Oder selbstreflexive Teenager

Schwarmfilm Klingt nach totaler Gegenwart, ist aber völlig unnötig: Für 90 Minunten „Life in a Day“ montiert Kevin Macdonald aus lauter eigens gedrehten Youtube-Schnipseln: das Leben

Ein „interkulturelles Kaleidoskop des heutigen Lebens auf unserer Erde“ verspricht das Presseheft zu Life in a Day, dem „ersten Kinofilm, der von Internet-Usern selbst gedreht wurde“. Die User mal wieder: heutig, graswurzelnd, global verschaltet und nebenbei noch irre auf diversity programmiert. Hinter der audiovisuell artikulierten Schwarmintelligenz von angeblich 80.000 Youtube-Videos, die Hobbyfilmer „von Australien bis Zimbabwe, von den Herzen der pulsierendsten Großstädte bis zu den abgelegensten Orten auf dieser Erde“ bei der Online-Plattform hochgeladen hatten, operiert dann aber etwas sehr Alteuropäisches: ein Oscar-prämiertes Regie-Individuum und eine Konzeptidee.

Kevin Macdonald ist der Name des Selektierers, den Oscar gab es 1999 für den Dokumentarfilm Ein Tag im September. Gemeinsam mit der Produktionsfirma von Ridley Scott und Sponsoren aus dem Bereich der Unterhaltungselektronik hatte Macdonald die Netzgemeinde letztes Jahr medienwirksam aufgefordert, am 24. Juli 2010 kleine Filme über alles Mögliche zu drehen und einzureichen. Einer „Armee von Filmstudenten“ war es vorbehalten, das fast 5.000-stündige Material zu sichten und zu katalogisieren, bevor ein Wettbewerb in Gang kam, der darüber zu entscheiden hatte, welcher Handykamera-Schnipsel rührselig, pittoresk, repräsentativ, crazy genug ist, um in den fertigen Film promoviert zu werden, der dann im konventionellen 90-Minuten-Format auf dem Festival von Sundance seine Premiere feiern durfte.

Nun kommt dieser Kompilationsfilm unnötigerweise in die deutschen Kinos – und siehe da, das heutige Leben ist wie das von gestern: ein Kessel Buntes. Es wird Tag, es wird Nacht, Menschen tanzen, faulenzen, schlafen, wachen auf, lachen, weinen, leben hier und da, erzählen Geschichten, erzählen keine, wissen nicht weiter, sind Spinner oder einfach unglücklich verliebt. Oder selbstreflexive Teenager. Es gibt Soldaten in Kabul und an diesem Tag ein vermeidbares Unglück auf der Loveparade in Duisburg. Tiere gibt es auf dieser Erde an diesem Tag, ein Kommunikationsmedium namens Skype, sehr viele Menschen, die ihren Stoffwechsel dokumentieren und auf Anhöhen klettern, um ihre Städte in Panorama-Schwenks zu erfassen.

Erwartbare Hilflosigkeit

Macdonalds bräsige Montage rührt all dies zu einer unglaublich uninteressanten Soße des mehr oder weniger Allzumenschlichen zusammen; nie wird der Film spezifisch, selten gelingt eine gewitzte Verbindung von Australien nach Zimbabwe, vom Afghanistankrieg zu einem fröhlichen Gärtner in Indien oder zu Ziegen, denen offenbar niemand gesagt hat, dass man bei einem echten Kinofilm nicht direkt in die Kamera starren sollte.

War schon die Ausgangsidee des Projekts auf fragwürdige Weise gegen das Pluralismusversprechen, gegen die unkontrollierbare Unordentlichkeit eines potenziell hierarchiefreien medialen Raums gerichtet, verriegelt das filmische Endprodukt auch die letzte Fluchttür durch viel Natur- und Conditio-humana-Kitsch. Hinter der Globalrhetorik steckt dabei vermutlich noch nicht mal ein dezidiert ideologisches Projekt, sondern die ziemlich erwartbare Hilflosigkeit, diese Bilder auf etwas einzudampfen, was zu allem Überfluss auch noch „Leben“ genannt werden muss.

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