Ohne Krise kein Fortschritt

Italien vs. EU Es bahnt sich neuer Streit an, manche sprechen von einer 'Rückkehr der Eurokrise'. Oder ist es eine sorgsam geplante Inszenierung, um die Währungsunion zu stabilisieren?

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Ohne Krise kein Fortschritt

Foto: Christopher Furlong/Getty Images

In Rom spielt sich dieser Tage ein politischer Krimi ab – Spannung pur, starke Protagonisten, täglich unerwartete Wendungen ... könnte man meinen. Aber vielleicht ist es auch eine Seifenoper im Stil einer ‘Reality Show’, mit genau choreografiertem Drehbuch und dramatischen Rollen.

Die neue (ja, nein, vielleicht, jetzt doch ...) Regierung will mehr fiskalischen Spielraum: für Steuersenkungen für Konzerne und die Rücknahme von Sozialkürzungen. Sie spricht davon, das ‘Korsett der Euro-Regeln’ abzulegen, spielt mit der Idee eines Euro-Ausstiegs, der Einführung einer Parallelwährung und einer Schuldenstreichung seitens der EZB. Als es hieß, der ausgewiesene Euroskeptiker Savona würde Finanzminister, fing an den Finanzmärkten die Spekulation gegen Italien (und den Euro) an - wenige Tage später ist davon kaum noch etwas zu sehen, obwohl besagter Savona nun Europaminister wird.

Die Reaktion hierzulande kommt bekannt vor. Wie nach der Wahl von Syriza in Griechenland Anfang 2015 wird nun die rhetorische Keule rausgeholt, wirft etwa das Handelsblatt Rom eine 'Lust am ungebremsten Schuldenmachen' vor. Gestern waren es die ‘Pleitegriechen’, heute die Italiener - alles ‘faule Südländer’ eben. Doch sollte man nicht den Fehler machen, aus der Ablehnung dieser unsinnigen Pauschalisierung falsche Schlüsse zu ziehen und den neu-Koalitionären beizupflichten.

Wie war das noch mit der 'Eurokrise'...

Sebastian Dullien schreibt in der Taz, dass deren Pläne 'durchaus unverantwortlich' seien. Lega und M5S stellen die Notwendigkeit fiskalpolitischer Regeln grundsätzlich in Frage - ohne diese jedoch gibt es keinen stabilen Währungsraum (das gilt für Einzelstaaten genauso wie für die Eurozone). Die ‘Eurokrise’ wurde Mitte 2012 durch die EZB beendet, als Mario Draghi mit seinem berühmten ‘whatever it takes’ eine Garantie für Staatsanleihen der Euroländer aussprach. Spätestens damit war die mancherorts so verhasste ‘Haftungsunion’ Realität. Ohne das Haushalts-'Korsett’ des kurz zuvor beschlossenen Fiskalpakts hätten Berlin, Den Haag und Helsinki dem niemals zugestimmt, weil sie Angst vor einem Missbrauch dieser Garantie hatten - und vor ihren Wählern.

Auch der Rest von Dulliens Analyse ist gut und zutreffend. Das Problem ist weder Italien noch die gemeinsame Währung - das Problem ist, dass (u.a.) Berlin eine weitergehende Reform der Eurozone bisher verhindert hat. Die Anleihen-Garantie war zwar ein Schritt in diese Richtung, doch für eine tatsächliche ‘Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion’ braucht es neben der Peitsche auch ausreichend Zuckerbrot. Sicher, dank EZB haben die Staaten mehr finanziellen Spielraum, da sie (real) keine Zinsen mehr zahlen müssen - aber wo bleibt der gemeinsame (Investiv-)Haushalt, das harmonisierte Steuersystem, die Rück-Absicherung der sozialen Grundsicherung in den Mitgliedsstaaten (“Soziale Säule”)?

Einzelstaaten mit nationaler Währung verfügen über Ausgleichsmechanismen, die ein allzu starkes wirtschaftliches Auseinanderdriften von starken und schwachen Regionen verhindern - hierzulande v.a. der Bundeshaushalt und der Länderfinanzausgleich. Was Emanuel Macron seit seinem Amtsantritt fordert, ist nichts Anderes als die Einführung solcher (eigentlich selbstverständlichen) 'Kohäsions-Instrumente' auf europäischer Ebene. Ihn weiter in der Luft hängen zu lassen, könnte höchst gefährlich werden.

Spielt Macron 'good reformer, bad reformer'?

Gut möglich, dass die politischen Entwicklungen in Italien und Spanien (wenn PSOE-Chef Sanchez halbwegs intelligent ist, hatte er diesen Plan schon seit Jahren) Macron nun einen entscheidenden Trumpf an die Hand geben. Durch die radikalen, teilweise weltfremden Forderungen aus Rom wird nun genau jener krisenhafte Handlungsdruck erzeugt, ohne den sich substantielle Veränderungen (im Konsens!) kaum jemals durchsetzen lassen.

Mit diesem Druck im Rücken könnte es dem französischen Staatschef gelingen, Berlin zu Zugeständnissen zu bewegen und wesentliche Teile seines Euro-Reformplans umzusetzen. Im Gegenzug würde er als ‘großer Vermittler’ die Italiener von ihren extremsten Forderun- gen (EZB-Schuldenstreichung) abbringen und im Euro halten. Ob es schon Ende Juni beim Europäischen Rat Ergebnisse gibt, bleibt abzuwarten. Die Zeit ist äußerst knapp, es könnte dort durchaus auch 'krachen'. Bis zum nächsten Gipfel blieben dann knapp vier Monate für die Suche nach einem Kompromiss, den Alle zumindest als Teilerfolg verbuchen können.

Von Syriza lernen heißt Teil-siegen lernen

Hier lohnt wieder ein Blick zurück auf den Konflikt zwischen Athen und Brüssel anno 2015. Die Syriza-Regierung forderte damals einen Schuldenschnitt und ein Ende der Austerität. Darauf konnte die Rest-Eurozone nicht eingehen, da es nicht nur Regierungen, sondern auch die Währungsunion gesprengt hätte. Im Windschatten der schrillen öffentlichen Debatte wurden jedoch andere Maßnahmen vereinbart, die Griechenland die dringend benötigte Entlastung bescherten: Die sukzessive Senkung der Zinsen für die ‘Hilfskredite’ entsprach einem stillen Schuldenschnitt von ca. 100 Mrd. Euro.

Etwas Ähnliches dürfte im Fall Italiens passieren. Die neue Regierung spielt öffentlich mit einem ‘Bruch der Regeln’ des Fiskalpakts. Ihr dürfte klar sein, dass sie damit in ein klassisches Gefangenendilemma gerät: Ein Staat kann sich durch Nichtbeachtung der Regeln Vorteile verschaffen - wenn jedoch alle so handeln, verlieren sie alle. Wenn es tatsächlich zum Streit auf großer Bühne kommt, wird dieser die tatsächlich stattfindenden Reformen (Bankenunion, Euro-Haushalt) verdecken. Am Ende wird Rom zwar offiziell nachgeben, könnte aber seine politischen Ziele zumindest teilweise erreichen.

Der Verlierer: Donald Trump

Als Nebeneffekt des Streits bleibt der Euro schön billig (d.h. unterbewertet), zur Freude der hiesigen Exportwirtschaft. Olaf Scholz darf sich nicht nur über sprudelnde Steuereinnahmen, sondern auch über weiter sinkende Anleihezinsen ('sicherer Hafen') freuen. Die ‘Investoren’ an den Finanzmärkten treiben derweil den Dollar-Kurs - sehr zum Ärger von Donald Trump, der keine Chance bekommt, das Handelsbilanz-Defizit zu senken und Amerikas Wirtschaft ‘great again’ zu machen. Er dürfte vermehrt zu drastischen Maßnahmen greifen, ohne damit freilich etwas zum Besseren zu ändern. Seine Wut auf Deutschland ist durchaus verständlich, wenn ‘wir’ die USA ökonomisch derart am ausgestreckten Arm verhungern lassen.

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Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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