Hasspredigtverfilmung

Im Kino Manfred Zapatka liest für Romuald Karmakar die "Hamburger Lektionen" eines islamistischen Imams

Zehn Monate nach den Anschlägen vom 11. September 2001 durchsuchte das Hamburger LKA eine Buchhandlung, die der dortigen Al-Quds Moschee nahe steht. Beschlagnahmt wurden zum Verkauf angebotene Videos. Sie enthielten die "Lektionen" des Imams der Moschee, Mohammed Fazazi, der Deutschland zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen hatte. Die New York Times berichtete damals als erste ausführlich über die Polizeiaktion im Stadtteil St. Georg, weil drei der vier Mitglieder der "Hamburger Zelle" - Mohammed Atta, Marwan Al-Shehhi und Ziad Jarrah - regelmäßig dort verkehrten. Obwohl es heute als sicher gilt, dass der gebürtige Marokkaner Fazazi nicht in den Plot des 11. September involviert war und vermutlich auch keine direkten Kontakte zu al-Qaida unterhielt, steht seine Nähe zum islamistischen Terrorismus außer Frage. Seit 2003 ist er in Spanien als ideologischer Wegbereiter der Anschläge von Casablanca inhaftiert, bei denen am 16. Mai des gleichen Jahres über 40 Menschen ums Leben kamen.

Auf den beschlagnahmten Videos sind jene beiden Lektionen vom 3. und 5. Januar 2000 festgehalten, die in Romuald Karmakars Hamburger Lektionen gewissermaßen ein zweites Mal verfilmt und als Dokumente eher präpariert als nachgestellt werden. Ob die Gruppe um Mohammed Atta, die sich im November 1999 erstmals im afghanischen al-Qaida-Ausbildungslager Chaldan aufhielt, an diesen beiden Sitzungen teilgenommen hat, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Die Verbindungen zwischen dem ideologischen Gehalt der Lektionen und der tödlichen terroristischen Praxis ist also auf verschiedenen Ebenen durchaus indirekt. Diese Vermitteltheit nicht zu suspendieren, ist die offensichtlichste Leistung von Karmakars Film. Wer auf eine entfesselte "Hasspredigt" spekuliert oder die Blaupause für das 9/11-Skript erwartet, wird sich nicht nur über die kleinteilige theologische Exegese wundern.

Die Form, in die Karmakar das erst transkribierte und dann übersetzte Material bringt, arbeitet gegen den medialen Tauschwert der "Hasspredigt". Die verfassungsfeindliche und menschenverachtende Haltung Fazazis erfährt dabei aber keineswegs eine Relativierung. Die filmische Anordnung ist die bereits im Himmler-Projekt (2000) erprobte: Der Schauspieler Manfred Zapatka - Karmarkars "Echolot" (Alexander Kluge) - sitzt unkostümiert vor einer neutralen Studiowand und trägt den ins Deutsche übertragenen Text vor. Konzentriertes Sprechen, kunstvolle Artikulation, keine Mimikry. Die Einstellungsgrößen wechseln zwischen Halbtotale und Großaufnahme, zeigen den Schauspieler von vorne oder im Profil. Er sitzt auf einem Hocker, liest von Blättern ab, die hin und wieder von einer Hand in den Bildausschnitt hineingereicht werden. An einigen Stellen werden Reaktionen des Auditoriums (etwa: Gelächter) durch eingeblendete Inserts mitgeteilt. Der gesprochene Text dissimuliert die Spuren des Übersetzungsvorgangs nicht; die termini technici der arabischen Ausgangssprache werden beibehalten und mit erläuternden Fußnoten versehen, die Zapatka mitspricht. Der Text erfährt keine Verfremdung, wird aber auch nicht einfach wiedergegeben, sondern in das Medium eines produktiven Formalismus eingespeist, dessen suggestive Dimension in seiner vermeintlichen Transparenz liegt. Die geübte Artikulation des Schauspielers Zapatka und die Einfachheit der filmischen Mittel legen einen Text frei, dessen Bedeutung klärungsbedürftig bleibt. Zwischen beiden Lektionen gibt es wie zu Beginn des Films eine einzige Einstellung, die nicht im Studio gedreht wurde. Sie zeigt die Moschee von außen, von der gegenüberliegenden Straßenseite aus und gibt Karmakars Film einen räumlichen und zeitlichen Index: Deutschland, Gegenwart.

Schon das Himmler-Projekt wollte Karmakar nicht als historistischen Geschichtsfilm verstanden wissen. Der dreieinhalbstündige Streifen markierte in den finalen Credits nachhaltig das unsichtbare historische Publikum von Heinrich Himmlers Posener Rede aus dem Jahr 1943. Die namentliche Auflistung der 92 anwesenden SS-Chargen beinhaltete jeweils kurze Vermerke über deren Karrieren in der BRD - unter anderem als Anwälte und Bürgermeister. Im Gespräch mit Alexander Kluge merkte Karmakar dazu an, das Himmler-Projekt sei natürlich ein "Film über die Bonner Republik".

Karmakars Ausnahmestellung im deutschen Gegenwartskino, die Unmöglichkeit, ihn in Schulzusammenhänge einzuordnen, hat mit seinem insistierenden wie irritierenden Formbewusstsein zu tun. Es geht ihm nicht darum, eine "Handschrift" zu elaborieren, einen Stil zu verfeinern, sondern um die Formung von Gegenständen einer Recherche. Politisch daran ist nicht irgendeine vage Koppelung von Form und Inhalt - mittlerweile eine Leerformel des bürgerlichen Autorenfilms -, sondern wie Karmakar sich glasklare filmische Dispositive baut, um in bestehende Repräsentationsverhältnisse zu intervenieren. Die Einstellung geht in der Einstellung nicht auf, sondern hat mit den voraus liegenden Erkenntnisinteressen tun. "Rekonkretisieren" nennt Karmakar seine Methode.

Das bedeutet hier zunächst: Die beiden Lektionen in ihrer vollen Länge wiederzugeben. Fazazis reaktionäre Position verbirgt sich in einem Dickicht geschulter Rechtsgelehrsamkeit, das dem Kinozuschauer einen mühsamen Nachvollzug abverlangt. Im Ergebnis gelangt der Imam jedoch immer wieder zu eindeutigen Festlegungen und Handlungsmaximen: Die "deutschen Ungläubigen" dürfen grundsätzlich getötet werden; das Fälschen von Reisepässen ist "halal" (erlaubt), solange es nicht Selbstzweck ist; Frauen ist das Alleinreisen "haram" (verboten). Es genügt nicht, wenn sie jeweils von einem männlichen Verwandten zum Flughafen gebracht und abgeholt werden - Zwischenlandungen auf westlichen Flughäfen, wo "Betrunkene und Gesindel" ihr Unwesen treiben, könnten die gebotene weibliche Reinheit kontaminieren. Fazazis verschlungene Auslegungen der Sharia betreiben an verschiedenen Stellen einen erheblichen argumentativen Aufwand, um die als besonders konservativ geltende salafistische Auslegung der Koranverse mit der mobilen Globalisierungsgegenwart in Einklang zu bringen.

Hamburger Lektionen setzt der medienöffentlichen Vorstellung der "Hasspredigt" die Wiedergabe einer konkreten theologischen Rhetorik des radikalen Islam entgegen. Dass der dabei offen gelegte semantische Gehalt auf die mehr oder weniger bekannten Ideologeme hinausläuft, macht Karmakars Film nicht weniger relevant. Aktuell ist er ohnehin: Der jüngst in Oberschledorn aufgeflogene Terrorplan verdeutlicht eindringlicher denn je die Realität der Gefährdung. Dessen ungeachtet geht es Karmakar weniger um den Nachrichtenwert konkreter Aussagen Fazizis, wenngleich sich fragen lässt, weshalb gegen den Hamburger Imam nie ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eröffnet wurde.

Der Film interveniert eher gegen die Unsichtbarkeit einer spezifischen Praxis ideologischer Einübung mitten in den westlichen Gesellschaften. Es ist nicht zuletzt die Unkenntnis der Verästelungen des radikalen Islam, die auf der Rückseite einem pauschalen anti-muslimischen Ressentiment diffus zuarbeitet. Der Aufklärungsgestus des Films bewegt sich dennoch in den Grenzen, die das Material ihm setzt. Fazizis geheimer Diskurs ist jetzt öffentlich sichtbar - als "Text aus Deutschland" (Karmakar). Eine Erklärung für die gefährliche Anziehungskraft des Islamismus ist darin kaum enthalten. Wie komplex dessen globale Entstehungsbedingungen sind, ist in dem eben ins Deutsche übersetzten, brillant recherchierten Buch von Lawrence Wright nachlesbar Der Tod wird euch finden nachlesbar. Karmarkars Film agiert bewusst nicht auf der Ebene des Erklärungszusammenhangs, sondern präpariert im besten Sinn ein Dokument der Zeitgeschichte.


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