Ein Tag im Leben in einer Welt

Kulturkommentar Der 24. Juli soll Youtube-Ulysses-Tag sein: Lauter Schnipsel ergeben den Film "Life in a Day", der 2011 Premiere haben soll. Und mit dem sich das Kino etwas vormacht

Um der Unübersichtlichkeit des Web 2.0 ein filmisches Kondensat abzutrotzen, bedarf es schon einer Kooperation mehrerer Big Player: von YouTube , dem Unterhaltungselektronikkonzern LG und Hollywood-Altmeister Sir Ridley Scott etwa. Die Idee geht so: Am 24. Juli 2010 sollen Mediennutzer auf der ganzen Welt einen tagesaktuellen Video-Schnipsel bei YouTube hochladen, der einen mehr oder weniger bedeutungsvollen Moment ihres Alltags einfängt. Der von Scott zur eigentlichen Ausführung engagierte Regisseur Kevin McDonald (State of Play) soll aus dem Grasswurzelnetzmaterial dann einen Film destillieren, der 2011 auf dem Festival von Sundance seine Premiere feiern wird: Das Leben der Welt an einem Tag.

Life in a Day ist der Titel dieses groß beworbenen Globalfilm-Experiments, das den 24. Juli zum YouTube-Ulyssestag erklärt, weil „24/7“ zugleich das Kürzel für Geschäfte ist, die rund um die Uhr geöffnet haben. Man könnte das Projekt als Marketingnummer abtun, mit der zwei Konzerne – Google und LG – ihre globale Markenmacht auf leicht durchschaubare Weise mit der Schwarmkreativität heutiger Netzkultur affilieren wollen. Dass Werbung und die Pflege von Brands heute nicht mehr in eine Richtung funktioniert, sondern über konstruierte Plattformen des Mitmachens („crowdsourcing“), ist für die beteiligten Konzerne keine neue Information. Aber sagt uns Life in a Day noch etwas über die heutige Welt, zumindest über den medienhistorischen Moment, in dem wir leben?

Als Vorhaben eines vorgeblich basisdemokratischen sozialen Filmemachens mit Zeitkapsel-Output wird die Aktion lanciert, als sei der entscheidende Punkt nicht die festivalprämierte Selektion. Dass die Autoren jener Schnipsel, die es in den endgültigen Scott zertifizierten Film schaffen, als Co-Regisseure geführt und nach Sundance eingeflogen werden sollen, zeigt unfreiwillig deutlich die seltsame medienhierarchische und nicht netzaffine Perspektive des Projekts. Andererseits ist es fast rührend, wie hier das schon mehrfach für tot erklärte Medium Kino zum Austragungsort eines Survival of the Fittest der Netzbilder deklariert wird. Das wird dem Kino gut tun: noch mal wichtig, noch mal Nadelöhr der global zirkulierenden Bilder sein. Ein letzter Beatmungsversuch, der dem alterschwachen Patienten einredet, er sei immer noch die Instanz in Sachen Globalbild und nicht schon längst deprivilegiert durch die Allgegenwart des Netzkinos.

Neoimperialistische Pseudo-Globalität

Hinter der Rhetorik des Internets als Selbstrepräsentationsmedium für alle verbirgt sich bekanntlich ein Machtkampf um die Technologien, die es für uns vorstrukturieren – also auswählen, welcher Content überhaupt gefunden werden kann. Dass die dem Suchprozess vorausliegenden Exklusionen und Asymmetrien nicht einfach aufgehoben werden können, indem man, wie im Life in a Day-Projekt vorgesehen, 500 Digitalkameras nach Afrika schickt, versteht sich von selbst. Immerhin zeigt die herrschende Pseudo-Globalität hier recht unverblümt ihr wahres, nämlich neoimperialistisches Gesicht. Das Leben der Welt an einem Tag im Juli 2010 sortiert sich entlang einer Linie der kommunikativen Erreichbarkeit. Regionen, die nicht online sind, leben nicht in jener Welt, die in Sundance ihren kreativen Individualismus, ihre Vielfalt „von unten“ feiern wird.




Simon Rothöhler ist Filmwissenschaftler und Mitherausgeber des

Magazins Cargo Film/Medien/Kultur

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