Medien und Konflikte

Verantwortung Massenmedien tragen Verantwortung für die Folgen ihrer Berichterstattung und müssen das berücksichtigen - selbst wenn es im Extremfall zu Lasten der Objektivität geht.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

“Medien berichten so objektiv wie möglich und ermöglichen es so den BürgerInnen, sich eine eigene Meinung zu bilden.” - Das mag ein beliebtes Idealbild ist, ist aber letztlich nur eine “schöne” Illusion: Medien mit einer gewissen Reichweite können niemals neutral sein. Allein durch die Auswahl der Themen, denen sie mehr oder weniger große Beachtung schenken, treffen sie bereits eine (nicht selten unbewusste) politische Entscheidung. Verstärkt wird dies noch durch die Art der Präsentation, also die Wahl der Aspekte und Akteure, die in den Fokus gerückt werden, und die verwendete Sprache - das sogenannte “Framing” eines medialen Themas.

Schon im Alltag des politischen Geschäfts hat die Art der Berichterstattung einen nicht unerheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung und trägt damit dazu bei, gesellschaftlichen Druck auf politische EntscheidungsträgerIn- nen aufzubauen und deren Handlungen zu beeinflussen. Weitaus zugespitzter stellt sich dies jedoch in akuten Konfliktsituationen dar, in denen Medienberichte oft entscheidend dafür sind, dem Publikum eine bestimmte Lesart des Konflikts (und oft auch die “Schuldigen”) zu präsentieren und somit Handlungsdruck aufzubauen, der die Politik meist im- oder explizit in eine bestimmte Richtung drängt und/ oder die einzelnen Menschen selbst zu bestimmten Verhaltensweisen animiert. Viele Medien versuchen in solchen Situationen noch nicht einmal mehr, den Anschein von Neutralität zu wahren - und denen, die es doch versuchen, gelingt dies eher selten.

Ob sie es wollen oder nicht: Medien haben einen politischen Einfluss, sie haben Macht - und damit tragen sie auch Verantwortung für die möglichen Folgen ihrer Berichterstattung. Dieser können sie sich weder mit dem Hinweis auf eine im Regelfall nicht direkt nachweisbare Kausalität entziehen, noch durch die Relativierung der eigenen Bedeutung und dem Verweis darauf, dass man doch nur “eine Stimme unter vielen verschiedenen” innerhalb des öffentlichen Meinungsspektrums sei. Denn erstens können auch einzelne Berichte in manchen Situationen eine enorme Wirkung entfalten, und zweitens ist es erfahrungsgemäß gerade im Angesicht von Konflikten mit der vielbeschworenen Pluralität der Medienlandschaft oft nicht weit her.

Flüchtlinge in den Medien

Um dies zu veranschaulichen, betrachten wir einmal ein offensichtliches und aktuelles Beispiel: Als in den letzten Wochen eine große Zahl meist syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland kam, berichteten so gut wie alle Medien sehr mitfühlend über deren gefährliche Flucht und die damit verbundene enorme emotionale wie auch physische Belastung sowie die aufopferungsvolle Arbeit ehrenamtlicher HelferInnen. Die schweren Schicksale einzelner Flüchtlinge und ihrer Familien wurden beschrieben, und es wurde an vergangene große Fluchtwellen in Europa erinnert, als auch auf unserem Kontinent Menschen aus Angst um ihr Leben hoffen mussten, anderswo aufgenommen und unterstützt zu werden.

Die spontane Welle der Hilfsbereitschaft, die daraufhin auf allen Ebenen der Gesellschaft zu bestaunen war, war sicherlich teilweise Ergebnis dieser medialen Berichterstattung. Gerade die Bundesrepublik wurde plötzlich als humanitäres Vorbild gesehen und gefiel sich eine Zeit lang in dieser Rolle - bis dann am 14. September eine politische Kehrtwende erfolgte und stattdessen Grenzkontrollen angekündigt wurden. Es bleibt zu hoffen, dass die neuentdeckte Solidarität mit Menschen in Not keine Eintagsfliege war, sondern nachhaltige Wirkung entfaltet, und dass die Bevölkerung die Regierung nicht plötzlich aus ihrer Pflicht entlässt, ihren Teil zur weiterhin dringend nötigen Hilfe beizutragen.

Stellen wir uns nun einmal vor, die Medien hätten in dieser Zeit ganz anders über die Flüchtlinge und allgemein über Immigration berichtet: Ablehnend und mit dem Tenor, die Neuankömmlinge seien doch in der Türkei bereits in Sicherheit gewesen und für den hiesigen Arbeitsmarkt auf absehbare Zeit nicht “verwertbar”, brächten womöglich den dortigen Konflikt und Islamismus zu uns und würden unweigerlich die Sozialkassen in Schieflage bringen. Was, wenn die BILD-Zeitung statt “Deutschland hilft!” getitelt hätte “Deutschland hat Angst!”, sich zum Sprachrohr der “besorgten BürgerInnen” gemacht und nach unbedeutenden lokalen Problemchen (“Sportunterricht fällt monatelang aus!”) gesucht hätte, um diese der Republik wie durch ein Vergrößerungsglas auf der Titelseite zu präsentieren?

Die Folgen kann sich JedeR leicht ausmalen: Der xenophobe Abwehrreflex, den es ja leider durchaus auch gab, wäre mit Sicherheit um ein Vielfaches stärker ausgefallen; es hätte womöglich Tote gegeben. Die Medien sind in dieser kritischen Situation ihrer Verantwortung gerecht geworden und haben ein Klima (mit)geschaffen, in dem ablehnende, gar aggressive Haltungen isoliert und geächtet wurden. Es ließe sich als Zeichen von Reife interpretieren, wenn nicht der dringende Verdacht bestünde, dass dies beim nächsten “kritischen” Moment schon wieder ganz anders aussehen könnte.

Medien als Akteure in der Ukrainekrise

Doch es gibt Konfliktsituationen, in denen diese Verantwortung ebenso entscheidend, aber weit weniger offensichtlich ist - wie beispielsweise die Ukrainekrise.

Die aktuell seit Mitte Juli zu beobachtende Entspannung war nur möglich, weil die Bundesregierung in der Lage war, eine Mittlerposition zwischen West und Ost einzunehmen und so Möglichkeiten für einen Kompromiss auszuloten. Dass ein zeitweilig drohender Bruch mit Russland weder ökonomisch noch strategisch für Deutschland irgendeinen Sinn ergibt, war allen Beteiligten und BeobachterInnen immer bewusst. Um jedoch innerhalb der NATO und insbesondere in Washington Gehör für seine Vermittlungsbemühungen zu finden, musste Berlin unbedingt etwaige Zweifel an seiner “Bündnistreue” zerstreuen. Dazu bedurfte es neben der Beteiligung an der öffentlichen Verurteilung Putins und an EU-Sanktionen insbesondere auch einer entsprechenden propagandistischen Begleitmusik: Das massenmediale Framing des Konflikts entsprach auch in Deutschland stets der offiziellen NATO-Lesart der “russischen Aggression” gegen die aus einer “friedlichen Revolution” hervorgegangene “demokratische Regierung” der Ukraine.

Die von Anfang an weit verbreiteten starken Zweifel an dieser Interpretation der Ereignisse wurden marginalisiert und, als dies nicht ausreichte, entschieden bekämpft: Jeder, der Zweifel an dieser Lesart zu äußern wagte, wurde wahlweise lächerlich gemacht oder offen angefeindet und mit dem eigentlich absurden Etikett des “Putin-Verstehers” versehen. Damit wurde zum Ausdruck gebracht, dass seine Meinung “außerhalb des zulässigen Spektrums” der gesellschaftlichen Debatte angesiedelt sei.

Für die demokratische Meinungsbildung eine Katastrophe, für die deutsche Regierung hingegen von vitaler Bedeutung: Diese Maßnahmen verschafften ihr gleichsam “Ruhe an der Heimatfront” und damit die nötige Rückendeckung, um innerhalb des westlichen Bündnisses mittels geduldiger Diplomatie Mehrheiten für eine Kooperationslösung und gegen eine weitere Eskalation zu schmieden. Berlins Einfluss auf seine Partner hing dabei entscheidend von seiner Glaubwürdigkeit ab, und diese wiederum von der Einschätzung, die Bundesrepublik stelle sich entschlossen gegen den “Aggressor”, selbst wenn dies mit wirtschaftlichen Nachteilen verbunden sein sollte. Dass die delikate diplomatische Mission letztlich von Erfolg gekrönt wurde, hat sicherlich eine Reihe von Gründen - ein nicht unwesentlicher dürfte jedoch sein, dass Politik wie große Medien im Konfliktverlauf peinlich darauf bedacht waren, keinerlei Zweifel an Berlins NATO-Bündnistreue aufkommen zu lassen.

Ein prominenter EU-Politiker sagte den inzwischen fast schon legendären Satz “Wenn es ernst wird, muss man lügen.” und bezog sich damit auf heikle Situationen im politischen Geschäft. So schmerzhaft es in gewisser Weise sein mag: An diesem Satz ist viel Wahres dran. Und er gilt nicht nur für PolitikerInnen, sondern auch für andere Akteure, deren bloße Worte eine starke Wirkung entfalten können. Von “Lügen” zu sprechen mag (ganz unabhängig von Pegida) in Bezug auf die Ukraine-Berichterstat- tung eine Übertreibung sein, doch schuf das einseitige Framing der Ereignisse durch die großen Medien durchaus eine sehr spezielle, politisch opportune “Wahrheit”.

Die bedingungslose Ehrlichkeit musste hier gegenüber der Sorge um die NATO-Einheit und davon abhängende Friedensbemühun- gen zurücktreten, das gebot die journalistische Verantwortung. Die Massenmedien sind, wie spontan oder koordiniert auch immer, auch in der Ukrainekrise dieser Verantwortung gerecht geworden. Dass sie dabei nicht wenige FreundInnen in der Bevölkerung verloren haben, ist bedauerlich, ließ sich aber nicht vermeiden. Vielleicht gelingt es ihnen, durch gründliche und kritische Berichte zu anderen Themen einen Teil der verlorenen Leserschaft zurückzugewinnen - angesichts der zahlreichen obskuren “Erklärungen”, die im Internet zu manchen Fragen zu finden sind, wäre das vielleicht sogar wünschenswert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

smukster

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden