An der Küste der andalusischen Provinz Almería steht eine eindrucksvolle Hotelruine. Der gewaltige Rohbau umfasst 400 Zimmer mit Meeresblick, verteilt über 20 Stockwerke, die sich in Treppenform den Küstenhang emporstapeln. Seit Februar 2006 ist über den schon wieder verfallenden El Algarrobico ein Baustopp verhängt. Nicht weil es dem Träger, der Immobilienfirma Azata del Sol, an Investitionsbereitschaft oder Liquidität mangelt, sondern weil Umweltorganisationen mit juristischen Teilerfolgen gegen den maßlosen Hotelbau, der mitten im Naturschutzgebiet Cabo de Gata liegt, vorgegangen sind.
Die Auseinandersetzung ist noch nicht entschieden. Die Umweltschützer fordern einen kompletten Abriss, Azata bereitet weiterhin den Innenausbau vor. Seitdem Greenpeace-Aktivisten im Juli 2007 dem El Algarrobico in klandestinen Malerarbeiten einen "Illegal"-Stempel verpasst haben, der sich über drei Stockwerke erstreckt, ist das Hotel zum Symbol mit Brent-Spar-Potenzial avanciert.
In Erwin Wagenhofers Dokumentarfilm Let´s make Money spricht der Urbanist Ramón Fernandéz Durán diesbezüglich von einem "Zement-Tsunami", der weite Teile der spanischen Küste mit Hotels und Appartement-Anlagen überzogen hat. Visuell einprägsam steht der Betonklotz, der einmal das El Algarrobico werden sollte, für den Irrsinn und die ökologischen Folgeschäden der spanischen Immobilienblase, die seit dem Jahrtausendwechsel immer groteskere Formen angenommen hat.
Geistersiedlung mit Golfplatz
Die dahinter stehende Logik ist seit der forcierten Finanzkrise auch für eine breitere Öffentlichkeit, die bis vor kurzem mit dem Stichwort "Subprime-Markt" wenig anfangen konnte, kein Geheimwissen mehr. Im spanischen Fall sind es insbesondere britische Immobilienfirmen, die ihren Landsleuten mit Hilfe von Hypothekendarlehen und überhöhten Wertgutachten Appartements an der Costa del Sol vermittelten. Eigenkapital war ein Fremdwort.
Die faulen Kredite materialisieren sich heute in Geistersiedlungen mit Golfplätzen. Wagenhofers Kamera fängt die unvorstellbaren Leerstände in Regionen wie Almería und Murcia in endzeitlich gestimmten Hubschrauberansichten ein. Ganze Neubausiedlungen sind vor ihrer Erstnutzung dem Niedergang preisgegeben, reine Investmentkulissen. Während der spanische Staat unvermindert Steuergelder in die leer laufende Infrastruktur der Geisterstädte investiert und verschwenderische Bewässerungssysteme dem unfruchtbaren Boden das leuchtende Grün unbespielter Golfanlagen abtrotzen, finden sich weder in England noch in Spanien zahlungsfähige Interessenten, die die ausstehenden Kredite bedienen könnten.
Let´s make Money versammelt neben dem Fall des mittlerweile völlig dysfunktionalen spanischen Immobilienmarkts noch eine ganze Reihe Phänomene, die gemeinsam haben, dass sie die Schieflagen, Ungerechtigkeiten und Absurditäten der Globalökonomie auf die Spitze treiben. Bezeichnend für diese ist beispielsweise die Kanalinsel Jersey, ein Zwergstaat, der als Steuerparadies und Durchlaufstation für fragwürdiges Kapital fungiert.
Die Sprecherpositionen, die der Film in eine aufschlussreiche Montage zu bringen versucht, gehören Akteuren wie dem von Singapur aus operierenden Investor Joseph Mark Mobius, der in seinen Monologen vage über die von ihm entwickelten Praktiken zur Ausbeutung von Entwicklungsländern plaudert. Im Fachjargon: Emerging Markets Fund Management. Auf seinen wenig schmeichelhaften Spitznamen - The Bald Eagle - ist Mobius auch noch stolz. Anton Schneider, ein deutscher Private-Equity-Fonds-Manager signalisiert im eitlen Tonfall einer Selbstkritik, die von realen biographischen Konsequenzen offenbar völlig entkoppelt ist, dass er um die Wertvernichtungseffekte seiner Branche weiß, während der österreichische A-Tec-Mehrheitseigners Mirko Kovats vollkommen unbeirrt die Chancen des Lohndumpings in Indien auslotet. Dazwischen spricht der SPD-Politiker Hermann Scheer in routiniertem Pathos über die Ideologie mangelnder Nachhaltigkeit und warnt vor einem neuen Zeitalter der Barbarei.
Trotz einiger erhellender Passagen - dazu zählen beispielsweise die Einschätzungen des Entwicklungsökonomen John Christensen - gelingt es Wagenhofer nicht, einen analytischen Kontext herzustellen. Der Film begnügt sich damit, eine diffuse kritische Grundstimmung zu verbreiten, die weder investigative noch polemische Energie mobilisiert. Die einzelnen Stränge erfahren kaum eine Vertiefung, die Episoden stehen fast anekdotisch und einigermaßen unverbunden nebeneinander.
Kreisende Geier - oder andere Pointen
Statt etwa der spanischen Immobilienkrise mit dem Ethos einer gut recherchierten Reportage nachzugehen, wird, nachdem die attraktivsten Bilder und Statements abgegrast worden sind, munter der Schauplatz gewechselt. Das Ergebnis produziert keine Einsichten in die faktische Komplexität und Vernetztheit des Weltwirtschaftssystems und seiner Player, sondern eher eine Art geopolitischen Kritik-Tourismus zweiter Ordnung. Wie alles mit allem zusammenhängt, vermittelt sich nicht.
Auch deshalb gerät der Film immer wieder in bildsprachliche Sackgassen, die weniger mit der prinzipiellen Unanschaulichkeit der Finanzökonomie zu tun haben, als mit der Vorliebe des Regisseurs für Pittoreskes wie kreisende Geier oder andere Pointen - etwa wenn der glatzköpfige Mobius durch einen verzerrenden Spiegeleffekt im Fitnessstudio als Nosferatu inszeniert wird. Überführt man so eine "Heuschrecke"? Offensichtlich wird die schale Hilflosigkeit, wenn die Kinder von Baumwollpflückern aus Burkina Faso in Zeitlupe in die Kamera winken.
Zynisch gesprochen hat der Beinahe-Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems die Marktchancen von Let´s make Money deutlich erhöht; der Film wird ein Publikum finden, das sich bisher nicht in das Genre des globalisierungskritischen Attac- und Greenpeace-affinen Dokumentarfilms verirrt hätte. Umgekehrt aber ist der Film von den Ereignissen der letzten Wochen auch überholt worden. Durch die intensive Berichterstattung sind nicht wenige bis dato desinteressierte Laien zu informierten Systemskeptikern geworden, denen Wagenhofers Aufklärungshäppchen aus der vielleicht bald schon historischen Weltbank-IWF-Welt wenig neuen Diskussionsstoff zu bieten hat.
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