Zeit für Klartext

Urteil Das Bundesverfassungsgericht hat eine Frau freigesprochen, die auf einer Kundgebung "Bullen raus" gerufen hat. Besonders demotauglich ist die Begründung allerdings nicht
Auch mit der Flüstertüte ist juristisch korrekter Protest möglich
Auch mit der Flüstertüte ist juristisch korrekter Protest möglich

Foto: ARIS MESSINIS/AFP/Getty Images

Es ist schwierig, den richtigen Worten einen finanziellen Wert beizumessen. Bei den falschen ist es dafür umso einfacher: 250 Euro kostet ein „Bullen raus aus der Versammlung“, entschied das Münchener Amtsgericht nach einer DGB-Kundgebung 2008.

Den Spruch rief dort eine Aktivistin durch die Flüstertüte. Zuvor hatte sie festgestellt, dass sich Polizeibeamte in Zivilkleidung unter die Demonstranten gemischt hatten. Es ist unklar, ob die Polizisten ihrer Forderung nicht nachkommen wollten, oder sie sie einfach nicht verstanden. Die Frau sah sich jedenfalls genötigt, weiter zu konkretisieren: „Zivile Bullen raus aus der Versammlung – und zwar sofort.“ Zwei mal soll sie das gerufen haben. Den Ordnungskräften war das zu viel. Sie klagten.

Das Verfassungsgericht gab der Aktivistin jetzt allerdings recht – ganz so knackig wie die Parole auf der Demo liest sich die Begründung der Karlsruher Richter allerdings nicht. Kundgebungen seien „die körperliche Sichtbarmachung von gemeinsamen Überzeugungen“ und die Verhandlungsteilnehmer berechtigt, dafür einzutreten, dass „Polizisten sich außerhalb des Aufzugs bewegen“ und „dass nur die das Anliegen der Versammlung unterstützenden Personen an ihr teilnehmen“.

Schön, wenn man weiß, wann man auf der sicheren Seite ist. Ab jetzt werden nur noch juristisch korrekte Graffitis gesprayt. „Die Verhandlungsteilnehmer können dafür eintreten, dass sich Polizisten außerhalb des Aufzugs bewegen“ ist das neue ACAB. Für „Wir wollen keine Bullenschweine“ war 2011 noch ein Slime-Album indiziert worden. Das wäre mit dieser vom Verfassungsrecht akzeptierten Forderung nicht passiert: „Nur Personen die das Anliegen der Versammlung unterstützen dürfen an ihr teilnehmen“.

Inwieweit man einen Polizisten „Bullen“ nennen darf, ist aber immer noch unklar. 2005 erklärte das Landgericht Regensburg „Bulle“ zu einem umgangssprachlichem Synonym. Die Akzeptanz des Ausdrucks werde zum Beispiel in „verbreiteten und beliebten Fernsehsendungen wie 'Der Bulle von Tölz' deutlich“.

Eigentlich müsste die Aktivistin mit der Flüstertüte ihren bayrischen Ordnungshütern also dankbar sein – zumindest dem aus dem Fernsehen. Angst vor Schlagstöcken muss sowieso niemand mehr haben – die moderne Hundertschaft trägt schließlich einen Mehrzweckeinsatzstock.

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Geschrieben von

Simon Schaffhöfer

Taugenichts und Pausenclown

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