Das Fernsehen von heute

Vorschau Geballte Kreativkompetenz, Hollywoodprominenz und viel Kapital - wie die neuen US-Fernsehserien das Schauen verändern

„Rivalen der Rennbahn“ heißt eine zu Recht vergessene ZDF-Fernsehserie, die ab März 1989 elf Folgen lang auf den öffentlich-rechtlichen Zuschauer losgelassen wurde. Dank Youtube führen ihre herausragenden Momente heute ein Nachleben als erstaunlich oft auftauchende Trashperlen: Manfred Zapatka fährt da etwa als intriganter Rennstallbesitzer Hans-Otto Gruber maximal exaltiert aus der Haut, weil seine sonnenstudiohirnverbrannte Frau Sylvia (Maja Maranow) eine Affäre mit einer Fönfrisur (Thomas Fritsch) hat, die im Hauptberuf ein gesundheitlich verhinderter Jockey ist. Auf den Fanwebseiten werden die Episodenbeschreibungen aus der Hörzu historiografisch korrekt faksimiliert; das muss Liebe sein.

Wenn kommenden Sonntag auf dem amerikanischen Pay-TV-Sender HBO erneut eine Rennbahnserie an den Start geht, könnte der Abstand zu einem den US-Machern sicher unbekannten deutschen Vorläuferformat größer kaum sein. Luck heißt die neue Serie, die allgemein als Höhepunkt der Saison 2011/12 gehandelt wird. Im Dezember gab es bereits eine äußerst vielversprechende Preview der Pilotfolge, welche auf der Produktionsseite eine Konstellation versammelt, die noch vor nicht allzu langer Zeit nur in Hollywood vorstellbar gewesen wäre: Michael Mann zeichnet in der ersten Episode als Regisseur für die feinnervige Digitalästhetik verantwortlich; zu den Darstellern zählen Dustin Hoffman und Nick Nolte. Geschrieben hat die Serie David Milch, der nach der grandios verstiegenen Surfer- und irgendwie auch Jesus-Serie John from Cincinnati schließlich mit Deadwood reüssierte, eine Serie, die in Anverwandlung des Western-Genres von der kapitalistischen Gründerzeit des „Wilden Westens“ erzählt und leider zu früh eingestellt wurde.

Lange Auswertungszyklen

Zwischen einer kuriosen westdeutschen Vorabendserie, die gerne Dallas mit Galopp gewesen wäre, und einem aktuellen High-End-Produkt der US-Produktionslandschaft liegt natürlich nicht nur der inzwischen eingeführte Begriff „Quality TV“, der mit der Neuerfindung des Fernsehens als reflektierte Erzählmaschine und privilegiertes Medium popkultureller Gegenwartsdeutung Ende der neunziger Jahre verbunden ist. Die beiden Formate sind nicht zuletzt durch mindestens ein Medienzeitalter voneinander getrennt. Wenn wir heute von „Fernsehserie“ sprechen, meinen wir einen seriellen Bewegtbildtext, der unmittelbar nach seiner Premiere als Download mehr oder ­weniger global zur Verfügung steht. Die Erstausstrahlung bildet lediglich den Startschuss für eine kulturindustrielle Verwer­tungskette, die digitalökonomisch tickt und gerade dabei ist, mit schönen neuen Bezahl-Environments (und Massenklagen) dem Tauschbörsenwildwuchs den Kampf anzusagen.

In der Tat kann man im Moment den Eindruck haben, dass die anhaltende Serienkonjunktur noch einige Zeit auf hohem Niveau weitergehen dürfte. Zum einen hat das mit der in diesem produktionskulturellen Feld zusammengezogenen Kreativkompetenz zu tun; zum anderen aber auch mit dem dort mittlerweile abrufbaren Kapital. Die Investoren sind dabei nicht mehr nur Old-School-Medienkonglomerate wie Time Warner, sondern auch Player der gar nicht mehr so neuen New Economy, die alle derzeit auf die langen Auswertungszyklen seriellen Erzählens setzen.

So hat der Online-Verleiher Netflix gerade David Fincher und Kevin Spacey verpflichtet, um für das eigene Abonnementpublikum ein Remake der britischen Politikerserie House of Cards zu produzieren. Die mitbietenden Sender HBO und AMC hatten das Nachsehen. Parallel dazu vertrauen etliche Spartenbezahlsender darauf, sich mit einer innovativen Serie ein neues Branding und eben Long-Tail-Einnahmen verschaffen zu können. AMC ist das mit Mad Men und Breaking Bad fraglos gelungen, auch wenn es zuletzt finanzielle Probleme gab.

Der bislang auf Trivialitäten aller Art geeichte Sender Starz versucht aktuell Ähnliches mit der etwas überproduziert wirkenden Korruptionsserie Boss, die von einem Chicagoer Bürgermeister mit degenerativer Gehirnerkrankung handelt, dem langsam aber sicher die Lichter ausgehen. Die Pilotregie übernahm hier Gus Van Sant, so wie vorletztes Jahr bereits Martin Scorsese den Markteintritt des Atlantic-City-Prohibitionsepos Boardwalk Empire mit seinem Autorennamen veredelte. Nach der Einmalregie wird dann in diesem Arbeitsteilungsmodell bevorzugt ins diffuse Executive-Producer-Fach gewechselt, damit die teuer eingekaufte Signatur zur Markenprofilierung stehen bleiben kann.

Zur Nobilitierungsgeschichte der Serie als ernstzunehmenden ästhetischen Gegenstand gehörte die Einführung eines zentralen Autorensubjekts, dem „Creator“. In letzter Zeit scheint dieses Qualitätszuschreibungen bündelnde Subjekt eine Spaltung zu erfahren, weil immer mehr Regie-Auteure ins Produktionsfeld eintreten. Das Borgen von symbolischem wie realökonomischem Kinokapital gehört heute wie selbstverständlich mit dazu. Die Medienhierarchien haben sich realiter nachhaltig verschoben. Dem seriellen Erzählen steht abgesehen von einigen wenigen Blockbusterstars der Gewichtsklasse Leonardo DiCaprio oder Tom Cruise das gesamte Personal einer Unterhaltungsindustrie zur Verfügung, die sich zunehmend weniger vom Kino her definiert, aber weiterhin zuverlässig digital verschnürbaren „Content“ liefert.

Basisdemokratiebegeisterung

Auf der Rezeptionsseite sind die verschobenen Verhältnisse ebenfalls schon länger eine Alltagserfahrung: Über Serien kann man auf jeder Party so ziemlich mit allen ins Gespräch kommen; das aktuelle Kinoprogramm stellt da deutlich seltener eine belastbare Gesprächsgrundlage dar. Ausnahmen bilden am ehesten noch durchgesetzte europäische Autorenfilmer. Den „neuen Trier“ haben dann doch immer noch viele als Pflichtprogramm begriffen und abgearbeitet. Richtig peinlich wird es aber nur, wenn einer zugeben muss, noch nie von The Wire gehört zu haben.

Auch wenn die Serienlandschaft im Diskurs wie produktionsökonomisch verstärkt Kino-Terrain beansprucht, besteht freilich kein Grund zur Klage, solange das Feld nicht monokulturell bestellt wird. Dass dies nicht der Fall ist, lässt sich etwa daran ersehen, dass sich die US-Serie in ihren Ausdifferenzierungsbewegungen auch an die Renovierung älterer Formattraditionen macht. Es fließt also nicht alle Energie in immer neue Langfilmserien, die auf große Bilder, epische Erzählkontinuität und „romanhaftes“ Aufschließen von Zuständen der Gegenwartsgesellschaft aus sind.

Von einer Rückkehr des Episodischen zu sprechen, wäre vielleicht zu viel gesagt. Aber es ist nicht zu übersehen, dass die Formatinnovationen der jüngsten Zeit eher in Sichtweite der verzweigten Comedy-Genres stattfinden. Diesbezüglich vollzieht die Serie einen Trend nach, der für das amerikanische Kino schon länger gilt: Wer etwas über die USA erfahren möchte, ist mit der Komödie am besten bedient. In keinem anderen Genre sind intelligentes Entertainment und (distinktions-)politisch vollgesogenes Kulturmaterial vergleichbar interessant miteinander im Gespräch.

Amy Poehlers basisdemokratiebegeisterte Provinzverwaltungsserie Parks Recreation gehört im Seriensegment dazu, die Bio-Hipster-Sketch-Comedy Portlandia (mit Sleater-Kinney-Frontfrau Carrie Brownstein) ebenso. Tina Feys 30 Rock verliert auch in der aktuellen sechsten Staffel nie ganz den ursprünglichen Cultural-Studies-Biss und die Brooklyn-Serie Bored to Death zieht angeführt von Jason Schwartzman und Ted Danson auch immer ausgreifendere stadtteilsoziologische Kreise.

Nochmal anders heraus ragt der Stand-up-Comedien Louis C.K., dessen Hinterbühnenserie Louie post-existenzialistische Exkurse vor urbaner Kulisse mit der Vulgär-Performance seiner Stand-up-Persona sampelt. Seine Popularität reicht mittlerweile aus, um die in Eigenregie produzierte Aufzeichnung seiner Live-Show zu einem ökonomisch relevanten Download-Erfolg zu machen: nicht nur in den mäßig legalen Tauschbörsen, sondern auch über eine Bezahl-Webseite, die C.K. mit deutlich sechsstelligem Profit selbst betreibt.

All diese Formate sind aber vermutlich nicht auf die gleiche Weise exportfähig und werden hierzulande wohl auch in Zukunft eher selten die geballte Feuilleton-Aufmerksamkeit erfahren, wie das bei den Longue-durée-Serien von den Sopranos bis zu Breaking Bad zuletzt zuverlässig der Fall war. Ein nicht unwesentlicher Grund dafür hat dann doch wieder mit alten Medienhierarchien zu tun. Auch wenn sie global als Files zirkulieren, sind die Comedy Shows für viele offenbar doch zu offensiv ein durchformatiertes Kulturindustrieprodukt: Zu wenig „Roman“, zu viel „Fernsehen“?

To be continued.

Simon Rothöhler ist Filmwissenschaftler und gibt ab März bei Diaphanes eine Buchreihe zu den neueren Fernsehserien heraus

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