Im Potsdamer Verwaltungsgericht herrscht Tumult. Die Verhandlung ist kurzfristig in einen größeren Saal verlegt worden – den größten, den das Gericht hat. Die Justizbeamten am Einlass benehmen sich wie Türsteher eines gefragten Clubs: einer raus, einer rein, und bitte den Platz vor der Tür freimachen. Es ist Dienstagmorgen und das Gericht entscheidet heute, ob der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag verfassungskonform ist. Angeklagt ist der öffentlich-rechtliche RBB, der Rundfunk Berlin-Brandenburg.
Benjamin Kaiser erreicht den Sitzungssaal erst spät. „Kläger“ steht in schwarzen Buchstaben auf einem Zettel an seinem Stuhl. Acht weitere Klägerstühle stehen daneben, zwei von ihnen werden heute auch nach Prozessbeginn leer bleiben. Der Vorsitzende Richter erklärt, man sei vor wenigen Monaten mit Anträgen förmlich überrollt worden, die Zusammenlegung der Klagen sei daher gängige Praxis. Kritiker sprechen von einem „Massenprozess“.
Die Erfolgsaussichten, so viel steht schon vor Beginn fest, sind gering. Es gibt bereits zwei Urteile aus Bayern und Rheinland-Pfalz. Beide Male war der Rundfunkbeitrag von den Richtern als verfassungskonform bestätigt worden. Kaiser weiß das. Er ist sichtlich nervös. Seine Hand zittert, als er sie hebt, weil er aufgerufen wurde.
Zu viel Unterhaltung?
Am Tag zuvor wirkte er bei einem Treffen noch ganz locker. In einer neonfarbenen Regenjacke wartete er an einer S-Bahn-Haltestelle im Berliner Wedding. Er nutze den öffentlich-rechtlichen Rundfunk seit 2005 nicht mehr, erzählt er. Seine Kinder sollten sich damals nicht vorm Fernseher „festeisen“. Überhaupt mag er kein Fernsehen, zu viel Unterhaltung, zu wenig Information. Als Leitmedium sieht er es ohnehin nicht, lieber liest er Tageszeitungen oder Internetangebote. „Es geht um den Meinungsbildungsprozess“, sagt er.
Aber erst acht Jahre später beginnt Kaiser sich für das öffentlich-rechtliche Modell zu interessieren, gezwungenermaßen. Im Jahr 2013 wird der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag rechtskräftig. Mit ihm zahlt man nicht mehr für die tatsächliche Nutzung des Rundfunks, es reicht schon die Möglichkeit zum Empfang. Die hat Benjamin Kaiser, auch ohne Fernseher. Deshalb muss er nun 17,98 Euro Rundfunkbeitrag bezahlen.
„Beitrag“ ist ein Begriff, über den viel gestritten wird, auch an diesem Dienstag in Potsdam. Der Rundfunkbeitrag als „hoheitliche Abgabe“ sei eigentlich eine Steuer, argumentieren die Anwälte der Kläger. Die Gegenleistung, die ein Beitrag per Definition erfordere, sei nicht gegeben, erschließe sich nicht kausal oder sei auch überhaupt nicht definiert. „Was ist der Zweck des Beitrags?“, fragt ein Anwalt am Ende seiner Ausführungen. Dadurch, dass der Rundfunk einfach nur allen zur Verfügung gestellt werde, sei noch lange kein Nutzen für jeden Einzelnen ersichtlich.
Die Trennung zwischen „Beitrag“ und „Steuer“ ist juristisch wichtig. Denn würde es sich um Steuern handeln, dürften diese nur staatliche Stellen einziehen. Neu ist die Diskussion aber nicht. Der Rundfunkbeitrag entgelte wie zuvor die Rundfunkgebühr den Vorteil, der „in dem möglichen Empfang von Rundfunksendungen“ liege, heißt es im Urteil des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz dazu.
Bei den neun Klägern in Potsdam mischen sich verschiedene Motive, gegen den Beitrag vorzugehen. Politische, finanzielle und ideologische Gründe gehen da mitunter wild durcheinander. Eine Klage lautet etwa: „Kein Tatort-Kommissar besitzt ein intaktes Familienleben.“ Im Saal verteilen Besucher GEZ-Boykott-Flyer, vor dem Saal wird die Unabhängigkeit des Gerichts angezweifelt. Die Einzelfälle interessieren die Beitragsgegner auf den Zuschauerplätzen nicht – dabei sind gerade sie juristisch so entscheidend.
Kaiser plagen neben der verfassungsrechtlichen Frage auch soziale Probleme. Er produziert Bioseife und der Betrag, den er sich als Selbstständiger selbst auszahle, liege unter dem Existenzminimum. Hartz IV erhalte er aufgrund seines unregelmäßigen Einkommens aber nicht, und damit auch keine Befreiung vom Rundfunkbeitrag. Die Folge sei das, was er „negative Informationsfreiheit“ nennt. Die knapp 18 Euro, die er für den Rundfunkbeitrag zahle, könne er nicht für Zeitungen oder andere Informationsquellen nutzen. Gleichzeitig habe er keine Möglichkeit, durchs „Deabonnieren“ seinen Unmut kundzutun.
Durchs Raster gefallen
Vor allem in Onlineforen trifft Kaiser auf Menschen, die dasselbe Problem eint: Künstler, Rentner, Studierende mit geringem Einkommen und ohne Bafög. Sie alle fallen irgendwie durchs Raster der Beitragsgerechtigkeit. „Eigentlich dürften wir gar nicht existieren“, sagt Kaiser.
Die Frage ist nur, ob Kaiser die Lösung für sein Problem an der richtigen Stelle sucht. Das Gericht sieht die Verantwortung dafür nicht beim RBB, sondern in den restriktiven Härtefallregelungen der Sozialbehörden. Schließlich sei der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag so ausgelegt, dass das Existenzminimum nicht verletzt werde. „Es gibt gute Gründe, die restriktive Handhabe etwas offener zu halten“, räumt der Richter ein. Nur sei das irrelevant für diese Verhandlung, weil das nicht den RBB betreffe.
Nach knapp fünf Stunden weist das Gericht alle Klagen ab. Dass es sich bei dem Rundfunkbeitrag tatsächlich um einen Beitrag und keine Steuer handle, sei schon in den vorausgegangenen Urteilen deutlich geworden, lautet die Begründung.
Benjamin Kaiser wirkt trotz der Niederlage erleichtert. Die Anspannung ist von ihm abgefallen. Die Prozesskosten erlässt ihm das Gericht, unter anderem im Hinblick auf seine „sozialpolitische Kompetenz“. Im Gegensatz zu manchen Rundfunkgegnern unter den Zuschauern nehme er die Niederlage „sportlich“, sagt Kaiser. Aufgeben will er trotzdem nicht. Denn für weitere Prozesskosten hat er finanzielle Spender im Netz gefunden. Eine bizarre Situation für einen Mann, der ja gerade wegen seiner Mittellosigkeit gegen die Rundfunkgebühren klagt.
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