur der Technischen Universität Dortmund schiebt, wartet bereits ein Kollege an der Tür. Am Telefon vertröstet seine Sekretärin wartende Anrufer. Aber er wirkt so, als würde ihn das Chaos nur noch ruhiger werden lassen. Während seine Sekretärin in die Mittagspause verschwindet, nimmt Steinbrecher an ihrem Schreibtisch Platz.
der Freitag: Herr Steinbrecher, soll ich Sie mit Professor anreden?
Michael Steinbrecher: Nein, mit Herr! Herr Steinbrecher. Professor ist dann doch eher was für Tagungen. Für den Alltag unnötig.
Die meisten kennen Sie noch als Moderator, mittlerweile sind Sie Dozent für Journalismus.
Ja, ich habe seit 2009 einen Lehrstuhl am Dortmunder Institut für Journalistik. Aber der Wunsch, zu lehren, kam viel früher. Ich habe bis 1992 selbst hier studiert. Die Räume waren damals zwei Stockwerke tiefer, aber ansonsten sitze ich immer noch am gleichen Ort wie vor 25 Jahren. Ich habe mich nie richtig trennen können.
Warum nicht?
Weil ich die Überzeugung habe, dass Wissenschaft und Praxis zusammengehören und beide voneinander profitieren können. Anfang der 2000er hatte ich das Bedürfnis, mich wieder in die andere Perspektive zu begeben. Da hatte ich auch schon acht Jahre das Sportstudio moderiert.
Sie wurden der nette Fußball-Moderator mit dem Schwiegersohncharme. Dabei sind Sie auch ein politischer Journalist.
Ja, das Nachtcafé, das ich aktuell moderiere, ist eine gesellschaftspolitische Sendung. Ich war auch bei Frontal und habe für die Außen- und Innenpolitik Dokumentationen gedreht. Ich hatte schon immer eine Leidenschaft für gesellschaftspolitische Themen. Ich habe angefangen beim Jugendmagazin Doppelpunkt, einer Diskussionssendung im ZDF. Schon damals war es uns wichtig, auch unbekannten Gästen die Möglichkeit zu geben, sich zu allem, auch zu politisch brisanten Themen, zu äußern. Das war zu der Zeit noch nicht üblich.
Es ging um Aids, Homosexualität, Hausbesetzungen ...
Ja, wir haben über Tabuthemen geredet, über Schwangerschaftsabbruch. Wir haben die Wiedervereinigung begleitet, Flüchtlinge, die damals aus Ungarn kamen. Und das alles haben wir mit Menschen besprochen, die nichts verkaufen wollten, sondern einfach etwas zu sagen hatten.
Tore, Reportagen, Lebensgeschichten
Michael Steinbrecher bezeichnet sich nicht ohne Stolz als „Dortmunder Junge“. 1965 im Ruhrgebiet geboren, spielte er schon in der Jugend für die Borussia, erst in Dortmund, dann in Mönchengladbach.
Mit 21 Jahren moderierte er zum ersten Mal die Diskussionssendung Doppelpunkt, später drehte er für das ZDF Reportagen, kommentierte Weltmeisterschaften und Olympische Spiele. Als „Lockenwunder aus dem Sportstudio“ hat ihn der Spiegel mal bezeichnet: Insgesamt 330 Mal moderierte er das Aktuelle Sportstudio, bevor er sich 2013 von der Torwand verabschiedete, um sich vollkommen seiner Professur an der TU Dortmund zu widmen (er gibt dort Journalismus-Seminare). Dort hatte der Moderator als Student ein Einser-Diplom hingelegt und später promoviert (über „TV-Programmgestaltung bei Olympia im Netz olympischer Abhängigkeiten“). Seit zwei Jahren ist Steinbrecher Gastgeber des Nachtcafés im SWR. Dort trifft er Menschen mit besonderen Lebensgeschichten, darunter auch Prominente und Experten, um sich gemeinsam mit ihnen mit einem Thema auseinanderzusetzen. Seine Begegnungen verarbeitet er in einer Buchreihe, gerade erschien Familienbande (Klöpfer & Meyer).
Michael Steinbrecher hat mit seinen Studierenden gemeinsam das Buch Meinung Macht Manipulation. Journalismus auf dem Prüfstand veröffentlicht. Aktuell arbeiten sie an einem Nachfolgeband. Steinbrecher hat einen siebenjährigen Sohn.
Sie waren im „Sportstudio“ eher der sanfte Zuhörer, gar kein Scharfmacher.
Mag sein. Ich war ja auch nicht der, der nach dem Schlusspfiff neben den aufgeheizten Spielern stand. Die kamen in aller Ruhe zu mir ins Studio. Und dort konnte ich tiefer in Themen einsteigen und die Spieler anders kennen lernen. Das war immer eine Qualität dieser Sendung und ist es heute noch. So unterschiedlich meine verschiedenen Tätigkeiten von außen betrachtet wirken – für mich steckt da auch eine Kontinuität drin.
Im Dialog, im Reden mit Leuten?
Ich denke schon. Was mir im Sportstudio immer besonders gefallen hat, waren die Diskussionsrunden zum Thema Gewalt in Stadien, zu Homosexualität im Sport, zu Doping und Kommerzialisierung. Ich bin nie ein Unterhaltungsmoderator gewesen. Entsprechend habe ich mich von diesen Formaten immer ferngehalten.
Wann sind Sie mal angeeckt?
Wir haben im Doppelpunkt massenweise Protestbriefe von erbosten Zuschauern bekommen. Wir saßen beim Fernsehrat, weil bestimmten Leuten unsere Sendungen nicht gefallen haben. Peter Maffay ist aus der Sendung gelaufen. Auch im Sportstudio gab es Gäste, die später nie wiederkommen wollten. Aber die Kontroverse sollte kein Selbstzweck sein. Der Inhalt bestimmt die Form, nicht umgekehrt.
Warum sind Sie weggegangen vom „Sportstudio“?
Ich hätte nicht aufgehört, wenn ich nicht gewusst hätte, dass hier an der Universität meine Basis ist. Die Arbeit mit Studierenden füllt mich aus. Ich war ja schon während der Promotion kein Skisprungreporter mehr und habe fast keine Fußballspiele mehr moderiert. Als feststand, dass ich hier einen Lehrstuhl bekomme, war das für viele Außenstehende eine Überraschung. Dabei war es natürlich ein Prozess, der sich fast über ein Jahrzehnt hingezogen hat.
Es zog Sie dann zurück: ins „Nachtcafé“, die traditionsreiche, monothematische Talkshow.
Sie haben recht. Das Nachtcafé ist der alte Verbündete von Doppelpunkt. Beide sind im gleichen Jahr gestartet, auch im Nachtcafé geht es darum, Menschen eine Stimme zu geben. Da konnte ich nicht einfach Nein sagen. Und es ergänzt sich auch sehr gut, mit dem, was ich an der Uni mache.
„Meinung Macht Manipulation. Journalismus auf dem Prüfstand“ heißt ein Buch, das Sie mit Studierenden geschrieben haben.
Stopp, da muss ich einschreiten. Mein Name steht zwar vorne drauf, mein Kollege Günther Rager und ich haben das Seminar, aus dem das Buch entstanden ist, über ein Jahr geleitet. Aber die Essays selbst stammen von den Studierenden, sie tragen dieses Buch.
Die Essays reflektieren die Rolle des Journalismus, zeigen Wege aus der Glaubwürdigkeitskrise. Was reizte Sie an dem Projekt?
Wir haben gemerkt, dass viele Studierende verunsichert waren – speziell nach den Pegida-Demonstrationen und „Lügenpresse“-Rufen. Plötzlich war da dieses Misstrauen gegenüber ihrem Berufsstand – auch im Freundes- und Bekanntenkreis. Plötzlich hörten sie von Menschen, von denen sie es nicht erwartet hätten, Sprüche wie „Ach ihr von der Presse“. Die erste Geschichte des Buches ist ein gutes Beispiel dafür: Eine unserer Studierenden, Elisabeth Thobe, sitzt mit ihrer Mutter in der Küche. Die Mutter kocht eine Roulade. Auf einmal stürzt sie zum Radio und schaltet es aus. Sie sagt, sie könne es nicht mehr ertragen, diese Sensationsmache. Sie will es einfach nicht mehr hören. Und neben ihr sitzt die Journalistikstudierende, die mal mit sehr viel Euphorie in dieses Studium gestartet ist.
Sie wollen den jungen Leuten mit diesem Buch die Verunsicherung nehmen?
Unser Buch ist vor allem eine professionelle Auseinandersetzung der Studierenden mit ihrem Beruf in den Medien. Es gibt keine ausgetretenen Pfade mehr. Kein Chefredakteur, der bei Trost ist, kann heute noch sagen, er wisse genau, wo es langgeht. Ich erlebe bei vielen Studierenden eine regelrechte Pionierstimmung, eine große Neugier auf das, was möglich ist. Auch diese Neugier wollten wir einfangen.
Zeitungen bauen Stellen ab, fast alles soll digital werden.
Natürlich ist die Situation nicht mehr so wie vor 30 Jahren. Viele, die in meinem Jahrgang angefangen haben, arbeiten bis heute in der gleichen Lokalredaktion. Die Zeit der Arbeitsplatzsicherheit ist vorbei. Aber in welchem Beruf ist das denn anders? Welcher Beruf ist denn heute nicht von der Digitalisierung betroffen? Wir müssen mit tiefer Überzeugung sagen: Erhaltet euch diesen Idealismus, erhaltet euch die Neugierde. Wir dürfen diesen Job nicht Unternehmen und PR-Instituten überlassen. Wir dürfen uns nicht von Populisten und Demagogen an den Rand drängen lassen. Wer soll denn den gesellschaftlichen Diskurs organisieren, wenn nicht verantwortungsvolle Journalisten?
Was fordern Sie?
Ich fordere vor allem mehr Selbstkritik. Das ist vielleicht nicht unbedingt eine Stärke unserer Branche.
Journalisten debattieren doch längst über ihr Selbstverständnis.
Aber nur pointiert. Wir haben selbstkritisch über den Journalismus nach der Geiselnahme von Gladbeck gesprochen. Wir waren mal selbstkritisch im Zuge des Golfkriegs, als fast blind das Propagandamaterial des US-Verteidigungsministeriums übernommen wurde. Jetzt gab es wieder Selbstkritik im Zuge der Silvesternacht und des Flüchtlingsthemas. Aber es gibt wenig kontinuierliche Medienkritik. Journalismus ist keine Einbahnstraße mehr. Das müsste mittlerweile jeder begriffen haben.
Gab es ein bestimmtes Erlebnis, bei dem Sie das begriffen haben?
Ein Schlüsselerlebnis für mich war eine Lesung in Dortmund-Hörde. Die kleine Buchhandlung war brechend voll. Wir mussten sogar noch einige Interessierte wegschicken. Dann haben wir gemeinsam eine Dreiviertelstunde aus dem Buch gelesen und anschließend noch stundenlang mit den Besuchern diskutiert: über die grundlegenden Aufgaben des Journalismus, Journalisten und Politiker. Das war intensiv und kontrovers.
Was genau?
All dieses Misstrauen, das wir vorher schon erlebt haben, war da: Die Eliten würden unter einer Decke stecken. Der Journalismus hätte den Bürger aus den Augen verloren. Das hat uns gezeigt, dass wir mit dem Buch ein Thema getroffen haben, das die Menschen beschäftigt.
Würden Sie mit jedem reden?
Ich würde mit allen reden, die dialogbereit sind. Denjenigen, die hetzen, ausgrenzen und gar nicht an Dialog interessiert sind, denen würde ich auch kein Forum geben.
Es ist oft von Haltung die Rede. Welche Haltung brauchen wir?
Ich sage lieber, welche Haltung wir nicht brauchen: Wir sollen nicht zurück in die Zeit, in der redaktionelle Positionen nach Parteibuch besetzt wurden. Die Politik darf nicht in die Redaktionen eingreifen können. Der Grenzfall, über den wir immer wieder diskutieren, ist sicherlich, inwiefern wir uns gemeinmachen sollten mit bestimmten Themen.
Jetzt höre ich den Professorsprechen …
… und der antwortet da gerne mit diesem bekannten Satz von Hanns Joachim Friedrichs: „Ein guter Journalist sollte sich nicht gemeinmachen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.“
Er sollte immer neutral sein?
Nein, nein. Es war schon immer eine Aufgabe von Journalisten, ihre Meinung klar nach außen zu vermitteln. Was unsere Studierenden kritisch sehen, ist die Tendenz, Bericht und Meinung zu verwischen. Wenn wir Meinung vermitteln, sollten wir das deutlich in den entsprechenden Formen tun.
Wie definieren Sie selbst sich?
Ich sehe mich nicht als Akteur für eine politische Partei oder für eine politische Bewegung. Mein Job als Journalist ist es, Bericht zu erstatten und den gesellschaftlichen Diskurs zu fördern. Ich möchte denen eine Stimme geben, die sonst nicht gehört werden.
Was ist Ihre Meinung?
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