Auf einmal ist da diese Mail in meinem Postfach. Ein paar Zeilen Schreibmaschinenfont, „Join Ello“ steht darunter. Ello ist das neueste soziale Netzwerk. Die Eintrittskarte bekommt nur, wer von Mitgliedern eingeladen wird. Ello ist minimalistisch, ohne Zwang zum Klarnamenprofil und vor allem: ohne Werbung. 30.000 Neuanmeldungen pro Stunde verzeichnet das Netzwerk im Moment. Und es positioniert sich als das neue Anti-Facebook.
Schon wieder, denkt man. Seit einigen Jahren schießen in regelmäßigen Abständen Facebook-Alternativen an die Netzoberfläche – wie Diaspora oder App.net. Die Aufmerksamkeit ist erst groß und dann ebenso schnell wieder vorüber. Nach einem halben Jahr dümpelt jede der Alternativen mit einem kleinen, großteils inaktiven Nutzerschwarm ziellos durchs Internet.
Vielleicht liegt es daran, dass wir uns über die Jahre langsam, aber beständig bei Facebook eingekauft haben. Der Nutzer hat investiert. Jetzt scheitert er jedes Mal aufs Neue an den Wechselkosten. Facebook hat das, was Wettbewerbsstrategen einen First-Mover Advantage nennen. Sie waren die Ersten oder – mit Blick auf Myspace – zumindest die Besten in der ersten Runde.
Als siegreicher First-Mover ist Facebook im Besitz des wertvollsten Kapitals sozialer Netzwerke: Nutzer. Über 1,3 Milliarden sind es mittlerweile. Und mit steigender Nutzeranzahl steigt auch der Nutzen des Netzwerks selbst. Ein Account allein ist sinnlos. Bei Zehntausenden mag es vielleicht ein nettes Nischenprodukt sein. Aber 1,32 Milliarden aktive Accounts sind unschlagbar. Der Nutzer trägt mit jedem Post dazu bei. Der Wert, den wir dem Netzwerk geben, ermutigt Nicht-User, auch einen Account anzulegen. Und wir erstellen mit unseren Texten und Bildern eine Chronik, ein bisschen wie die Kupfergelddose auf dem Küchenschrank. Jeden Tag landen ein paar Cent drin.
Die kritische Masse, die sich trotzdem lieber von Facebook lösen würde, ist aber ebenfalls groß. Laxer Datenschutz und immer mehr Werbung haben dazu geführt, dass viele sich nach einer sicheren, werbefreien Alternative sehnen. Der Preis, den der Nutzer für einen Wechsel zahlen muss, sind aber 1,32 Milliarden Kontakte sowie Einträge und Erinnerungen. Eine stolze Summe für Werbefreiheit und Pseudonyme. Vielleicht ist aber gerade das der Grund, Ello nicht einfach nur als weiteren Versuch abzutun. Vielleicht muss man gnadenlos auf jeden Zug aufspringen – je mehr Leute springen, desto geringer werden die Kosten. 30.000 neue Nutzer pro Stunde sind ein guter Anfang.
Kommentare 4
Ich hab mich vor 2 Tagen eingetragen - bisher aber noch keine Einladungs-Email erhalten. :)
"Die Frage, die man sich vielmehr stellen sollte, ist doch, ob man "soziale" Netzwerke überhaupt braucht."
Ich möchte diese Frage eindeutig bejahen und dahingehend weiterentwickeln, ob ein hauptsächlich internetbasiertes, überregionales Netzwerk überhaupt "sozial" sein kann. In meinen Augen liegt vor allem darin der "Beschiss". Facebook hat mit Macht und Verve den Begriff sozial mal ebend "vor die Wand gefahren".
Zur Übermittlung von Einladungen oder Veranstaltungsankündigungen ist Facebook recht praktisch, zur Kommunikation m.E. viel zu unübersichtlich, mit recht geringer usability.
"Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut."
LOL, es ist zwar ein anderer Zusammenhang, aber schauen Sie mal meinen Kommentar hier........
"Der Nutzen, wie Sie schreiben, etwa Einladungen zu versenden oder Dinge anzukündigen ist unverhältnismäßig gering zu den Kosten, nämlich der Preisgabe jeglicher Privatssphäre."
Dieser Satz sollte nicht als Rechtfertigung dienen, sondern sollte eher meine Verwunderung über den grossen "Erfolg" von F-book ausdrücken, weil ich, wie auch geschrieben, die Funktionalität für kommunikative Zwecke auf F-book für eher schwach halte.
In Hinblick auf die Grundrechte des Einzelnen, sehe ich den Umgang mit und das Verhalten in einer vernetzten Welt ein wenig Vergleichbar mit dem Umgang mit Radioaktivität in ihrer Anfangszeit. Da wurden auch viel zu hohe Strahlendosen eingesetzt, Wissenschaftler verstrahlten sich selbst und in Japan wurden Atomwaffen gegen Zivilisten eingesetzt. Danach setzte dann langsam das Umdenken ein und es wurde angefangen über die Vor- und Nachteile nachzudenken und zu differenzieren. Einen ähnlichen Entwicklungsprozess wird es im Umgang mit elektronischer Datenverarbeitung und Vernetzung auch geben müssen.
Ich habe Fb erst während eines Auslandsaufenthalts zu schätzen gelernt, man sich einfach viel leichter international vernetzen. Natürlich ist es eine problematische Datenkrake, usw. aber erleichtert eben die Kommunikation mit weit entfernt lebenden Freunden und Bekannten erheblich. Natürlich geht es auch anders, aber Fb ist - leider - bequem und einfach zu bedienen.
So ist es mit Amazon, Ebay, Google, etc. Es ist schlussendlich fast unmöglich, in diesem Datenmalstrom nicht seine Persönlichkeit preis zu geben, ohne erheblichen Aufwand zu betreiben und das ist den meisten Leuten zu anstrengend.
Da ich ja immer noch an die Weltrevolution glaube, gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass auch Fb eines Tages vergesellschaftet wird, wenn es nicht bis dahin auf dem Kerricht der Geschichte verschwunden ist. ;-)