Stellen Sie sich vor, Ihr Nachbar drei Türen weiter kommt auf Sie zu und fragt Sie, ob er Ihre Abfallcontainer benutzen darf, weil seine eigenen in der nächsten Zeit sehr voll sein werden. Sie sagen zu, weil er Ihnen versichert, dass es nur ein paar Säcke sein werden. Außerdem könnte ja was Nützliches dabei sein, wer weiß? Der Nachbar bedankt sich mit einem leckeren Kuchen. In den nächsten Tagen merken Sie kaum etwas von seinem Müll, aber wenig später gehen die Container kaum noch zu. Am Ende stehen Sie vor einem Müllberg, den Ihr Nachbar in Ihrem Hof hinterlassen hat. Was machen Sie jetzt?
Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte weiß die Antwort darauf: den ganzen Abfall einfach wieder vor die Füße des Nachbarn kippen. Mit dem Unterschied, dass es im Fall des autoritären Duterte nicht um mehrere Säcke, sondern um 69 Container Plastikmüll geht, die er über 10.000 Kilometer weit weg nach Kanada zurückschickt. Kanada hatte mitgeteilt, der Abfall sei zwischen 2013 und 2014 ohne Einverständnis der kanadischen Regierung exportiert worden und erklärte sich bereit, den Müll zurückzunehmen. Während die Vorbereitungen für die Rücknahme liefen, schickte Duterte den Müll schon los: Das Containerschiff MV Bavaria unter der Flagge Liberias stach am 31. Mai in See.
Auch die malaysische Kleinstadt Jenjarom versinkt im Müll: 19.000 Tonnen Plastikabfälle treffen auf gerade einmal 30.000 Einwohner. Außerhalb von illegal errichteten Recyclingunternehmen türmt sich der Abfall. Sieht man sich den Unrat näher an, findet man auch Verpackungen für Kaffee und Bonbons aus Deutschland. Alleine im vergangenen Jahr hat die Bundesrepublik 100.000 Tonnen Plastikmüll nach Malaysia verschifft: Das entspricht mehr als 2.500 Lkw-Ladungen voll Kunststoffabfällen.
Tatsächlich rühmen sich die Deutschen zwar für ihre penible Mülltrennung, recycelt wird der Plastikmüll letzten Endes aber nur zu einem Bruchteil. Nach Zahlen der Bundesregierung lag die Recyclingquote 2016 bei 45 Prozent, doch in der Quote ist auch derjenige Abfall enthalten, der in Verbrennungsöfen oder in Containern Richtung Übersee landet. Rechnet man diesen heraus, werden gerade einmal 16 Prozent des Plastikmülls in Deutschland für neue Produkte genutzt, wie aus dem neuen „Plastikatlas“ des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland und der Heinrich-Böll-Stiftung hervorgeht. Danach produziert im Durchschnitt jeder Deutsche 38 Kilogramm Plastikmüll im Jahr, das sind 14 Kilo mehr als der EU-Durchschnitt.
Illegale Verbrennung
Seitdem China Anfang 2018 einen Einfuhrstopp für Plastikmüll verhängt hat, ist die globale Müllwirtschaft ins Wanken geraten. Die Exportströme suchen nach neuen Abnehmern in Südostasien, vor allem in Thailand, Vietnam, Indonesien oder Indien, aber auch zum Beispiel in der Türkei.
Malaysia ist durch die chinesische Müllpolitik zum wichtigsten Importland für Plastikabfälle aufgestiegen und hat von Januar bis Oktober 2018 etwa 686.000 Tonnen Altplastik eingeführt, allen voran aus den USA, Großbritannien, Japan und Deutschland. Malaysische Firmen kaufen das Altplastik ein und bezahlen häufig sogar den Schiffstransport. In den Anlagen wird der Abfall händisch sortiert, recycelt und als Rohstoff wieder verkauft, beispielsweise nach China. Doch obwohl das südostasiatische Land mit diesem Müllgeschäft eine kleine Goldgrube für sich entdeckt hat, kommt es mit der ordnungsgemäßen Verwertung kaum hinterher.
Dutzende von illegal betriebenen Recyclinghöfen haben sich seit Chinas Importstopp neu in Malaysia angesiedelt und verbrennen häufig den Anteil nicht verwertbarer Plastikabfälle. Die Brände setzen giftige Gase und Rückstände frei, verpesten damit Luft, Boden und Gewässer und erzürnen so die Einwohner. Auch die malaysische Umweltministerin Yeo Bee Yin sagt den Auswüchsen der Müllflut den Kampf an: „Diese Container wurden illegal in unser Land gebracht, falsch gekennzeichnet und verstoßen gegen unsere Umweltgesetze“, beklagte Yeo gegenüber Reportern bei einer Inspektion in einem Vorort der Hauptstadt Kuala Lumpur. „Wenn die entwickelten Länder ihren Müll nach Malaysia verschiffen, werden wir ihn gnadenlos zurückschicken.“ Bei fünf Containern mit verseuchten Plastikabfällen hat Yeo ihre Drohung wahrgemacht: Die Container sind wieder in Spanien. 60 weitere Container mit 3.000 Tonnen Plastikmüll sollen ebenfalls in die Herkunftsländer zurück.
„Das ist ein Hilfeschrei“, sagt der Ökonom Henning Wilts vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. „Die Müllexporteure packen häufig den guten Abfall nach vorne in den Container und den wirklich dreckigen Rest dahinter. Unter dem Vorwand, es handle sich um reine Abfälle, können sie so den gefährlichen Müll ins Land schmuggeln. Staaten wie Malaysia und die Philippinen schauen sich das nicht länger an.“ Wilts zufolge kommen diese Importländer an ihre Grenzen, weil sie weder das notwendige Personal noch die Verwaltung haben, um die Abfallimporte auch ausreichend zu überprüfen.
Fährt der Westen einen Müllkolonialismus, bei dem am Ende ganze Landstriche in Südostasien verwüstet werden? „An dem Begriff ist etwas dran“, sagt Wilts. „Wir dürfen nicht so tun, als hätten wir das Müllproblem gelöst. Unser Elektroschrott und unsere Gebrauchtwagen landen noch viel zu häufig irgendwo in Westafrika. Es kann nicht sein, dass die Verantwortung für unseren Müll an der EU-Außengrenze aufhört.“
Im Mai einigten sich angesichts der globalen Müllkrise fast alle Länder der Erde auf strengere Regeln für den Handel mit Plastikmüll durch ein rechtlich bindendes Abkommen der Vereinten Nationen. Die USA haben bisher weder das Abkommen noch die neu beschlossene Zusatzerklärung ratifiziert. Bevor reiche Länder wie Deutschland ihren verseuchten oder nicht recycelbaren Plastikmüll in Drittstaaten wie Malaysia exportieren, müssen sie sich von jetzt an vorher die Erlaubnis bei deren Regierungen holen. Bisher lief der Export zwischen privaten Unternehmen und funktionierte ohne staatliche Kontrolle.
Laut Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) ist durch das Abkommen „ein Exportstopp für verschmutzte und fragwürdige Plastikabfälle aus der EU nach Asien und Afrika möglich“. Der deutsche Zoll könne in Zukunft verhindern, dass Abfälle auf ungesicherten Deponien oder im Meer landen. Wilts vom Wuppertal Institut fehlen bei dieser Behauptung allerdings konkrete Vorschläge: „Da muss man sich die armen Zollbehörden am Hamburger Hafen vorstellen, wo jedes Jahr acht Millionen Container rausgehen, davon genug mit Abfällen. Dann haben die einen Riesencontainer mit Kunststoffabfällen vor sich und sollen jetzt entscheiden: Ist das sortenrein und vorsortiert? In der Umsetzung wird das nicht einfach.“
China braucht das nicht mehr
Unklar bleibt, wer die Rechnung für den Müll bezahlen wird, den Malaysia und die Philippinen an die Herkunftsländer zurückschicken. Klärt den Streit ein nationales oder ein internationales Gericht? Auch, weil sich ein solches Verfahren über Jahre hinziehen könnte, lassen es Duterte und Yeo auf eine Konfrontation ankommen.
„Der Importstopp und die Müllprobleme sind natürlich ein Anreiz, zu überlegen, wie man in Deutschland wieder mehr selber recyceln kann“, erklärt Wilts. „Einige Kunststoffrecycler haben in den letzten Monaten neue Sortieranlagen in Betrieb genommen. Das liegt am deutschen Verpackungsgesetz, aber auch daran, dass nicht mehr so viel Abfall billig nach China verschwindet.“
Lange bevor die Chinesen den Importstopp verhängten, hatten sie noch ein strategisches Interesse an importiertem Altplastik, um es als Rohstoff für ihre Produktion zu benutzen – damit muss das Land nämlich nicht auf teures Erdöl zurückgreifen, um neues Plastik zu produzieren. „Mittlerweile gibt es aber auch in China eine riesige Mittelklasse, die ähnlich konsumiert wie bei uns in Deutschland. Insofern hat China genug eigenen Abfall und muss sich nicht auch noch unsere Umweltprobleme ins Land holen“, sagt Wilts.
Umweltprobleme durch Plastikmüll sind seit Jahren medial und gesellschaftlich präsent. „Auch wir Konsumenten finden die Bilder von den Müllbergen auf Malaysia und den Philippinen schlimm. Trotzdem hat sich der Verbrauch an Kunststoffverpackungen pro Kopf in den letzten 20 Jahren verdoppelt, obwohl wir immer über Abfallvermeidung reden“, stellt Wilts fest.
Am 29. Juni läuft Kanadas Plastikmüll im Containerschiff wieder in Vancouver ein.
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