Der Westen drückt sich vor der Verantwortung

Klimagipfel Die Vorschläge der "High Ambition Group" erscheinen als Selbstinszenierung der reichen Staaten. Wenn sie nicht aufpassen, passiert Klimaschutz bald ohne sie.

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Am Mittwoch wurde plötzlich ein angeblicher Fortschritt aus Paris gemeldet: Die “High Ambition Group” sei nach monatelangen geheimen Planungen aus dem Schatten getreten mit dem Ziel, ein wirklich ambitioniertes Klimaabkommen zu befördern, in dem das 1,5-Grad-Ziel festgeschrieben sein solle. Der Initiator des neuen Bündnisses sei der Außenminister der Marshall-Inseln, und dabei seien die USA, EU, Mexiko, Kolumbien und zahlreiche Staaten aus Afrika, der Karibik und dem pazifischen Raum (AKP).

Ablenkung statt Fortschritt - wie üblich

Diese “freudige Nachricht” wurde nicht nur auf Spiegel online und in der FAZ verkündet, sondern interessanterweise auch auf klimaretter.info. Doch bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um ein Ablenkungsmanöver handelt und einen der üblichen Versuche, völligen Stillstand als großen Fortschritt zu deklarieren. Die Marshall-Inseln sind eine de-fakto-Kolonie der USA, die bisher die größten Bremser der internationalen Klimadiplomatie waren, und die AKP-Staaten sind immer wieder einmal zur Stelle, wenn die westlichen Industrieländer eine (gekaufte) Mehrheit brauchen. Dass plötzlich sogar eine Begrenzung auf 1,5 Grad Erwärmung (statt wie üblich zwei) angestrebt wird sollte ebenfalls Grund zur Skepsis sein, genauso die wenig glaubwürdige Geschichte von der langen unbemerkten Vorlaufzeit hinter den Kulissen.

Interessant sind die wenigen bisher bekannten (un)konkreten Details: Die “üppigen Finanzhilfen” für die Anpassung ärmerer Länder sollen zum Beispiel im Falle der USA 800 Millionen Dollar ab 2020 betragen - angesichts der üblicherweise als erforderlich erachteten Summe von 100 Milliarden Dollar pro Jahr klingt das eher nach Schmiergeld, mit dem die Zustimmung kleinerer Staaten gekauft werden soll. Doch wenn es an anderer Stelle heißt, man wolle die “alte Trennung in Industrie- und Entwick- lungsländer überwinden”, wird deutlich, worum es wirklich geht: Der Norden will die Festschreibung unterschiedlicher Rechte und Pflichten für arme und reiche Länder verhindern mit dem Argument, wir seien doch letztlich alle gleich und säßen, gerade beim Thema Klima, im selben globalen Boot. Damit wollen die Industrieländer die gesamte Klimadiskussion der letzten Jahre vergessen machen und sich als Hauptverursacher von Treibhausgasen aus der Verantwortung stehlen. “No Ambition” statt “High Ambition” - die Armen haben den Schaden, die reichen Schuldigen wollen sich drücken. Mal wieder.

Oder ist das doch zu pessimistisch?

War die behauptete geheime Vorbereitung vielleicht tatsächlich notwendig, um eine Torpedierung durch oppositionelle Medien und Politiker, besonders in den USA, zu vermeiden? Es sei daran erinnert, dass die Atomverhandlungen mit dem Iran im Jahr 2013 ebenfalls zunächst im Geheimen vonstatten gingen. Und wäre es vielleicht wirklich das Wichtigste, dass zunächst einmal die Begrenzung auf 1,5 Grad rechtlich verbindlich festgeschrieben würde, sowie nach Möglichkeit der dazu nötige Ausstieg aus fossilen Energieträgern - solange dies nicht erst bis 2100 geschehen soll, wie im Sommer beim G7-Gipfel in Elmau vereinbart? Daraus ließen sich im Nachhinein immer noch die fälligen Entschädigungs- und Ausgleichszahlungen der Industrieländer an besonders betroffene Staaten ableiten, sei es auf politischem Wege oder über internationale Gerichte. Was also, wenn es auf diesem Wege tatsächlich möglich sein sollte, sich auf ein ‘hochambitioniertes’, verbindliches Klimaabkommen zu einigen?

Aller Augen auf Chinas Entwicklungspfad

Abwarten, wir werden es noch früh genug erfahren. Am Ende wird es ohnehin vor allem auf das Verhalten Chinas ankommen: Angeblich gehöre dieses derzeit noch wie Indien und Saudi-Arabien zu den Bremsern, was sich aber nicht von außen verifizieren lässt. Zusammen mit vielen Entwicklungsländern hatte sich Beijing am 19. Oktober in Bonn geweigert, den vorgeschlagenen Entwurf als Verhandlungsgrundlage zu akzeptieren. Was aus den daraufhin begonnenen Neuverhandlungen wurde ist unklar.
Was hingegen klar ist: In China setzt derzeit ein fundamentaler Umbau der Wirtschaft ein, der sich nicht zuletzt in einem ersten Rückgang der CO2-Emissionen und einem weitgehenden Preisverfall an den globalen Rohstoffmärkten manifestiert. Der neue Fünfjahresplan setzt ebenfalls auf ein “grüneres” (und moderateres) Wachstum, und angesichts der üblichen Langfristorientierung der Planer in Beijing dürfte der Ausgang der Pariser Gipfels wenig daran ändern

Insofern ließe sich der Poker von Paris auch anders interpretieren: Die dringend nötige Energiewende wird ohnehin kommen und das letztlich unabhängig von der diplomatischen Begleitmusik der UNFCCC-Konferenzen, deren politische Vereinbarungen sich nicht verbindlich durchsetzen lassen. Die entscheidende Frage ist, ob es eine gemeinsame Anstrengung der Staaten der Welt unter dem Dach der UN sein wird - oder ob einzelne Länder und Regionen praktisch vorangehen und die anderen sich an diesen orientieren werden. In diesem Fall würden sich die (meisten) alten Industrieländer durch ihre Unfähigkeit zum Kompromiss selbst ins politische Aus stellen und müssten in Zukunft von der Seitenlinie zusehen, wie China zur neuen globalen Führungsmacht aufsteigt. Paris bliebe dann als vertane Chance für eine neue Ära weltweiter Kooperation in Erinnerung - was für das Klima aber letztlich wenig Unterschied machen würde.

Abkommen mit Signalwirkung

Dennoch wäre nicht nur im Sinne einer Renaissance der UN-Diplomatie ein inhaltlich überzeugendes, ‘ambitioniertes’ Abkommen wünschenswert: Denn auch wenn es keine Möglichkeit gibt, die tatsächliche Umsetzung der Beschlüsse in allen Ländern zu erzwingen, so wäre dies doch ein kraftvolles Symbol. Von Paris ginge ein deutliches Signal nicht zuletzt an Unternehmen und “Bremserstaaten” aus, dass sie den ökologischen Umbau ernstnehmen bzw. beschleunigen müssen, wollen sie nicht in Zukunft zu geächteten Außenseitern werden und letztlich auf der Strecke bleiben.

Insofern sollten wir uns trotzdem freuen, wenn am Samstag (oder Sonntag) tatsächlich ein Ergebnis präsentiert werden sollte, das diesen Namen verdient - mit dem Wissen im Hinterkopf, dass die entscheidenden Entwicklungen anderswo passieren, nicht zuletzt in unserer Nähe.
Nur das Ammenmärchen vom Minister der Marshall-Inseln als “Kopf” der Gruppe der “Ambitionierten” sollten wir besser ganz schnell vergessen. Ein Aushängeschild vielleicht, aber die Strategien werden mit Sicherheit anderswo formuliert. Sorry, Mr. de Brum.

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Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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