Ein Stück vom grünen Glück, allerdings noch ohne Karthäusernelke
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Der Heldbockkäfer. Oder die purpurfarbene Karthäusernelke – das Artensterben scheint auf der Pfaueninsel noch fern. Wer hierherkommt, von Potsdam aus etwa 40 Minuten mit dem Rad Richtung Berlin, und in zweieinhalb Minuten mit der Fähre übersetzt, den empfängt eine Symphonie aus Gackern, Trillern, Pfeifen, Schnattern, Quaken, Piepsen, Rufen und Krähen. Etwa 2.500 Tier- und Pflanzenarten sind in dem sich über 67 Hektar erstreckenden Landschaftspark heimisch, darunter besonders geschützte Arten wie der Schwarzmilan und der Drosselrohrsänger.
Geht es nach einem Bericht des Weltbiodiversitätsrats der Vereinten Nationen, steht der Welt ein sechstes großes Artensterben bevor, verursacht durch den Menschen. Von den etwa acht Millionen bek
lionen bekannten Tier- und Pflanzenarten sei eine Million vom Aussterben bedroht, unter anderem wegen der Übernutzung von Land und Meeren und wegen des Klimawandels. „Die globale Rate des Artensterbens ist mindestens um den Faktor zehn bis Hunderte Male höher als im Durchschnitt der vergangenen zehn Millionen Jahre“, heißt es in dem Bericht, und sie nehme weiter zu. Welche Rolle spielen Naturschutzgebiete wie die Pfaueninsel in der Havel, etwa 30 Kilometer vom betonschwangeren Berlin-Mitte entfernt, dabei, diese Entwicklung zu bremsen?Hauptstadt der NachtigallArtenschutz ist hier jedenfalls harte Arbeit, wie Jan Uhlig als Fachbereichsleiter der Pfaueninsel weiß: „Wir haben hier eine künstliche Landschaft. Wenn wir unsere Pflege aufgeben würden, würde sich die Insel grundlegend ändern.“ Uhlig kämpft an mehreren Fronten gegen Dürre, neuartige Pilzerkrankungen an Sträuchern oder den Borkenkäfer.Der UN-Bericht macht nicht nur Klimawandel und Umweltverschmutzung, sondern auch sogenannte invasive Arten für das Artensterben verantwortlich, also durch internationalen Handel verbreitete, standortfremde Arten. Der aus Ostasien stammende Buchsbaumzünsler hat es als invasive Art bis nach Deutschland und auf die Pfaueninsel geschafft und bereitet Uhlig Kopfzerbrechen. Die Raupen verursachen Kahlfraß an den Buchsbäumen und setzen ihnen gefährlich zu. Natürliche Feinde hat der Zünsler in Berlin kaum, Vögel fressen ihn nicht. Zur Erhaltung der Buchsbäume gehen Uhlig und sein Team mit einem Biozid gegen den Schädling vor.„Vergangenes Jahr gab es auf der Pfaueninsel nur 330 Liter Niederschlag pro Quadratmeter, sonst liegt der Durchschnitt bei 550 Litern. Die extreme Trockenheit führt dazu, dass wir Bäume, die wir in den letzten Jahren gepflanzt hatten, verloren haben“, sagt Uhlig. „Ein gesunder Baum wehrt sich noch mit Harzfluss gegen den Schädling. Einen von der Dürre geschwächten Baum riechen die Borkenkäfer aber und überfallen ihn zu Hunderten. Die Fichten bei uns sind so komplett abgestorben.“Doch auch das Totholz auf der Pfaueninsel ist voller Leben: Einige tote, löchrige Bäume ragen wie graue Obelisken aus dem Grün, sie beherbergen brütende Vögel. Müssen die Bäume dann doch noch gefällt werden, wandern sie nicht gleich zur Entsorgung, sondern bleiben auf der Pfaueninsel am Wegesrand liegen. Moose und Flechten überziehen das Totholz mit der Zeit mit einem grünen Teppich, und geschützte Arten wie der Heldbockkäfer bekommen so ein Zuhause. Diese Form von Artenschutz kann sich Uhlig auch für die Stadt vorstellen.Wie man Artenschutz in den Städten selbst betreiben kann, damit beschäftigt sich der Landschaftsarchitekt Thomas Hauck: „Städte sind immer auch Lebensräume für andere Arten außer dem Menschen“, erklärt Hauck. „Doch viele davon gelten als Schädlinge, wie Schaben, Mäuse und Ratten. Die übertragen Krankheiten und deswegen mögen wir die nicht so gern.“ Laut Hauck rührt daher ein starkes Bedürfnis nach einer Stadt als klinischem, sanitärem Raum. „Wenn man Berlin aber weiterhin als Hauptstadt der Nachtigall halten will, in der Vögel zwitschern oder wo man Eichhörnchen und Wildbienen beobachten kann, muss man handeln.“ Doch das ist gar nicht so einfach, denn Tiere sind unterschiedlich: Die Bedürfnisse eines Froschs decken sich nicht mit denen einer Zwergfledermaus.„Nehmen wir einen Braunbrustigel, der lebt in einem relativ großen Gebiet“, sagt Hauck. Wenn mehrere stark befahrene Straßen den Lebensraum zerschneiden, sei es wahrscheinlich, dass der Igel früher oder später überfahren werde. Stabgitterzäune und Mauern zwischen Gärten schränken den Lebensraum von Igeln ebenfalls ein. „Im Naturschutz muss man sich also um die Bewegung von Tieren kümmern. Man nennt das Konnektivität.“ Mauerbienen oder Mauersegler brauchen hingegen Porosität, also Höhlungen und Nischen wie die unter Dachziegeln, in denen sie ihre Nester anlegen können.„Das ist etwas, was wir gerade durch energetische Sanierung massiv entfernen“, sagt Hauck. Dabei werden die ganzen Löcher und Nischen zur Wärmedämmung gestopft, auch um das Eindringen von Wasser zu verhindern. Mauersegler und Co. kommen die Modernisierungen teuer zu stehen: Am Ende bedeuten sie für die Vögel Wohnungsnot. Enteignungen sind keine Option. Abhilfe schaffen hier aber zum Beispiel handelsübliche oder selbst gebaute Nisthilfen, die sich an Dachbalken oder Simsen montieren lassen.Leben auf den DächernNicht zu vergessen: Igel, Frösche und Vögel brauchen Nahrung. „Diese Tiere benötigen in den Städten Grünräume, die Samen und Insekten produzieren“, sagt Hauck. Dazu zählen wenige Meter Wiesenstreifen und mehrere Hektar große Parks. Und Steingärten? „Die sind eigentlich zu nichts zu gebrauchen. Die könnte man dann ebenso gut asphaltieren“, meint der 54-Jährige.Auch der Naturschutzbund Deutschland (NABU) zieht gegen die Schotterwüsten ins Feld. „Es ist ein Problem, dass Schottergärten nur wenige oder gar keine Pflanzen enthalten. Zudem sind häufig nichtheimische Pflanzen in die Steinbeete gesetzt, welche Tieren kaum oder gar keine Nahrung bieten“, erklärt die Gartenexpertin des NABU, Marja Rottleb. Wildbienen zum Beispiel oder auch Käfer finden dort weder Nektar noch Pollen.Für einen bienenfreundlichen Garten empfiehlt der NABU stattdessen, Blumenwiesen mit regionalen Saatmischungen anzulegen, Krokusse zu pflanzen und verschiedene blühende Pflanzen auszuwählen, sodass die Bienen zwischen März und Oktober durchgängig Nahrung finden.Bremen hat im Mai 2018 den Steingärten sogar einen gesetzlichen Riegel vorgeschoben: Eine Begrünung aller Außenflächen und Flachdächer ist vorgesehen, wenn diese keiner anderen zulässigen Verwendung gewidmet sind. Fahrradstellplätze und Terrassen dürfen also weiterhin gepflastert oder zubetoniert sein, große Steinbeete sind allerdings nicht mehr erlaubt. Das Gesetz gilt für zukünftige Bauanträge, bestehende Gärten sind ausgenommen.Für begrünte Dächer spricht sich auch Landschaftsarchitekt Hauck aus: „Mit einer dickeren Erdschicht können Dächer viele Funktionen erfüllen, zum Beispiel Brutstätten für Vögel wie Haubenlerchen sein oder Nektarpflanzen für Bienen und andere Insekten stellen.“ Ab einer Schichtdicke von zehn Zentimetern könnten sich auch Bodenlebewesen halten und zwei, drei Woche Dürre oder starke Fröste überleben.„Überleben“ ist das Stichwort: Robert Watson, der Leiter des UN-Berichts zum Artensterben, mahnte, die Menschheit sei dabei, die Grundlagen ihrer eigenen Ernährungssicherheit und Gesundheit zu vernichten.
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