“OXI!” - Der Sieg über die Angst

Greferendum Endlich liegt die Frage aller Fragen offen auf dem Tisch, die sich so lange angekündigt hat: Wer hat mehr Angst vor einem “Grexit” - Griechenland oder seine Gläubiger?

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“OXI!” - Der Sieg über die Angst

Bild: LOUISA GOULIAMAKI/AFP/Getty Images

Die Menschen in Griechenland haben beim Referendum am Sonntag laut aktuellem Stand zu über 61 Prozent gegen die Annahme der neuen Sparauflagen der Institutionen gestimmt. Ganz unabhängig vom Fortgang: Das ist ein großer, ein historischer Tag für Europa. Denn es bedeutet, dass die GriechInnen keine Angst mehr haben vor der Ungewissheit des Neuen und sich nicht mehr vorstellen können, dass alles noch viel schlimmer kommen würde bei einer Ablehnung, wie ihnen dies die EU-Granden, die griechische Opposition und die meisten Massenmedien des Landes einzureden versuchten. Den Meisten war wohl bewusst, dass die Meinungsumfragen der letzten Woche, die ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraussagten, manipuliert waren, aber dass es so deutlich werden würde wohl nicht: Einundsechzig Prozent!

Was bedeutet dieses “Nein”?

Im Vorfeld haben GegnerInnen der griechischen Regierung im In- und Ausland versucht, die Abstimmung über die Sparpolitik umzudeuten zu einem Votum pro oder contra Euro, wohl wissend, dass 80 Prozent der GriechInnen im Euro bleiben wollen. Das ist zwar Unsinn und wurde zuletzt auch von EU-Ratspräsident Tusk zurückgewiesen, aber angesichts des Tons der europäischen Debatte in den letzten Wochen ein durchaus nicht unplausibel klingender Unsinn. Nicht auszuschließen, dass viele WählerInnen dies geglaubt haben, das werden wir wohl nie erfahren.

Und dennoch haben sie angesichts dieser mehr oder minder glaubwürdigen Drohung gegen die Fortführung der Austeritätspolitik gestimmt. Damit haben sie gezeigt, dass sie zwar den Euro als Währung behalten wollen, notfalls aber das Risiko eines “Grexits” in Kauf nehmen würden: Weil ihnen, wenn es hart auf hart kommen sollte, das Ende der Spardiktate wichtiger ist. Zum zweiten Mal nach der Wahl im Januar haben die GriechInnen deutlichgemacht, dass sie sich nicht mehr einschüchtern und zur Wahl des scheinbar “kleineren Übels” drängen lassen: Nach fünf Jahren der Austerität und des damit einhergehenden wirtschaftlichen und sozialen Niedergangs, der Verarmung, Arbeitslosigkeit und zusammenbrechenden Basisversorgung glaubt kaum noch jemand an das versprochene baldige Licht am Ende des Tunnels. Zwar wissen Alle, dass mit dem “Nein” nun nicht alles einfach, alles besser wird - aber die letzten fünf Jahre haben ihnen überdeutlich gezeigt, dass das “Ja” keinerlei positive Perspektive bietet. Und wenn die Zukunft schon völlig ungewiss ist, dann wollen die Menschen wenigstens ihre Würde retten. Dieser Mut der Verzweiflung hat gestern die Angst besiegt.

Wie geht es jetzt weiter?

Jetzt muss die Gläubigerseite, und damit letztlich die Bundesregierung Farbe bekennen. Denn sie hat seit Monaten, ja seit Jahren stets darauf spekuliert, dass Griechenland nicht ernsthaft einen Euroaustritt des Landes riskieren und somit unter genügend Druck stets nachgeben würde, ganz egal wie hart die Forderungen sind. Das hat lange funktioniert - bis heute. Ohne die Drohung mit dem angeblich sonst unvermeidlichen “Grexit” fehlt den Institutionen (oder vielmehr: Berlin) plötzlich ein effektives Druckmittel, und jetzt liegt der Ball in ihrem Feld: Ist sie wirklich bereit, das Risiko eines chaotischen Ausscheidens des Landes aus der Eurozone einzugehen? Hält Schäuble dies wirklich für “verkraftbar”, die Ansteckungsgefahr für “begrenzt”?

Nicht zuletzt angesichts der enormen Nervosität der Finanzmärkte bei diesem Thema sind hier starke Zweifel angebracht. Trotz aller selbstbewusster anti-griechischer Rhetorik könnten wir bald mit Überraschung feststellen, dass Berlin am Ende mehr Angst vor dem Grexit-Gespenst hat als Athen. Sollte das passieren, dann hätte der “Spieler” Varoufakis das “chicken game” gegen den Rest der EU gewonnen. Was das für die zukünftige Verhandlungsposition der Griechen oder die Wahlchancen von Podemos in Spanien bedeuten würde, muss hier wohl nicht näher ausgeführt werden.

Welche Optionen gibt es?

Natürlich kann Berlin schon aus innenpolitischen Gründen keine 180-Grad-Wende vollführen, und das weiß auch Syriza und wird im Interesse einer tragfähigen Lösung nicht auf einem plötzlichen offensichtlichen Kurswechsel bestehen, bei dem Schäuble und Merkel ihr Gesicht verlieren könnten. Und natürlich darf auch hier nicht die Geschichte durch einen Mangel an Phantasie beleidigt werden: Das “Nein” bedeutet nicht unweigerlich den Euroaustritt des Landes, und für den Verbleib in der Währungsunion bedarf es nicht zwangsläufig eines echten Einknickens der Gläubigerseite. Es gibt ganz im Gegenteil zahllose denkbare Wege, wie das Land im Euro bleiben und gleichzeitig die Austeritätspolitik mindestens wirksam abgemildert werden kann.

Das Einfachste wäre vermutlich eine unauffällige, aber wirksame Umformulierung der zuletzt aufgestellten Bedingungen, verbunden mit der Aufnahme weiterer wie dem verstärkten Kampf gegen Steuerflucht. Denkbar wäre aber auch die Ausgabe einer Parallelwährung (“IOUs”), verbunden mit gewissen Garantien der EZB, oder ein Bail-in von Bankeinlagen, z.B. in Form von Zwangsanleihen, oder eine langfristige Umstrukturierung der Staatsschulden, nach der diese die nächsten zehn Jahre nicht bedient werden müssen, oder...die Liste ließe sich fortsetzen. Und ja, auch die Möglichkeit einer Unterstützung durch Staaten oder Institutionen außerhalb der EU ist nicht endgültig vom Tisch, und hier sind mindestens genauso vielfältige Varianten denkbar.

Zwei Dinge dürfen dabei nicht vergessen oder verleugnet werden: Angesichts des “Neins” bleibt die akute Liquiditätskrise das drängendste Problem; das Land benötigt dringend irgendeine Form der Stabilisierung seiner Banken. Und unabhängig vom weiteren Vorgehen steht den GriechInnen höchstwahrscheinlich ein harter, steiniger Weg bevor – kurzfristig womöglich härter als dies bei einer Annahme der Bedingungen der Kreditgeber der Fall gewesen wäre. Doch vorherbestimmt ist die Entwicklung mitnichten, und die Frage ist und bleibt damit eine des politischen Willens: Soll die Eurozone, dieses bisher deutlichste Symbol des europäischen Einigungswillens, in ihrer jetzigen Form erhalten bleiben? Und kann sich Europa, ja die ganze Welt ökonomisch und politisch einen chaotischen Austritt Griechenlands wirklich leisten?

Es bleibt auf absehbare Zeit spannend und kompliziert – und die echten Verhandlungen um die Zukunft Griechenlands, wenn nicht Europas. beginnen gerade erst!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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