Ein Königreich für einen Deal!

Korea Sanktionen und ständig erhöhter ‘Druck’ führen zu nichts, wenn die Druckmittel fehlen. Verhandlungen sind alternativlos - und das bedeutet Zugeständnisse beider Seiten.

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Es war nicht unbedingt zu erwarten, dass der eingefrorene Dauerkonflikt auf der koreanischen Halbinsel zum bestimmenden geopolitischen Thema des Jahres 2017 werden würde. Der Krieg in Syrien ist mit der faktischen Ausrufung einer Flugverbotszone für die US-geführte Koalition südlich des Euphrat, dem Vorstoß der syrischen Armee an die irakische Grenze, der Beendigung der Unterstützung für ‘Rebellen’ durch Trump und der Aufhebung der Belagerung von Deir ez-Zor entschieden. Da diese Konsolidierung unter der Kontrolle von Damaskus (und Moskau) nicht im Sinne der westlichen Regierungen ist, verschwindet das Land zunehmend von den Titelseiten. Aber der nächste Konfliktherd steht zum Glück schon bereit.

Wenn es noch eines deutlichen Zeichens bedurft hätte, worum es bei der aktuellen Eskalation rund um den 38. Breitengrad geht, dann sollten die letzten Wochen dieses geliefert haben. Einerseits verurteilen China und die anderen BRICS-Staaten zwar den jüngsten Atomtest, andererseits sprachen sie sich jedoch gegen eine weitere Sanktionsverschärfung aus und riefen zum direkten Dialog auf. Am 6. September forderte Beijing in ungewohnt deutlichen Worten ein sofortiges Ende der Stationierung des US-Raketenabwehrsystems (THAAD) in Südkorea. Dessen ungeachtet wurden am Folgetag unter massiven Anwohnerprotesten vier weitere Abschussrampen aufgestellt - “vorübergehend”, wie es in Seoul heißt.

Das Märchen von der ‘defensiven’ Raketenabwehr

THAAD - ‘Terminal high altitude area defense’ - soll einen großflächigen Schutz vor feindlichen Flugzeugen und Raketen bieten. Seine Wirksamkeit gegen Letztere ist umstritten. Es besteht aus Abwehrraketen mit einer Reichweite von etwa 200 km sowie einem leistungsstarken Radar, der je nach verwendeter Software eine ‘Sicht’ von bis zu 3000 km besitzt - weit nach China hinein. Nicht nur deshalb betrachtet Beijing die Installation von THAAD als Bedrohung: Sollte es tatsächlich in der Lage sein, Mittel- und Langstreckenraketen abzufangen, würde das strategische Gleichgewicht im Nordpazifik dramatisch gestört.

Die USA könnten dank des ‘defensiven’ Raketensystems von der Möglichkeit eines nuklearen Erstschlags träumen, da sie sich vor der chinesischen oder russischen Reaktion geschützt wähnten. Womöglich müsste das System dazu nicht einmal zuverlässig funktionieren, solange nur die theoretische Aussicht und damit bei manchen Strategen der Glaube daran bestünde. Auch ist von außen nicht kontrollierbar, welche Art von Raketen und Sprengköpfen in den THAAD-Basen bereitgehalten werden, deren Einsatz im Kriegsfall China so gut wie keine Vorwarnzeit ließe.

Die chinesische Regierung hat sich von Anfang an strikt gegen die Stationierung ausgesprochen und mit starkem wirtschaftlichem Druck auf Seoul gezeigt, dass es ihr Ernst ist. Gleichzeitig hat Beijing jedoch immer wieder die Nuklear- und Raketentests Nordkoreas kritisiert, gar verurteilt, und im Februar angekündigt, entsprechend der Resolution 2321 des UN-Sicherheitsrats alle Kohleimporte von dort zu stoppen. Dieses eindeutige Angebot, Pjöngjang in Zaum zu halten, hatte jedoch nicht den erwünschten Effekt. Stattdessen wurde, nach jahrelanger zäher Diskussion, das innenpolitische Chaos nach der Absetzung von Präsidentin Park genutzt, um im März 2017 erste THAAD-Komponenten zu installieren - zeitgleich mit der Bestätigung der Amtsenthebung durch das Verfassungsgericht.

Peinlich: Eskalation ohne Plan B

Nun war für Beijing die Zeit gekommen, Kim Jong-Un von der Leine zu lassen. Seit April häufen sich militärische Aktivitäten, im Juli wurde die erste Interkontinentalrakete abgeschossen, am 3. September - angeblich - zum ersten Mal eine Wasserstoffbombe gezündet, womit die (gefühlte) Bedrohung Nordamerikas eine völlig neue Stufe erreicht. Interessanterweise veröffentlichte die Führung in Pjöngjang am 3. Mai eine harsche Kritik am chinesischen Verbündeten, die es diesem erlaubt, jegliche Verantwortung für die Eskalation von sich zu weisen.

Die Trump-Regierung hat es, anders als ihre Vorgänger, nicht bei wortlosen tit-for-tat-Aktionen mit Kriegsschiffen und Bombern belassen, sondern ist rhetorisch und diplomatisch ‘all in’ gegangen und hat die Koreakrise quasi offiziell zur Chefsache gemacht. Damit hat sie ihre weltpolitische Reputation darauf verwettet, dass es ihr gelingt, Kim in die Schranken zu weisen und ihm als Weltmacht ihren Willen aufzuzwingen. Unglücklicherweise musste Trump schon bald merken, dass er keinerlei dazu geeignete Druckmittel in der Hand hat. Wurde sein erster Versuch, die Entsendung des Flugzeugträgers Carl Vinson im April, noch von den Admirälen sabotiert, die sich wohl die Peinlichkeit einer ergebnislosen ‘Machtdemonstration’ ersparen wollten, ließ es sich in der Folgezeit nicht mehr verbergen: Wirtschaftliche und diplomatische Hebel gibt es keine, und militärische Drohgebärden werden von Pjöngjang bestenfalls verspottet. In die Knie zwingen ließe es sich nur durch einen direkten militärischen Angriff, und der kommt aus vielerlei Gründen nicht in Frage.

‘Erfolg’ nur bei entsprechender Gegenleistung

Damit sitzt die US-Regierung in der Falle. Sie wird von einer drittklassigen Macht vorgeführt und muss unbedingt Erfolge vorweisen, kann diese jedoch aus eigener Kraft nicht erzielen. Dazu wäre chinesische Unterstützung erforderlich, doch anders als noch im Februar wird es diese nicht umsonst geben: Durch die unilaterale THAAD-Stationierung und die weltweite Fokussierung auf den Konflikt ist der Preis dafür heute hoch. Beijing kann warten, während es sich durch Worte und (halbherzige) Aktionen von Pjöngjang distanziert und so als verantwortungsvolles Mitglied der ‘Weltgemeinschaft’ präsentiert. Washington hingegen läuft die Zeit davon, denn mit jeder Woche wird seine Ohnmacht offensichtlicher, was wiederum Venezuela und andere Staaten zu Absetzbewegungen ermutigt.

Welchen Preis verlangt Beijing? Die naheliegende Gegenleistung dafür, dass es seinen widerspenstigen Nachbar an die Kandare nimmt, wäre der Abzug der bisher installierten THAAD-Komponenten. Aber es könnte auch ein bisschen mehr sein: Da sich in der aktuellen Krise das Scheitern der USA als Ordnungsmacht zeigt, wäre auch eine de-fakto-Anerkennung der chinesischen Hegemonie über Ostasien, angefangen beim Südchinesischen Meer, denkbar. Wenn es Donald Trump gelingen sollte, einen ‘Deal’ auszuhandeln, der seinem Land einen gesichtswahrenden Rückzug ermöglicht und weithin als vorteilhaft angesehen wird, würde er seinem Anspruch als selbsternannter ‘Dealmaker’ tatsächlich gerecht.

Kommt der ‘große Deal’ für Ostasien?

Die Bedingungen dafür sind gut: Seit Wochen ist die US-Öffentlichkeit vollauf damit beschäftigt, sich über Hurricanes und Katastrophenhilfe, kniende Sportler und die nicht-Abschaffung von Obamacare aufzuregen, nun kommt auch noch ein furchtbares Massaker bei einem Musikfestival hinzu. Genug Zeit also für komplizierte Verhandlungen, und tatsächlich ist US-Außenminister Tillerson in den letzten Tagen nicht nur in Beijing gewesen, sondern hat dort auch die Möglichkeit direkter Verhandlungen mit Nordkorea ins Gespräch gebracht. Dass diese nun von Pjöngjang abgelehnt werden, das sie bisher stets gefordert hatte, gehört zum diplomatischen Spiel - schließlich darf nicht der Eindruck entstehen, Washington würde nachgeben. Gleichzeitig hat Beijing die Schließung aller nordkoreanischen Unternehmen in China angeordnet, was entweder als Vorleistung für konstruktive Gespräche, oder als deutliches Anzeichen einer im Grundsatz bereits erfolgten Einigung gelesen werden kann.

Der Vergleich mit der Kubakrise von 1962 drängt sich förmlich auf. Auch damals schien ein ‘großer’ Krieg zeitweise vor der Tür zu stehen, und auch damals wurden die Weltmacht USA von einem Kleinstaat vorgeführt, waren unfähig zur Durchsetzung ihrer machtpolitischen Interessen. Die Entschärfung der Krise war nur möglich, weil sich Washington zu Zugeständnissen bereiterklärte, namentlich zum Abzug der Jupiter-Raketen aus der Türkei, deren Stationierung die Eskalation zuvor ausgelöst hatte. Dass es auf der koreanischen Halbinsel ähnlich kommen wird, ist alles Andere als unwahrscheinlich. Darüber hinaus könnte es mit einem veritablen Umbruch im Machtgefüge Ostasiens einhergehen. Eine entsprechende Vereinbarung wäre nach dem Minsker Vertrag und dem Atomabkommen der P5+1 mit dem Iran der dritte Pfeiler einer weltweiten geopolitischen Neuordnung, die sich ohne Übertreibung als ‘Tordesillas des 21. Jahrhunderts’ bezeichnen lässt.

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Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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