Bedrohlich trommelt die Zukunft

Bühne Franz Xaver Kroetz’ Stück „Das Nest“ wurde weitgehend von den Spielplänen gefegt. Ein Wiedersehen in München
Ausgabe 28/2015

Eine Tragödie hat Franz Xaver Kroetz 1974 sicher nicht geschrieben – in Julia Prechsls Inszenierung wird Das Nest nun aber bisweilen zur Farce: Zwei Liebende zerschneiden in einer Videoprojektion ihre Pizzas bei Kerzenschein, die Worte säuselnd, die Gesichter wächsern, alles sieht aus wie in der Werbung eines großen Fabrikanten von Tiefkühlkost. Später dann ein anderer Spot, das Bild beinahe ganz ausgefüllt von einer Packung Magensalz. Von der Konsumscheiße kann einem ganz schön übel werden.

Um den Lastwagenfahrer Kurt (Simon Heinle) und seine Freundin Martha (Genija Rykova) geht es eigentlich, vor allem aber um das Kind der beiden und die Frage, wie Wunsch und Wirklichkeit zusammengehen können in der kapitalistischen Ordnung. Um dem kleinen Menschen, der im Laufe des Stücks erst zur Welt kommt, auch was bieten zu können, schuftet Kurt im Akkord, er verklappt sogar giftige Soße für den Chef. In diesem Teich werden Martha und der Sohn bald baden gehen. Bei Kroetz wendet sich der Schluss aber optimistisch: Das Kind überlebt, Kurt entwickelt ein politisches Bewusstsein, sucht und findet Hilfe bei der Gewerkschaft.

Das Didaktische des Stücks und seine anachronistische Hoffnung auf die Organisation der Arbeiterschaft haben es heute weitgehend von den Spielplänen gefegt. Für das Festival Marstallplan, benannt nach der kleinsten Spielstätte des Münchner Residenztheaters, wird ausgewählten jungen Regisseuren stets nur eine kurze Zeit zur Erarbeitung ihrer Inszenierung gegeben. „Skizzen“ und „gewollte Überforderungen“ sind Ziel und Modus, in diesem Jahr unter dem Thema „Luxus braucht Sklaverei“.

Das Skizzenhafte steht dem Ansatz von Julia Prechsl, Regiestudentin und Jahrgang 1992, durchaus gut, auch wenn die Handlung eher flöten geht. Julia Prechsl ist weder an der Geschichte einer Läuterung richtig interessiert noch an der Liebesgeschichte, die sich in dem Stoff durchaus auch verbirgt. Stattdessen entsteht eine Welt, in der die Menschen selbst schon Skizzen sind, entworfen nach den dominanten medialen Bildern von Markt, Marke und Mittelstand.

Das neue Kinderwagenmodell

Es ist eine ganz und gar falsche Entspanntheit, die das Paar in den Videos angelegt hat wie eine Zwangsjacke. Auf der kargen Bühne, umrahmt von weißen Wänden mit der sporadischen Reklame eines Einrichtungshauses, scheint ihnen hingegen die Spannung ihrer Lage in die Glieder gefahren: Simon Heinles Augen flackern in alle Richtungen, das Kinn zittert, kerzengerade hockt er da und deklamiert seine Sätze wie ein Menschenroboter. Genija Rykova schneidet derweil Coupons aus den knallbunten Wurfsendungen aus, mit denen am Ende die Bühne übersät sein wird. Man muss ja sparen für das neue Kinderwagenmodell, das jetzt alle haben. Und selbst wenn die beiden eng umschlungen tanzen, schweben die lauten Trommeln der Zukunft bedrohlich über diesem scheinbar glücklichen Moment, live gespielt von Fiete Wachholtz, der mit seinem Schlagzeug wie ein Chor über das Bühnengeschehen wacht.

Einmal, ausgerechnet wieder auf Video, platzt es heraus aus Kurt. „Was wäre, wenn man nur noch ein Jahr zu leben hätte, wegen Krebs oder so, was würde man da tun?“, fragt, insistiert, schreit Heinle, während Rykova ihn beschwört: „Wir sind keine krebsige Familie.“ Das Beharren aufs angeblich gesunde Mittelmaß kann die Hölle sein.

Info

Das Nest Regie: Julia Prechsl Marstall, München

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