Friedensprozess auf palästinensische Art

Afghanistan Der Taliban-Anführer Mullah Mansur wurde in Pakistan von einer Drohne getötet. Angeblich. Wurde damit auch der 2015 begonnene Verhandlungsprozess torpediert?

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Der Pressesprecher des Pentagon hat es als erster vermeldet, es folgten Regierungsstellen in Kabul und der afghanische Geheim- dienst. Inzwischen haben es auch ranghohe Talibanvertreter bestätigt: Mullah Mansur, erst seit zehn Monaten offiziell Nachfolger von Mullah Omar als Talibanchef, ist tot. In West- Pakistan wurde er von einer US-Drohne getötet, unter Bruch der Souveränität des Landes.

Ob diese Meldung so stimmt oder nicht ist irrelevant, genauso wie bei Osama bin Laden: Dieser war in erster Linie eine mediale Konstruktion und nur ganz am Rande auch ein Mensch aus Fleisch und Blut. Ob er tatsächlich im Mai 2011 in Abbottabad starb oder nicht, werden wir wohl nie erfahren - aber sicher ist, dass die Existenz der überlebensgroßen Medienperson Osama an diesem Tag endete. Und nur darauf kam es an, denn damit starb er in den Köpfen seiner Verbündeten und Feinde und verlor somit seine Kraft. Mullah Mansur mag tot oder nur “unter- getaucht” sein, doch für die Welt starb er am vergangenen Samstagnachmittag. Und das wird Folgen haben.

Vor knapp einem Jahr gab es die ersten direkten Friedensgesprä- che in Pakistan, doch die nicht mit den Taliban abgesprochene Bekanntgabe des schon länger zurückliegenden Todes ihres Gründers Mullah Omar durch den afghanischen Geheimdienst Ende Juli zerstörte die Hoffnung auf Fortschritte, was wohl auch der Zweck dieser Meldung war. Wie zu erwarten musste der neue Chef nun zunächst intern seine Position festigen und Zweifel in seiner Anhängerschaft angesichts des zwei Jahre lang verschwiegenen Todes seines Vorgängers ausräumen; es kam zu schweren Anschlägen in Kabul und anderen Städten.

Eskalation macht Verhandlungen sinnlos

Der Fortgang der Gespräche hing seitdem in der Schwebe. Während die Regierung in Kabul alle Konfliktparteien medienwirksam aufforderte, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, eskalierte im Land die Gewalt, auch aufgrund der Präsenz des (von den Taliban abgelehnten) “Islamischen Staats”. Im September brachten die Taliban für zwei Wochen die Provinzhauptstadt Kundus im Norden unter ihre Kontrolle; bei der Rückeroberung zerstörten US-Flugzeuge unter ungeklärten Umständen ein Krankenhaus von “Ärzte ohne Grenzen”. Auch im Süden des Landes weiteten die “Koranschüler” ihren Einflussbereich aus, insbesondere in der Provinz Helmand.

Anfang März diesen Jahres erregte dann eine Erklärung Aufmerksamkeit, die in der westlichen Presse als definitive Absage an Friedensgespräche dargestellt wurde. Tatsächlich wurden jedoch vor allem Bedingungen genannt: Die Taliban- führung erklärte, dass Gespräche kein Ergebnis bringen könnten und nicht von ihr autorisiert seien, solange nicht “die Besatzung durch fremde Truppen beendet, die Namen von Talibanvertre- tern von Schwarzen Listen entfernt und Gefangene freigelassen” würden. Auch kritisierte sie, dass trotz der Verhandlungen Präsenz und Kampfeinsätze der US-Armee zugenommen hätten.

Damit hatte Mullah Mansur einen wunden Punkt getroffen: Im Mai 2014 hatte Obama den vollständigen Abzug der US-Truppen bis Ende 2016 versprochen, doch wurde dieser in der Folgezeit immer weiter hinausgezögert und seit dem Kampf um Kundus sogar wieder über eine mögliche Truppenaufstockung diskutiert. Unter diesen Umständen hätte eine Teilnahme an Gesprächen den Rückhalt des Talibanchefs in den eigenen Reihen untergraben, während jedes Scheitern der Verhandlungen ihm unweigerlich öffentlich angelastet worden wäre. Dieser Falle entging er durch die öffentliche Nennung klarer Bedingungen - doch damit wurde er für Kabul und Washington zum Problem.

Das Ziel: Zersplitterung und Selbstkontrolle der Rebellen

Diese hoffen nun vermutlich auf einen “kooperativeren” Nachfolger Mansurs, der sich Bedingungen für einen Friedensschluss diktieren lässt und anschließend den Widerstand unter seinen (ehemaligen) Gefolgsleuten selbst bekämpft. Sollte hingegen ein radikalerer neuer Anführer bestimmt werden, wird diesem die alleinige Schuld am Scheitern der Verhandlungen gegeben werden. Das würde die weitere militärische Bekämpfung der Taliban rechtfertigen und ihm möglicherweise ein ähnliches Schicksal wie seinem verstorbenen Vorgänger bescheren.

Diese Strategie ähnelt frappierend derjenigen, die Israel seit 1967 in den besetzten palästinensischen Gebieten verfolgt: Jede unbeugsame Führungspersönlichkeit wird erbittert bekämpft und wenn möglich beseitigt, während derjenige, der sich auf “Frieden” zu den Bedingungen der Besatzer einlässt, nach Kräften gefördert und zum “legitimen Chef” aufgebaut wird. Die absehbar daraus erwachsenden erbitterten internen Kämpfe sind dann das Problem der Besetzten und ihrer Repräsentanten. Daneben dienen sie der Legitimierung der fortgesetzten Besatzung, die angesichts der fortgesetzten Gewalt von der internationalen Öffentlichkeit als notwendig erachtet und nicht mehr als das eigentliche Problem wahrgenommen wird.

Aus dieser Falle gibt es fast keinen Ausweg, solange die Besatzungsmacht willens und in der Lage ist, die Besatzung aufrechtzuerhalten. Nur eine starke Führung der “Rebellen” kann einen Frieden aushandeln, dem sich ihre Anhänger auch tatsächlich verpflichtet fühlen werden; dafür bedarf es jedoch relevanter Zugeständnisse seitens der Besatzer. Wenn diese nicht bereit dazu sind und stattdessen lieber eine schwache gegnerische Führung herbeibomben, kann es zwar formal erfolgreiche Verhandlungen geben, aber keinen Frieden. Dass diese Strategie dennoch als “Friedensprozess” bezeichnet wird, ist an Zynismus kaum zu überbieten.

Endlose Besatzung als strategischer Selbstzweck

Aber wollen sie denn überhaupt Frieden? Die rechte isrealische Regierung braucht die Besatzung, teils aus ideologischen Gründen, vor allem aber weil die äußere Bedrohung die zersplitterte Gesellschaft des Landes zusammenhält. Und Afghanistan ist für die USA geostrategisch insofern bedeutsam, als ihre Präsenz und der fortgesetzte Konflikt dort eine ständige Bedrohung der Stabilität auch der umliegenden Staaten bedeu- ten und so ein nachhaltiges Zusammenwachsen Asiens unter chinesischer Führung verhindern oder zumindest bremsen.

Ob der denkbare Bau einer Gaspipeline aus dem Iran oder die Erschließung der afghanischen Rohstoffvorkommen, die Beruhigung der Konfliktherde in Xinjiang und den zentralasia- tischen Republiken oder größere Sicherheit der Infrastruktur der “Neuen Seidenstraße” vor Anschlägen: China wäre der große Gewinner eines tatsächlichen Friedensprozesses in Afghanistan. Diesem Ziel dient zweifellos auch Beijings Investitionsoffensive in Pakistan im Umfang von 46 Mrd. Dollar. Aber bislang sieht es so aus, als wollten die USA ihren Abzug aus der Region so lange wie nur möglich hinauszögern. Der Frieden wird warten müssen, egal welchen Nachfolger die Taliban auswählen werden. Angeblich wurde am Sonntag in Quetta bereits darüber beratschlagt.

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Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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