Immer Ärger mit Marie

Horror Jonas Alexander Arnbys seltsamer Film „When Animals Dream“ langweilt und fesselt zugleich
Ausgabe 34/2014
Immer Ärger mit Marie

Bild: Presse

Der Horrorfilm hat sich schon immer an der Darstellung des Anderen abgearbeitet, wobei die klügeren Beispiele des Genres, die Zombiefilme von George Romero etwa, in diesem Anderen uns selbst erkannt haben und das Andere in uns. Ist die junge Marie aus Jonas Alexander Arnbys Langfilmdebüt When Animals Dream in diesem Sinne also ein Tier – oder mehr Tier als wir alle? Wenn sie träumt, dann bricht die Natur in aller Triebhaftigkeit hervor, die Vernunft und, das zumindest unterschwellig, die Zivilisation bleiben in roten, flirrenden Fetzen zurück. Oder ist alles ein wenig komplizierter und das ganze, scheinbar bürgerliche Leben als Mensch ist umgekehrt nur der trügerische Albtraum des Tiers?

Mit solcher Dialektik flirtet Arnby hin und wieder, und diese Momente gehören gleichzeitig zu den besten seines Films, der unter einer völlig anderen Art der Rätselhaftigkeit leidet: Erwachen und Selbsterkenntnis von Marie, die in einem dänischen Fischerdorf lebt, schleppen sich viel zu raunend und viel zu selbstverliebt in einer eigentümlich stickigen Atmosphäre vor sich hin. Sie wohnt in einem Haus mit ihrem Vater und mit ihrer Mutter, die scheinbar stumm im Rollstuhl sitzt, sie nimmt gerade einen neuen Job in der Fischfabrik an, wo einige Mitarbeiter sie quälen und andere ihr schöne Augen machen. Und sie bemerkt Male an ihrem Körper und einen seltsamen Haarwuchs – ein einzigartiges, tragisches Erbe, das in der Familie totgeschwiegen wird.

Arnby erzählt vordergründig lakonisch.Doch schon im auffälligen Verzicht auf künstliche Lichtsetzung verschiebt er seine Bildwelten merkwürdig ins Irreale, dorthin, wo die Sonnenstrahlen grell durchs Fenster fallen und einen staubigen, fahlen, falschen Heiligenschein in Standardwohnzimmer zaubern, der tiefe Schatten zulässt. Wie banal dagegen die bis in den letzten Winkel erleuchtete Fabrikhalle wirkt.

Als Coming-of-Age-Film im Modus des magischen Realismus versteht Arnby seine Arbeit, in der es ihm aber nie gelingt, die doch recht überschaubare Welt, in der Marie und ihre zweite – oder erste? – Natur sich neu behaupten müssen, anders als im Thesenhaften zu beschreiben: Der Kumpel, der Liebhaber, der rohe Gewalttäter kommen vor – und außerdem noch die, deren Schweigen um so vieles gewalttätiger ist.

Der Mensch von der Küste

So steckt der Film in einem eigentümlichen Paradoxon fest: Die Irritation, die zu jeder Selbsterkenntnis gehört, wird zum Strukturprinzip der Geschichte erhoben, deren Ausgang allerdings genau wie der Archetyp des Werwolfs, mit dem Arnby hantiert, dem durch Marketingmaschinerie und Genrekenntnis geschulten Publikum längst bekannt ist. Es bleibt dabei, zuzusehen, denn zu hören ist wenig. Arnbys Film ist so schweigsam wie angeblich der Menschenschlag an der Küste – wie Marie, die im Zentrum beinahe jeder Szene steht und als Identifikationsfigur aufgezwungen wird, einem gelösten Rätsel auf die Spur kommt und wie ihr Umfeld zwischen Aggression und Verleugnung verharrt.

Auch die Lähmung von Maries Mutter ist insofern mindestens so sehr Sinnbild des Films wie Allegorie ihrer gesellschaftlichen Situation. Der Stillstand, der sich über Figuren und Handlung legt, ist sicherlich eine mögliche, aber eben nicht zwingende Form, die aus der Verunsicherung der Protagonistin erwachsen könnte. Das Suchen, Begehren, Verzehren stellt Arnby in seinem Erzählrhythmus rätselhaft ruhig, bis es schließlich umso gewaltvoller herausbricht und dieser seltsam langweilig-faszinierende Film zur Nummernrevue verkommt, in der ein Toter auf den nächsten folgt. Die Aktion, das haben wir verstanden, ist in dieser Welt die einzige Art der Kommunikation. Und das Andere, das sich nicht erklären kann, weil es nicht darf und weil es sich selbst nicht kennt, muss Blut vergießen.

When Animals Dream Jonas Alexander Arnby Dänemark 2014, 85 Minuten

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