European Forum Fortschritt für Europas Linke?

Bilbao Zweites European Forum zum Austausch „progressiver, ökologischer und linker Kräfte“ - Ein weiterer Versuch die Fragmentierung der Linken in Europa zu überwinden

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Während die Kameras auf Berlin gerichtet waren, versammelten sich zur gleichen Zeit zwischen dem 9. und 11. November europäische VertreterInnen der radikalen Linken und Teile der linken Flügel von Sozialdemokratie und Grünen in Bilbao im Palacio Euskadunal zum zweiten European Forum. In Berlin sprach der griechische Premier Tsipras auf dem SPD-Debattencamp in einem Workshop mit dem Titel „Links und erfolgreich“. Dass die griechische Partei Syriza nach Bilbao kam und andererseits ihr Schwergewicht nach Berlin schickte, kann als Ausdruck einer tieferen Einsicht gesehen werden. Eine alleinige Orientierung auf die radikale Linke und deren Versuch neue Allianzen im Vorfeld der Europawahlen zu bilden reicht möglicherweise nicht aus, um sich dem Aufschwung nationalistischer Kräfte wirksam entgegenzustellen und die Fragmentierung der Linken zu kompensieren.

Das European Forum, erstmals letztes Jahr in Marseille ausgetragen, soll eigentlich genau die Antwort auf diese Einsicht sein. Ein Forum für kontinuierlichen Austausch und Vernetzung „progressiver, ökologischer und linker Kräfte“. Angelehnt an das Foro Sao Paulo ist es expliziter Anspruch alle Willigen und Einsichtigen links der „Mitte“ zu gemeinsamen Gesprächen und inhaltlichem Austausch zu versammeln. Wie schon letztes Jahr in Marseille waren jedoch VertreterInnen von Sozialdemokratie und Grünen deutlich unterrepräsentiert. Ausnahmen waren hier Mitglieder des sogenannten Progressive Caucaus, einem Art rot-rot-grünem Debattenforum innerhalb des europäischen Parlaments, welches ähnliches wie das European Forum auf parlamentarischer Ebene zu etablieren versucht. Auch Benoit Hamont, ehemaliger Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialisten und Gründer der neuen Bewegung Generation, hielt eine Rede und war offensichtlich auf der Suche nach neuen Partnern. Das von Sozialdemokratie und Grünen vor allem auch die jeweiligen Jugendformationen vor Ort waren, zeigt die unterschiedliche inhaltliche sowie strategische Ausrichtung zwischen Jugendorganisationen und Mutterparteien, wie sie hierzulande auch bei Jusos und SPD deutlich wird.

Darüber hinaus wird auch an der (Nicht-)Teilnahme radikaler linker Kräfte an dem Forum, deren eigene Fragmentierung im Vorfeld der Europawahlen deutlich, die das Forum eigentlich überwinden möchte. Dass die Bewegung Diem25, anstatt ihrer Führungsfigur Yanis Varoufakis nur einen Vertreter schickte und die portugiesische Linke ihre ganz eigene Veranstaltung abhielt, hat möglicherweise auch damit zu tun, dass beide für die kommenden Wahlen schon ihre eigenen Bündnisse geschmiedet haben. Diem25 über die Liste „Europas erster transnationaler Partei“ namens European Spring, von der auch die polnische Linkspartei Razem Teil ist. Auf der anderen Seite ist die portugiesische Linkspartei Bloco Teil der, vom französischen Politiker Melechon begründeten Liste „Maintenant le Peuple“ (Jetzt das Volk), der sich auch die spanische Podemos und eine Reihe skandinavischer Linksparteien, wiederum auch Mitglieder der Partei der Europäischen Linken, angeschlossen haben. Dass das European Forum eine von Wahlen unabhängige Initiative ist, welche den kontinuierliche Austausch zwischen progressiven Akteuren unterstützen soll, scheint nicht zu allen durchgedrungen zu sein. Die Ursachen dafür können einerseits im mangelnden Interesse einiger Akteure gesehen werden, aber auch in der ausbaufähigen Mobilisierung durch die InitiatorInnen. Was es auch ist, die innerlinken Auseinandersetzungen vor den Wahlen haben sich auch auf das Forum niedergeschlagen.

Hinweis auf die Härte, mit der diese Konflikte zum Teil ausgetragen werden, ist sicherlich der Austritt der Parti de Gauche aus der Europäischen Linken Mitte dieses Jahres, mit der Begründung, nicht mehr mit Syriza zusammenarbeiten zu können. Syriza würde das Recht der ArbeiterInnen auf Streik in Griechenland verbieten, so der Vorwurf. Eine sehr eingeengte Sicht auf den Sachverhalt einerseits und andererseits Anzeichen für einen fehlenden strategischen Weitblick, angesichts der Gesamtsituation, in der sich Europa oder auch Griechenland befindet.

Strategie ist dann wohl auch das Stichwort an dem sich die Geister scheiden, weniger die tatsächlichen inhaltlichen Differenzen. Inhaltlich wurden auf dem Forum die Ressorts Migration, Frieden, Feminismus, Ökonomie bis hin zur Ökologie in großen Panels und Workshops behandelt. Dass die katastrophale Situation im Mittelmeer unhaltbar ist, Europa eine ökologische Wende benötigt, die Austerität beendet und die Wirtschaft als auch Institutionen demokratisiert werden müssen oder die grundlegenden Rechte der ArbeiterInnen in Europa gestärkt werden sollen, werden alle teilen. Und auch die explizite Rückbesinnung auf das Manifest von Ventotene, in welchem Altiero Spinelli 1941 in faschistischer Gefangenschaft die Idee eines demokratischen und sozialistischen Europas aufzeichnete, war Thema auf dem Forum und beinhaltete eine Diskussion über ein Europa im Jahre 2034. Auch dies stellt wohl kaum einen Streitpunkt dar, an dem eine Zusammenarbeit scheitern würde.

Und wenn es wichtigen Akteuren wie Melenchon aus Frankreich auch oft vorgeworfen wird, geht es im engeren Sinne auch nicht um die Debatte über den Austritt aus der Union oder nicht, sondern darum, wie genau Veränderung auf europäischer und nationaler Ebene letztlich durchgesetzt werden kann. Melenchon und die Bewegung „Jetzt das Volk“ wollen dies vor allem durch die offene Verweigerung, die Verträge und Direktiven aus Brüssel umzusetzen, erreichen, ohne jedoch zwingend auszutreten. Noch viel mehr unterscheiden sich die Akteure jedoch in ihren strategischen Ansätzen, wie linke Politik überhaupt mehrheitsfähig gemacht werden kann, um Regierungsmacht beziehungsweise Hegemonie zu erlangen und die nationalen und europäischen Politiken mitgestalten zu können. Oft wird hier dann auf einen Diskurs zwischen dem vagen Begriff „Linkspopulismus“ und eher klassenbezogenen Ansätzen verwiesen. Dieser manifestiert sich dann letztlich in der Frage, ob die oft als sogenannt „populistisch“ agierenden Bewegungsorganisationen wie Podemos und France Insoumiese die richtigen Ansätze sind oder klassische Massenparteien mit Verankerung in Bewegung und gesellschaftlichen Sektoren. Beide Ansätze haben ihre Berechtigung und es scheint noch nicht klar zu sein, ob eine klare Trennung der Ansätze überhaupt möglich ist geschweige denn, welcher am Ende zum Erfolg führt.

Diese Auseinandersetzungen sind jedoch wertlos, wenn mit den theoretischen Diskursen nicht gleichzeitig auch der klare Wille verbunden ist, nationale wie europäische Politik beeinflussen zu wollen. Jetzt und auch in naher Zukunft wird die Agenda für europäische Politik nicht zuletzt auch auf den nationalen Ebenen gesetzt. Die dogmatische Haltung gegen jedwede Form von Regierungsbeteiligungen und der Glaube an einen vermeintlichen revolutionären Elan, die vor allem innerhalb der radikalen Linken vorhanden sind, setzen allen ernsthaften Vorstellungen und Versprechungen für ein sozialeres und demokratisches Europa oft ein jähes Ende. Dabei sollte es viel mehr um einen Austausch über die substanziellen Fragen gehen, wie denn nun Prekarisierung und Niedriglöhne zurückgedrängt werden können oder wie vermehrt genossenschaftliche und kooperative Produktion im nationalen wie europäischen Binnenmarkt organisiert werden könnten. Erfahrungen aus Italien und anderen Ländern könnten hier beispielhaft sein, wo von vormals 3,4 Millionen ArbeiterInnen zurzeit immer noch um die 800.000 Menschen im kooperativen Sektor beschäftigt sind.

Unterschiedliche strategischen Ansätzen sollten nicht gegen die offensichtliche Notwendigkeit für gemeinsamen inhaltlichen Austausch und die Zusammenarbeit progressiver Akteure sprechen. Das European Forum sollte und kann genau das bieten. Darüber hinaus könnte das Forum in Zukunft auch der Rahmen dafür sein, eben genau die verschiedenen strategischen Ausrichtungen offen zu diskutieren. Auch wenn scheinbar noch nicht die gewünschte politische Breite erreicht wurde und notwendige Debatten über konkrete Initiativen eher im Hintergrund standen, das Forum bietet jetzt schon einen Ort für Kommunikation und Austausch, wie er vorher noch nicht bestanden hat. Auch die konkrete Vernetzung der Akteure auf dem Forum selbst könnte strukturierter von statten gehen und sollte nicht der zufälligen Begegnung überlassen werden. Wenn in Zukunft noch breiter mobilisiert wird und mehr Organisationen als bisher das Angebot zur Teilnahme annehmen, dann kann diese Initiative ein Raum sein, um konkrete Alternativen zu verhandeln und Strategien zu diskutieren – und könnte damit ein Lichtblick für Europa werden, den wir so dringend benötigen.

Auch erschienen auf kommunisten.de

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