Voll der Poster

Porträt Armin Rohde ist einer der wenigen Schauspieler, die alle Generationen kennen. Auf Facebook will er sie vor einem politischen Irrweg bewahren
Ausgabe 08/2017

Manchmal wirkt es, als hätte Armin Rohde seine Herzfrequenz mit seinem Facebook-Account getaktet. An stillen Tagen sind es ein bis zwei Posts, Ruhepuls. Aber wenn es lauter wird und die Welt aus den Fugen gerät, postet er im Akkord. Während sich andere über die leere Straße vor dem Trump Tower oder Berliner Postfilialen beschweren, beginnt Rohde zu lesen. Dann teilt er politische Artikel, empfiehlt Videos und Kommentare. Der Bochumer ist einer der wenigen deutschen Schauspieler, die sich offen im Netz gegen rechts positionieren. In Zeiten von Trump, Pegida und AfD wird er nicht selten dafür angefeindet.

Als Armin Rohde aus der Winterkälte in das Café tritt, sieht er aus, als wolle er auf einem Fischschutzboot Walfänger jagen: dichter Bart, mittellange Haare, die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Er trägt zwei Smartphones, eins in jeder Hand. Er stapelt sie auf dem Tisch, dann setzt er sich.

der Freitag: Herr Rohde, es ist jetzt 16 Uhr. Wie viel Zeit haben Sie heute schon auf Facebook verbracht?

Armin Rohde: 20 Minuten vielleicht.

In den letzten Wochen scheint es Ihnen Trump angetan zu haben.

Seit dieser Mann gewählt wurde, habe ich das Gefühl, in einem Paralleluniversum zu leben. Ich werde im April 62 Jahre und muss meinen Realitätssinn neu eichen.

Weil Sie nicht geglaubt haben, dass es so weit kommt?

Weil ich das Phänomen nicht begreife. Da schiebt dir einer die geladene Knarre in den Mund und sagt: „Wenn ich abdrücke, bist du tot.“ Und die Leute sagen: „Ist das geil, der sagt die Wahrheit.“

Diese Leute kommentieren auch unter Ihren Beiträgen. Es gab sogar Morddrohungen. Warum tun Sie sich das überhaupt an?

Ich habe mit Facebook angefangen, um vielleicht den ein oder anderen vor einem politischen Irrweg bewahren zu können.

Aber?

Facebook ist eine Selbstbestätigungsblase, in der wir uns vergewissern, dass wir die Klügeren sind. Wir fordern, die Welt möchte sich bitte nach unseren Sehnsüchten richten. Tut sie aber nicht.

Wieso widmen Sie dieser Selbstbestätigung dann so viel Zeit?

Das ist einfach meine Art, um meine Enttäuschung loszuwerden. Und mich zu vergewissern, dass es immer noch Leute gibt, die ähnlich denken wie ich.

Eine öffentliche Selbsttherapie?

Eher ein politisches Tagebuch.

Bierchen, Metzger, Hotzenplotz

Als erstes von vier Kindern wurde Armin Rohde in Gladbeck geboren. Die Schule verließt er wenige Monate vor dem Abitur. Nachdem er als Arbeiter in einem Stahlwerk etwas Geld angespart hatte, reiste Rohde in die USA, wo er im Auto schlief, kleine Rollen übernahm und als Sänger einer Band in kleinen Bars für Essen und ein wenig Geld spielte. Zurück in Deutschland entschloss er sich endgültig, Schauspieler zu werden. Er besuchte die Folkwangschule in Essen und spielte jahrelang an Theaterbühnen in Bochum und Bielefeld.

Seinen Durchbruch schaffte Armin Rohde mit Kerlen,die „Bierchen“ und „Metzger“ hießen, in Söhnke Wortmanns Komödien Kleine Haie (1992) und Der bewegte Mann (1994). Mit 61 Jahren ist er ein generationenübergreifender Schauspieler. Die Älteren kennen ihn aus dem Tatort, die jüngeren als „Bello der Zauberbär“ in Keinohrhasen, und wer so jung ist, dass er den Namen Armin Rohde nicht kennt, identifiziert ihn entweder als Räuber Hotzenplotz oder Herrn Taschenbiers gutmütigen Freund aus Das Sams. Seine Erlebnisse und Erfahrungen im Schauspielberuf veröffentlichte er 2009 in dem 256 Seiten starken Vademcum Größenwahn und Lampenfieber (Rowohlt).

Zuletzt war Armin Rohde in der deutsch-österreichischen Koproduktion Mörderisches Tal – Pregau (ARD/ORF, vier Teile) in der Rolle des kleinkriminellen Einsiedlers Max Dirrmeyer zu sehen, der als Zeuge eines Mordes übelst gefol-tert wird und auf seine Art zurückschlägt.

Sie teilen allerdings mehr, als Sie kommentieren.

Ich muss nicht schreiben „Das finde ich jetzt aber ganz schrecklich, was da passiert ist“. Diese Erregungsbereitschaft ist unappetitlich. Sie verliert ganz schnell aus dem Auge, worum es geht.

Um Betroffenheit?

Betroffen sein hilft nicht. Robert De Niro hat über Trump gesagt, er würde ihm gern ins Gesicht schlagen. Ich kann diesen Wunsch durchaus nachvollziehen. Aber ich würde mir einen Satz wünschen, der produktiver ist.

Werden Sie altersweise oder altersradikal?

Ich bin kein Che Guevara, ich kann kein Maschinengewehr schultern. Ich bin aber auch kein Politiker.

Es scheint ja nur diese Optionen zu geben: altersweise, wie Helmut Schmidt – oder altersradikal, wie Grass oder Sloterdijk.

Sloterdijk ist ein vollkommen überschätzter Typ. Schreiben Sie das. Sloterdijk ist ein Schwätzer, ein eitler Wichtigtuer. (Es folgen diverse Schimpfworte).

Wie wollen Sie gesehen werden?

Keins von beidem. Das interessiert mich nicht. Mir ist wichtiger, dass Menschen über das nachdenken, was ich sage. Auf Brechts Grabstein steht „Er hat Vorschläge gemacht, wir haben sie angenommen.“ Den politischen und intellektuellen Horizont Brechts habe ich nicht. Aber ich würde mir wünschen, dass wenigstens ein paar sagen: „Da könnte er recht gehabt haben.“

Erleichtert oder erschwert das Internet es, Gedanken zu teilen?

Sowohl als auch. Einerseits habe ich mein Pressebüro immer in der Hosentasche. Ich muss keinen Pressetag einlegen, wenn ich irgendeinen Gedanken zur Welt loswerden muss. Das mache ich auf Facebook. Andererseits werden wir im Netz mit so vielen Gegen-, Misch- und Zwischenmeinungen konfrontiert, dass wir uns lieber wieder ratlos auf unseren alten, dummen Standpunkt zurückziehen, mit dem wir uns sicher gefühlt haben. Wir sind nicht geübt darin, andere Meinungen gelten zu lassen. Wir wollen immer noch mit dem Schwert losziehen.

Warum bekommen gerade die mit dem Schwert so viel Zuspruch?

Gegenfrage: Warum bekommen gerade solche Schreihälse so viel Forum?

Sie erreichen eine Menge Leser.

Aber diesen verstörten Persönlichkeiten kommt doch keine Wichtigkeit zu, nur weil drei Millionen Leuten ihr Facebook-Post gefällt. Denen geht es nicht um Lösungen, nur um Aufmerksamkeit. Journalisten und Politiker, die täglich damit zu tun haben, sollten diese Masche eigentlich leicht durchschauen können. Wenn ich das schon schaffe. Und ich bin kein Journalist, Politiker oder Sozialwissenschaftler. Ich habe nicht einmal Abitur.

Dabei hatten Sie als Arbeiterkind den Luxus, auf das Gymnasium zu gehen.

Mein Vater war erst unter Tage, später in einer Fabrik, dann Handwerker. Ich habe meine Eltern ihr Leben lang hart arbeiten sehen, damit sie uns vier Kinder in trockenen Tüchern hatten. Das Gymnasium wurde bei uns gehandelt wie das Ticket zur großen Welt. Aber zum Großteil war es vertane Zeit.

Wieso?

Ich war ein junger Heißsporn, ein erklärter Feind der bürgerlichen Gesellschaft. Das elterliche Zuhause war mir zu eng, die Schule sowieso. Ich hatte bei Lehrern Unterricht, die schon bei den Nazis unterrichtet haben. Wir haben die Schülerzeitung herausgegeben und waren als links verschrien, weil wir keinen Frontalunterricht mehr haben wollten. Je weniger du daran geglaubt hast, desto schlechter wurden die Noten. Letzte Konsequenz war, dass ich nach 13 Jahren ohne Abitur gegangen bin.

Was haben Sie nach der Schule gemacht?

Ich fühlte ich mich wie der Held der Arbeiterklasse – jung, allein, vom Gymnasium geschasst. Ich habe mir meine Locken mit der Nagelschere abgeschnitten und kahlköpfig wie ein buddhistischer Mönch in der Stahlfabrik geschuftet. Habe mir selbst Brandwunden zugefügt, um zu zeigen, dass ich kein Gymnasiast mehr war, sondern arbeitete und Geld verdiente.

Eine Trotzreaktion?

Hätte es damals schon Facebook und Twitter gegeben, wäre das Netz heute noch voll von Bildern von mir, mit rußigem Kahlkopf und Brandnarben an den Armen. Das war natürlich Attitüde. Aber aus Attitüde schaufelt man kein halbes Jahr lang Eisen.

Und dann sind Sie lieber Schauspieler geworden?

Ich habe schon früh im Wald mit meinem Bruder Winnetou gespielt. Aber die erste Hälfte meines Lebens habe ich gelebt wie „kurze Hose, Holzgewehr“. Als ich mit 24 an der Schauspielschule anfing, war ich von einer Naivität, die für andere schwer vorstellbar ist. Politisch bin ich erst hier in Bochum erwacht, in meiner Theaterarbeit mit Frank-Patrick Steckel. Ein sehr kluger linker Kopf.

Sie schreiben in Ihrem Buch „Größenwahn und Lampenfieber“, die Schauspielerei sei Ihre „primäre Möglichkeit, um die Welt begreifbar zu machen“. Wie viel wollen Sie denn arbeiten, um sich Phänomene wie Trump und die AfD begreifbar zu machen?

Dazu reicht der Schauspielberuf bei Weitem nicht aus – obwohl er viel mit Empathie zu tun hat. Damit, menschliches Verhalten zu begreifen. Meine Aufgabe als Schauspieler besteht darin, einen Satz so weit zu sezieren, bis ich ein genaues Empfinden dafür habe, warum er auf diese und auf keine andere Art gesagt werden muss. Diese Genauigkeit ist wahnsinnig schmerzhaft. Im Grunde sitzen Sie ständig einem Röntgengerät gegenüber.

Und das hilft dabei, einen Trump oder eine Petry zu verstehen?

Ja. Je expliziter sich jemand äußert, desto mehr Anhaltspunkte gibt er für diese Art von Analyse.

Und was sehen Sie auf deren Röntgenbildern?

Gier. Eine unfassbare Riesengier. Wenn man hört, wie sich Menschen in der AfD oder Pegida äußern, dann denkt man: Diese Leute wollen eine Diktatur, aber bitte mit viel Geld in den Taschen und Reisefreiheit.

Schauspielerei oder Facebook: Wie bekehrt man die Menschen eher?

Bekehren nicht, eher beeinflussen. Wenn ich jemanden gespielt habe, der obdachlos war, habe ich nicht einen „Penner“ gespielt. Sondern einen Menschen, der Arbeit, Familie und Sicherheit verloren hat und deswegen jetzt unter anderen Umständen lebt. Ich lache mit meinen Figuren, aber nie über sie. Ich gebe sie nicht der Lächerlichkeit preis. Ich beschütze sie.

Woher kommt diese Einstellung?

Ich hatte damals in der Schule einen guten Freund, der sich kurz vor dem Abitur das Leben genommen hat. Was ich vertrete, waren auch seine Werte. Als er damals starb, habe ich ganz naiv und post-pubertär gedacht, ich müsse seine Werte mit hochhalten. Sein ungelebtes Leben mit auf meine Schultern nehmen. Dieses Gefühl begleitet mich noch heute.

Sie haben auch einen traurig prominenten Großvater.

Mein Großvater war ein Schläger, Massenmörder, Denunziant, von der ersten Sekunde an.

Wann haben Sie davon erfahren?

Vor fünf, sechs Jahren. Das war eine Dokumentation für den WDR. Wir standen einen Vormittag im Staatsarchiv in Düsseldorf. Mir wurde eine Akte vorgelegt, auf der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ stand, und darunter der Name meines Großvaters. Da bin ich erst mal zusammengebrochen.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Man hofft natürlich, dass der eigene Großvater kein Nazi war. Vielleicht sogar im Widerstand. Oder wenigstens nur ein harmloser Mitläufer. Aber mein Großvater war kein Mitläufer. Der war von Anfang an dabei. 1932 stand er schon mit dem Fotoapparat vor jüdischen Geschäften und hat Fotos von Kunden gemacht, um sie anschließend zu denunzieren. Da ist nichts zu verharmlosen. Nach der Aktenlage hätte er lange ins Gefängnis gemusst. Er ist aber freigesprochen worden.

Nimmt Sie das besonders in die Pflicht?

Natürlich nimmt mich das in die Pflicht. Warum sollten jemals Söhne wieder Väter haben, für die sie sich derart schämen müssen? Heute weiß ich, was meine Mama all die Jahre gequält hat.

Haben Sie nie das Verlangen, einfach klein beizugeben?

Ich glaube nicht, dass ich das kann. Das ist mein Naturell. Ich kann es mir tatsächlich nicht anders vorstellen.

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Geschrieben von

Simon Schaffhöfer

Taugenichts und Pausenclown

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