Die Rezession gibt es nicht

Konjunktur Allen Anzeichen nach ist die Lage der globalen Wirtschaft deutlich schlechter als offiziell behauptet - aber Politik und Medien haben panische Angst vor dem R-Wort.

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Der niedrige Ölpreis und die zugrundeliegende stagnierende Nachfrage sind bereits ausführlich diskutiert worden. Aktuell stehen die Banken im Fokus, aber auch sie sind letztlich nur ein weiteres Symptom. Eine breite Palette von Indikatoren deutet an, dass wir uns bereits mitten in einer Krisenphase befinden - was aus verständlichen Gründen jedoch nicht offen ausgesprochen wird.

Rohstoffe sind so billig wie seit 25 Jahren nicht mehr, wenn dem häufig zitierten Index von Bloomberg geglaubt werden kann. Damit einher gehen extrem niedrige Frachtraten: Der "Baltic Dry"-Index für Trockenfracht, z.B. Erz oder Kohle, ist auf nie gesehene Tiefstände gefallen und dürfte in Kürze unter 300 sinken. Der Shanghai Containerized Freight Index dümpelt seit Mitte 2015 um 600 - damit kostet der Transport eines Standardcontainers von Shanghai nach Nordeuropa um 500, zeitweise sogar unter 400$. Für Reedereien bedeutet das ein Verlustgeschäft.

Die Erklärung ist einfach: Es wird weniger transportiert. China importiert zwar weiter (verbilligte) Rohstoffe, doch in anderen Regionen sinkt die Nachfrage. Der Wert seiner Exporte sinkt derweil, ebenso wie in Südkorea, teilweise um 15% gegenüber dem Vorjahresmonat. Da der einheimische Konsum weiter robust wächst, ist die chinesische Wirtschaft im abgelaufenen Jahr dennoch um 6,9% gewachsen - jedenfalls nach den offiziellen Zahlen, an denen vielerorts Zweifel geäußert werden. Das gilt für die Wirtschaftsdaten anderer Länder jedoch auch.

Börsen auf Talfahrt - was sind die Folgen?

An den Börsen macht sich dies auf vielerlei Art bemerkbar. Dass es in China innerhalb von sieben Monaten zu drei Crashs kam, die nur notdürftig "gewaltsam" gestoppt wurden, ist zwar richtig, aber letztlich unerheblich: Chinas Börsen spielen für die Unternehmensfinanzierung und damit das wirtschaftliche Fundament des Landes nur eine untergeordnete Rolle, weshalb viele Beobachter sie eher als Spielplätze für "Zocker" aus der Mittel- und Oberschicht ansehen, wo überschüssiges Geld verbrannt werden kann.

Anders stellt sich das für die westlichen Aktienmärkte dar: Wenn hier wie im August und im Januar die Kurse in den Keller rauschen, dann führt das nicht nur zu Kopfschmerzen bei Unternehmensvorständen, denen die Aktionäre im Nacken sitzen. Viel bedrohlicher ist es für Banken, die mit Wertpapieren besicherte Kredite ausgeben, die "faul" werden und ggf. massen- haft abgeschrieben werden müssen, sowie für Versicherungen und große Fonds, deren Anlagen an Wert verlieren, womit die angenommene Rendite nicht mehr erreicht werden kann - Riesterrente und Lebensversicherung adieu. Dass sinkende Börsenindizes auch eine starke psychologische Wirkung haben und das Investitionsklima beeinflussen, ist ein weiterer wichtiger, wenngleich noch schwerer quantifizierbarer Faktor.

Quer durch alle Märkte

Und es sind nicht nur Rohstoffe und Aktien: Auch Immobilien in einigen der teuersten Städte der Welt steigen nicht mehr im Wert, nach London und New York trifft es nun auch Hong Kong. Die Zinserhöhung in den USA wurde im Dezember als Zeichen von Stärke gefeiert, inzwischen stellt sie sich immer deutlicher als Fehler heraus und es wird darüber spekuliert, ob nach der Eurozone, einigen weiteren europäischen Ländern und zuletzt Japan auch Kanada und die USA bald negative Leitzinsen sehen werden. Damit sinkt auch die Rendite von Staatsanleihen immer weiter, inzwischen sollen laut Financial Times Anleihen im Gesamtwert von 5,5 Billionen Dollar "negativ" notieren.

Die Schwellenländer, lange als globaler Konjunkturmotor angesehen, müssen derweil zusehen, wie nicht nur ihre Exportgüter und Unternehmen, sondern auch ihr Geld aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit immer mehr an Wert verliert. Wie immer in unsicheren Zeiten flieht viel Kapital in die Sicherheit des Dollars, und so ist allerorten von einem Kampf gegen die "Kapitalflucht" die Rede, die die Währungen vieler Länder noch weiter abwertet. Zusammen mit den sinkenden Rohstoffpreisen und der vielerorts nachlassenden Nachfrage entsteht daraus eine globale Deflationsspirale: Der Wert des Geldes steigt - aber damit verringert sich auch der Anreiz, es schnell auszugeben. Und es steigt der Wert von Schulden und macht deren Rückzahlung deutlich schwieriger.

Banken sind die großen Verlierer

Sicherlich ist es für Einige dennoch möglich, Gewinne zu erwirtschaften - die meisten Akteure an den Finanzmärkten kommen bei Wertverlusten von Anlagegütern und sinkenden Zinsen auf Staats- und sichere Unternehmensanleihen jedoch in große Schwierigkeiten. Lebensversicherer senken den Garantiezins, da sie in "sichere" Anlagen investieren müssen, und eine ganze Reihe von Hedgefonds hat Verluste gemeldet und teils die "Arbeit" eingestellt und die Anteilseigner ausbezahlt.

In Italien und Portugal wurden derweil kurz vor dem Jahreswechsel erneut etliche Banken "gerettet", indem Besitzer von Bankanleihen mittels "bail-in" zur Kasse gebeten wurden. Nach dem ersten Januar hätte es aufgrund des Inkrafttretens einer entsprechenden EU-Richtlinie möglicherweise auch (wohlhabende) Sparer getroffen. Nach der Deutschen Bank, bei der es noch auf Strafzahlungen und die Kosten diverser Rechtsstreits geschoben werden konnte, meldete jüngst auch die Großbank Credit Suisse einen Milliardenverlust für 2015. In der Rohstoffbranche musste derweil der weltgrößte Bergbaukonzern BHP Billiton jüngst 7 Milliarden Dollar im US-Fracking abschreiben, und auch der Ölriese BP macht Verluste - und zwar soviel wie noch nie in seiner Geschichte.

Dass gerade die Aktien von Banken und Rohstoffunternehmen sich in einem konstanten Sinkflug befinden, ihr rechnerisches Kreditausfallrisiko hingegen immer weiter steigt, kann somit kaum überraschen. Doch auch in vielen andere Branchen geht es börsentechnisch abwärts, und dass die wichtigsten Aktienindi- zes noch nicht völlig zusammengebrochen sind, ist zunehmend nur noch einer kleinen Zahl von Tech-Unternehmen wie Apple, Alphabet (google), SAP und Netflix zu verdanken.

Lichtblick oder Trugschluss?

Richtig ist, dass die Arbeitsmarkt- und Konsumdaten aus den USA, Deutschland und einigen anderen Ländern ausgesprochen robust aussehen. Richtig ist aber auch, dass es an diesen Angaben erhebliche Zweifel gibt, dass der Konsum (nicht nur) in den USA zum guten Teil auf nicht nachhaltiger privater Verschuldung beruht, und dass es in vielen anderen Regionen, z.B. in Südeuropa, deutlich weniger rosig aussieht. Daher können diese Einwände die deutliche Skepsis gegenüber der verbreiteten optimistischen Sichtweise nicht ausräumen.

Die Indizien legen eine Reihe von Schlüssen nahe, hier soll es nur um die zwei wichtigsten gehen:

1. Die Weltwirtschaft befindet sich de fakto seit etwa einem Jahr in einer Rezession. Dass dies nicht offen ausgesprochen wird hat zwei Gründe: Zum einen würde die Krise damit wohl zur selbsterfüllenden bzw. selbstverstärkenden Prophezeihung. Und zum anderen haben die westlichen Staaten und ihre Zentralbanken bereits 2008/9 alle vorgesehenen Möglichkeiten ausgeschöpft und heute insbesondere keinerlei geldpolitisches "trockenes Pulver" mehr.

2. Als einziges wirtschaftliches Schwergewicht hat China noch fiskal- und geldpolitischen Spielraum. Doch es sieht nicht so aus als hätten Regierung und Zentralbank vor, nach westlichen Regeln zu agieren und das globale System in seiner bisherigen Form zu stabilisieren. Alle Blicke richten sich daher nach Beijing und die alles entscheidende Frage lautet, was die dortige Führung tatsächlich plant.

Europa hat in dieser Situation ausgesprochen wenig Einfluss und kann - oder besser: muss - lediglich versuchen, als ausgleichende Kraft zu wirken und zwischen Beijing/ Moskau und Washington zu vermitteln. Dennoch ist es bedauerlich, dass der derzeitige Umbruch kaum wahrgenommen oder gar diskutiert wird, bringt er doch nicht nur Risiken, sondern auch große Chancen mit sich

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Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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