Im Keller

Griechenland Alles, was die dominante Nachrichtensemantik unterbricht, wäre derzeit eine produktive Störung. Zum Beispiel Peter Nestlers irritierender Agitprop-Kurzfilm von 1965
Ausgabe 30/2015

Wochen voller Sondersendungen und Brennpunkte zum Thema Griechenland liegen hinter und wohl noch vor uns. Wer sonst kaum mehr fernsieht, nun aber das Gefühl hatte, man müsse zur Einschätzung der aufgepeitschten heimischen Lage Hegemonialmedienbeobachtung betreiben, mag sich über das bedenkliche journalistische Niveau der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten dann doch gewundert haben. Mit jeder weiteren Sendung verfestigte sich der Wunsch, eine durchregierende Souveränität von außen möge den seit der GEZ-Reform absurd überausgestatteten Sendern ein formvollendetes Austeritätsprogramm der Marke Schäuble-Stubb auferlegen.

Und damit sind nicht allein die ohnehin heillosen Gesprächsformate unter der Leitung von Jauch und Co. angesprochen, in denen kluge Wirtschaftsjournalisten wie Ulrike Herrmann, die auf der Höhe der internationalen Debatte argumentieren, sich jedes Mal einer Überzahl exportnationalistischer Schuldeneintreiber oder komplett abdrehenden Schreihälsen wie Edmund Stoiber und Michael Spreng gegenübersehen. Viel ratloser machen die Desinformationstendenzen jener Programmteile, die offiziell Nachrichten heißen, „Schulden haben“ aber so stur wie objektiv falsch mit „Alleinschuld haben“ übersetzen.

Das Bemühen um Einsicht in Komplexität wird auf allen Ebenen durch oberlehrerhaftes Echauffieren ersetzt: ZDF-Korrespondent Alexander von Sobeck hatte im Vorlauf des Referendums schon Mühe, Oxi- und Nai-Demonstrationen als solche auch nur zu identifizieren. Sigmund Gottlieb ruhte als Brennpunkt-Moderator noch gründlicher in seiner deutschtümelnden Selbstgefälligkeit als in seinen grotesken Kommentareinlagen. Rolf-Dieter Krause scheint gar nicht mehr zu wissen, was einen Kommentar von einem Bericht unterscheiden könnte. Ebenfalls bemerkenswert unfähig, einen Beitrag nicht mit tendenziösen Formulierungen einzuleiten: Caren Miosga, der in Interviews kaum eine Frage einfallen will, die darauf hindeuten würde, dass jemand ein Problem von verschiedenen Seiten zu beleuchten versteht.

Dem schrecklich bornierten Staatsfernsehen hilft vielleicht wirklich nur noch das von ihm selbst munter propagierte „Gesundsparen“. Unbedingt ausnehmen sollte man davon jedoch etwas, das die Sender zwar reichhaltig besitzen, aber kaum mehr intellektuell bewirtschaften: ihr Archiv.

Auch zur gegenwärtigen Aktualität ließen sich aus der historischen Tiefe der eigenen Sendergeschichte interessante oder erst mal nur fremd und unzeitgemäß erscheinende Kontrapunkte setzen. Alles, was die dominante Nachrichtensemantik unterbricht, wäre derzeit eine produktive Störung: die Chance auf einen gelegentlichen Perspektivwechsel. Wie wäre es zum Beispiel anstelle der Journalistendarsteller in cremefarbenen Urlaubssakkos vor abendlicher Akropolis-Kulisse mit einer unvermittelt anberaumten Primetime-Ausstrahlung von Peter Nestlers irritierendem Agitprop-Kurzfilm Von Griechenland? Gedreht für den Süddeutschen Rundfunk, zwischen Juli und September 1965, zwei Jahre vor dem Obristenputsch.

Aufmerksam, in freien Bewegungen beobachtet die Kamera die wütenden Demonstrationen in Athen – für den Erhalt der Demokratie und gegen die Absetzung des sozialliberalen Ministerpräsidenten Georgios Papandreou durch ein königstreues Regime. Eröffnet wird diese Nahsicht einer unsortierten Gegenwart mit einer offen als linksengagiert markierten Geschichtsstunde. Szenen des griechischen Alltags werden mit einem Kommentartext unterlegt, der detailliert deutsche Kriegsverbrechen während der Besatzung des Landes schildert. Nestler bohrt Vergangenheitsschichten an, weil er nicht an vorformatierte Gegenwartsdiagnosen und pseudoobjektive Sprechweisen glaubt. Mindestens das wäre zu lernen von dieser Dokumentartradition filmisch-politischen Denkens.

Info

Peter Nestler – Poetischer Provokateur. Filme 1962 – 2009 5 DVDs, Absolut Medien

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